Zwischen Konfrontation und Dialog
9. Dezember 2013Die Polizei hat in Kiew begonnen, Barrikaden abzureißen. Dennoch gingen die Demonstrationen in der ukrainischen Hauptstadt am Montag (09.12.2013) weiter. Wie lange die Straßenproteste in Kiew andauern werden, hängt allein von der Staatsmacht ab. Das sagte der Deutschen Welle der Abgeordnete der oppositionellen Partei "Ukrainische demokratische Allianz für Reformen" (UDAR), Rostyslaw Pawlenko. Er betonte, vor einem Dialog mit der Opposition müsste die Staatsmacht drei Forderungen erfüllen: die Freilassung aller während der Proteste festgenommen Aktivisten, die Bestrafung der Verantwortlichen für das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten sowie die Entlassung der Regierung von Premierminister Mykola Asarow. Diese hatte ein fertig ausgehandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU auf Druck Russlands auf Eis gelegt.
Pawlenko gehört dem "Komitee des nationalen Widerstands" an, das zu den Massendemonstrationen für eine EU-Integration der Ukraine aufruft. An dessen Spitze stehen die Führer der drei Oppositionsparteien: Vitali Klitschko mit seiner Partei "UDAR", Oleh Tjahnybok mit seiner "Freiheits-Partei" sowie Arsenij Jazenjuk, der die Partei der inhaftierten ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko, "Vaterland", anführt. Ferner gehören dem Komitee Vertreter mehrerer gesellschaftlicher Organisationen an. Mit vorgezogenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen will die Opposition einen "Neustart" an der Staatsspitze erreichen.
Osteuropas Revolutionen als Vorbild
Bis Dienstag (10.12.2013) habe die Staatsführung Zeit, um über die Forderungen der Opposition zu entscheiden. Das müsse noch vor dem Besuch einer Delegation der Europäischen Union geschehen, sagte Pawlenko. Die EU-Vertreter mit der Außenbeauftragten Catherine Ashton an der Spitze werden am Dienstag in Kiew erwartet. Pawlenko hofft, dass dann ein Ausweg aus der politischen Krise gefunden wird. "Wenn nicht, dann werden wir friedlich den Druck aufrecht erhalten, bis die Lage auf zivilisierte Art und Weise gelöst wird", so der Abgeordnete.
Die Opposition habe noch viele Formen des friedlichen Protests in ihrem Arsenal, insbesondere solche, die man in anderen osteuropäischen Ländern 1989 während des Sturzes der kommunistischen Regime und bei der Wiedervereinigung in Deutschland gesehen habe, sagte Pawlenko. "Wir haben sehr gut gelernt und werden zu diesen Protestformen greifen. Aber sie werden alle ausschließlich friedlich sein."
Hoffnungen auf EU-Vertreter
Auch der ehemalige Innenminister Jurij Luzenko will friedliche Proteste. Er befürwortete die Blockade der Regierungsgebäude. "Die jetzige Regierung wird den politischen Realitäten im Lande nicht gerecht. Daher blockieren wir sie", sagte er der DW. Er forderte die EU-Vertreter auf, bei ihrem Besuch erneut deutlich zu machen, dass das umstrittene Assoziierungsabkommen unterzeichnet werden könne, sobald Kiew dazu bereit sei. Das Angebot der EU, zwischen der Staatsmacht und der Opposition zu vermitteln, begrüßte Luzenko.
Doch nach einer politischen Lösung sah es am Montag nicht aus. Sicherheitskräfte marschierten in der Innenstadt auf und räumten Barrikaden beiseite. Nach Angaben der Timoschenko-Partei "Vaterland" wurde deren Parteizentrale von Sondereinheiten gestürmt. Ein Computerserver soll beschlagnahmt worden sein. Die Polizei dementierte diese Angaben.
Angesichts der anhaltenden Proteste erklärte sich unterdessen der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch zu Gesprächen bereit. Ziel sei die Suche nach einem Kompromiss. Konkreter wurde er nicht. Auch zum Vorgehen der Sicherheitskräfte äußerte er sich nicht.
Machtverlust der Regierung?
Die ukrainische Opposition sei durchaus in der Lage, die Staatsmacht zu Zugeständnissen zu zwingen, glaubt der Direktor des Internationalen Instituts für Demokratie, Serhij Taran. Es würde ausreichen, die Intensität der Proteste aufrecht zu erhalten. Dies sei einfacher als während der "Orangefarbenen Revolution" vor neun Jahren. Denn heute seien die Demonstranten viel radikaler eingestellt als damals. "Die Menschen könnten die Blockaden auch auf die Residenz des Präsidenten im Kiewer Vorort Meschyhirja ausweiten", sagte der ukrainische Experte.
Er ist überzeugt, dass die bisherigen Proteste schon für "tektonische Verschiebungen in der ukrainischen Politik" gesorgt haben. Die Oligarchen und die Chefs der politischen Clans kämen zu der Überzeugung, dass Präsident Viktor Janukowitsch an Macht verliere. Diese Entwicklung untergrabe die Regierung von innen, und dies könnte letztlich zu einem Machtwechsel in der Ukraine führen, so Taran.