Swetlana Alexijewitsch in Berlin
10. Oktober 2015"Ich bin zwiegespalten. Der Preis steht für mich, aber auch für Weißrussland", sagte die Schriftstellerin am Samstag bei einem Auftritt in der Bundespressekonferenz in Berlin. Die Kritikerin des autoritären Regimes von Präsident Alexander Lukaschenko gerät immer wieder in Konflikt mit der Obrigkeit und den Zensurbehörden in Weißrussland.
Alexijewitsch sieht ihren Literaturnobelpreis als eine Verpflichtung, sich auch weiter für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. "Ich habe das Gefühl, eine Verantwortung zu tragen", sagte sie. "Enttäuscht oder erschöpft sein geht nicht mehr."
Kritik an Lukaschenkos Politik
Die 67-Jährige erzählte, wie der umstrittene weißrussische Präsident Lukaschenko ihr am Donnerstag einige Stunden nach der Verkündung in Stockholm persönlich gratuliert habe. "Das war ein bisschen komisch." Es habe sie überrascht, dass der Staatschef ihr überhaupt zu der Auszeichnung gratuliert habe, sagte sie: "Er hat die Kraft gefunden, sich zu überwinden, obwohl er ein negatives Verhältnis zu mir hat." Dass Lukaschenko ihr Werk würdige, sei Teil seiner Politik. Immer wenn die Beziehung zwischen Weißrussland und Russland abkühle, suche Lukaschenko die Nähe zu Europa, erklärte die Autorin. Dann gewähre er auch Künstlern mehr Freiraum.
Der russische Präsident Wladimir Putin und Regierungschef Dimitri Medwedew hätten sich nicht gemeldet. "Ich habe gesagt, dass sie die Ukraine besetzt haben, dass es eine Okkupation war, und da war die Liebe von Putin und Medwedew natürlich hin."
Der Versuch, die Zeit festzuhalten
Alexijewitsch nannte es ihr Anliegen, Romane aus den wahren Geschichten von Menschen zu schreiben. "Es ist der Versuch, die Zeit zu erfassen, sie festzuhalten, etwas aus dem Chaos herauszuholen, in dem wir leben." Sie mache mit ihren Interviews aber keine journalistische Arbeit. "Ich sammle das Material wie ein Journalist, aber ich arbeite damit als Literat."
Am Donnerstag hatte die Schwedische Akademie der Weißrussin den Literaturnobelpreis zuerkannt. Geehrt wird Alexijewitsch für ihr über 30 Jahre entstandenes "vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt", wie es in der Begründung der Akademie hieß.
ab/pg (dpa, epd)