Krieg und Hilfe
10. September 2007An der libanesischen Hisbollah scheiden sich die Geister. Israel und der US-Administration gilt die "Partei Gottes“ als Handlanger Irans und als Teil des "A-Teams des Terrorismus“. In westlichen Ländern wird sie weitgehend als radikale Islamistenmiliz eingestuft.
Im Libanon selbst - insbesondere im Süden von Beirut - hat die Hisbollah jedoch ein anderes Image: Seit ihrer Gründung Anfang der 1980er Jahre hat die Miliz unter den hier lebenden Schiiten immer mehr Einfluss gewonnen. Die Hisbollah dominiert das öffentliche Leben und ist populär - selbst bei Bürgern, denen Religion nicht sonderlich wichtig ist. Wegen ihres jahrelangen und letzten Endes erfolgreichen Kampfes gegen die israelische Besatzung im Südlibanon. Und vor allem wegen ihres großen sozialen Engagements in den schiitischen Bevölkerungszentren des Landes.
Staat im Staate
Mit syrischer und iranischer Unterstützung hat die Hisbollah in den schiitischen Landesteilen längst eine eigene Infrastruktur etabliert: einen Staat im Staate. Sie unterhält dort Schulen, Kranken- und Waisenhäuser und kontrolliert sogar den Straßenverkehr.
Die libanesisch-amerikanische Hisbollah-Expertin Judith Harik macht im DW-Interview das mangelnde Engagement der libanesischen Regierung für das Erstarken der Hisbollah mitverantwortlich: "Diese Gebiete sind von der Zentralregierung nie richtig unterstützt worden. Statisken zeigen, dass die Bekaa-Ebene und der Süden die unterentwickeltsten Gegenden im Libanon sind - und auch immer schon waren. Dies hat der Hisbollah ein weites Betätigungsfeld eröffnet. Religiös argumentiert könnte man sagen: Gemäß dem Koran ist es ihre Pflicht, dort zu helfen. Mehr zynisch betrachtet könnte man aber auch feststellen: Eine wunderbare Möglichkeit, um Anhänger zu gewinnen. Denn es gibt niemanden sonst, der dort hilft."
Labiler konfessioneller Proporz
Im Libanon hat Religion von Staats wegen schon immer eine große Rolle: 18 Religionsgruppen - überwiegend Muslime schiitischer und sunnitischer Prägung, Drusen und mehrere christliche Konfessionen - müssen dort gemäß Verfassung die politische Macht miteinander teilen.
Immer wenn dies misslingt, drohen Konflikte - das bisher schlimmste Beispiel dafür war der libanesische Bürgerkrieg von 1975 bis 1990. Die größte religiöse Gruppe im Lande sind die Schiiten mit schätzungsweise 40 Prozent Bevölkerungsanteil. Und deren politische Hauptvertretung ist seit Ende des Bürgerkriegs unangefochten die Hisbollah, die "Partei Gottes", die in strikter Opposition zu der vom Westen und vom Saudia Arabien unterstützten Regierung steht - und die vor einem Jahr mit einem Grenz-Zwischenfall den 33-Tage-Krieg mit Israel (Sommerkrieg 2006) provoziert hatte.
Im Süden von Beirut sind vielerorts noch Schäden des letzten Kriegs zu sehen. Die Menschen hier haben gelitten - aber die Hisbollah hat ihnen auch geholfen: Wer durch israelischen Bombenbeschuss sein Heim verlor, erhielt eintausend Dollar Soforthilfe. Das schafft viel Dankbarkeit. Und natürlich auch Abhängigkeiten. Die Menschen hier sprechen in höchsten Tönen von der Hisbollah und Hassan Nasrallah.
Der Kampfgeist und die militärische Stärke der Hisbollah werden auch von Nicht-Schiiten bewundert. Bei vielen verursachen sie aber auch Ängste. Eine große christliche Partei arbeitet zwar mit der Hisbollah zusammen. Aber andere Christen und viele Sunniten und Drusen unterstellen ihr, den Libanon in immer neue Kriege mit Israel hineinziehen und weitgehend unter syrischen und iranischen Einfluss stellen zu wollen - möglicherweise sogar mit dem Fernziel einer schiitischen Dominanzherrschaft im Libanon.
Nawaf Al Musawi, zuständig für die Außenbeziehungen der Hisbollah, dementiert dies: "Die Errichtung einer Islamischen Republik war zu keinem Zeitpunkt Bestandteil des politischen Programms der Hisbollah. Wir bemühen uns vielmehr bereits seit unserer Parteigründung um einen nationalen Konsens - und halten bis heute an diesem Kurs fest."
Hisbollah als Machtfaktor
Allerdings - die Hisbollah ist schwer bewaffnet. Sie ist die einzige Miliz, die 1990 nach dem Ende des Bürgerkriegs nicht ihre schweren Waffen abgegeben hat - sondern schmuggelt bis heute sogar weitere ins Land. Die Islamisten stellen diese Waffen nicht zur Schau - aber ihre Existenz verursacht bei Teilen der anderen Bevölkerungsgruppen großes Misstrauen. Sheikh Mohammed Hussein Fadlallah, der oberste religiöse Führer der Schiiten im Libanon, versucht zu beschwichtigen: "Was die Frage der Waffen anbelangt, so hat die Hisbollah doch längst deutlich gemacht, dass diese nicht gegen andere libanesische Konfessionsgruppen gerichtet oder für den internen Einsatz bestimmt sind. Sie dienen vielmehr zur Abwehr israelischer Aggressionen."
Fadlallah gilt als spiritueller Vordenker der Hisbollah - ein radikaler Prediger gegen so genannte "Ungläubige" ist er aber nicht. Im DW-Interview bekundet er Dialogbereitschaft gegenüber Sunniten und Christen und verurteilt alle Anschläge islamistischer Terrorgruppen in den USA und Europa. Eines jedoch verurteilt er ganz auffälligerweise nicht: Gewalt gegen den Nachbarstaat Israel. Die Hisbollah spricht hier allerdings nicht öffentlich von "Dschihad" oder "Heiligem Krieg". Sie nennt es lieber "nationalen Widerstand".