Zwischen Hollywood, Hamburg und Berlin
18. November 2002Wenig Zeit hat Wim Wenders immer. Doch momentan ist sie besonders kostbar: Tontechniker warten zum Mischen in Los Angeles. Sie müssen sich gedulden, der Schnitt hat Vorrang. Und der ist noch nicht fertig. Gleichzeitig gilt es das Konzept des neu eingerichteten Lehrstuhls für "Bildwissenschaft" an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg zu schreiben. Und in Hamburg wartet man ebenso händeringend wie in Los Angeles.
"Genau so"
Noch ist der Regisseur aber in Berlin. In Mitte, um genau zu sein. Hier lebt Wenders die eine Hälfte des Jahres, die andere in Los Angeles. Und der gebürtige Düsseldorfer liebt Berlin nach wie vor. "Wenn ich mich irgendwo zuhause fühle, dann in Berlin". Zu tun hat er aber neuerdings mehr in Hamburg. Unlängst stieg er bei der dort ansässigen Produktionsfirma "Reverse Angle" ein und ab dem nächsten Semester wird er noch ordentlicher Professor an der Hochschule. Wie es dazu kam? Das Handy klingelt. "Genau so", lacht Wenders und nimmt ab. Seine Frau aus Tokio. Sie ist Malerin hat dort zur Zeit ihre erste Einzelausstellung.
Professor in Revolutionszeiten
Die Umstellung von analoger auf digitale Produktionstechnik ist für Wenders eine ebenso große Revolution wie die Einführung des Tonfilms - eine "große Chance" für das Kino, gerade aber auch für den Nachwuchs "fantastisch". Endlich könne unabhängig von den großen finanziellen Zwängen produziert werden und nur der digitalen Technik sei es zu verdanken, dass es überhaupt wieder Autorenfilme oder Dokumentationen im Kino gäbe. Oder eben Musikfilme.
Von diesen hat Wenders zuletzt drei in Folge gedreht. Dem filmischen Denkmal für die alten Männer des Buena Vista Social Clubs folgte das für die etwas weniger alten Männer Kölns. Doch der BAP-Film floppte. Gerade einmal 30.000 Besucher passierten die Kinokassen. Nein, beleidigt sei er nicht, meint Wenders. Die wartenden Tontechniker in Los Angels wollen nun dem dritten und vorerst letzten Wenderschen Musikfilm letzte Hand anlegen. Wieder sind es alte Männer, diesmal spielen sie den Blues. "Devil Got My Woman" wird die Hommage an die beiden Blues-Legenden Skip James und J.B. Lenoir heißen. Irgendwann wird sie auch fertig sein.
Projekt Familien-Road-Farce
Und dann steht auch sofort das nächste Projekt an. Nein, kein Musik-, mal wieder ein Spielfilm. Wenders hat mit Sam Shepard das Buch geschrieben, im Frühling sollen die Dreharbeiten zu "Don't come knocking" beginnen, im Westen der USA. Arizona, Nevada, Montana. Wenders Lieblingslandschaften. Es wird einmal mehr ein Roadmovie werden. "Eine Familien-Road-Farce", sagt Wenders.
Der Regisseur freut sich wieder auf die USA. Wenders hat sich unlängst eine Satellitenschüssel auf das Haus gestellt. Um deutschen Fußball schauen zu können. "Und nur dafür", wie er betont. Er freut sich auf die USA, obwohl er das Wahlergebnis pro Bush als "Qualergebnis" nennt und dabei auch ganz zerknirscht aussieht. Ja, er habe damit gerechnet. Eine neue McCarthy-Ära sei zu befürchten, aber er will die USA nicht wieder verlassen, wie damals, als Reagan gewählt wurde. Der "kleinkarierte Nationalismus", er werde schon wieder vorbeigehen.
Der Wunsch nach deutlichen Worten
Wim Wenders ist kein reiner Ästhet. Falsche Politik schmerzt ihn und gerne will er sich einmischen. Ein deutliches europäisches Wort zu Israel wünscht er sich beispielsweise in der Außenpolitik. Und innenpolitisch eine größere Transparenz des Parteiengefüges. Die Pläne zum Neubau des Berliner Schlosses findet er entsetzlich, überhaupt habe sich sein geliebtes Berlin in den vergangenen Jahren "sehr mutlos" verhalten. Wenders findet es "verheerend", dass das Brandenburger Tor für den Autoverkehr gesperrt wurde und jetzt nur noch Touristenattraktion sei.
Wim Wenders hat wenig Zeit. Trotzdem quatscht er sich fest. Wie sehr ihn die Situation des Fußballklubs Fortuna Düsseldorf schmerzt, wie gut ihm der Film "Halbe Treppe" gefällt, welchen Rat ihm Dennis Hopper bezüglich Interviews gegeben hat. Wim Wenders ist einfach ein guter Erzähler - nicht nur in seinen Filmen.