Sexarbeit im Internet
2. Juni 2012Laura aus Wuppertal ist blond, Mitte 30. Auf einem Online-Portal lockt sie mit "Niveau und hemmungsloser Geilheit" - und bekennt sich zu "finanziellen Interessen". Die Haarfarbe dürfte kaum echt sein, ihr Alter ist es nur vielleicht. Doch bietet sie pseudo-intimen "Girlfriendsex". Im Schnitt hat ihr Profil über 18.000 Klicks pro Jahr, zugleich wirbt sie mit einer privaten Homepage für ihren Escort-Service.
Auch an Callgirls wie Laura richtet sich der Internationale Hurentag am Samstag (02.06.2012). Sexarbeit soll er sichtbar machen, besonders aber die Diskriminierung von Prostituierten, und ihre oft schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen - selbst in Deutschland, wo ein Prostitutionsgesetz seit genau zehn Jahren Mindestrechte wie Sozialleistungen und gesundheitliche Grundversorgung garantiert. Mit Erfolg?
Neue Formen der Schleuser-Kriminalität
"Gerade Frauen aus den neuen EU-Mitgliedsländern arbeiten hier unter übelsten Bedingungen", erzählt die Journalistin Chantal Louis, die für die politische Frauenzeitschrift "Emma" regelmäßig über Zwangsprostitution schreibt. "Denen brauchen sie mit Arbeitslosenversicherung doch nicht zu kommen, viele sind Analphabetinnen. Die rechtlichen Verbesserungen gehen an ihnen vorbei." Auch Sibylle Schreiber, Referentin für Zwangsprostitution und Menschenhandel bei "Terre des Femmes", stellt fest: "Die meisten Prostituierten sind immer noch nicht einmal krankenversichert" - weil ihnen ihre Rechte nicht bekannt sind.
Bis zu 80 Prozent der in Deutschland anschaffenden Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen, in Österreich sogar 90 Prozent - überwiegend aus osteuropäischen Ländern und aus den afrikanischen Staaten. Bulgarien und Rumänien führen mit je rund 20 Prozent eine Statistik an, die auf wissenschaftlichen Schätzungen beruht. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Da Prostitution kein Straftatbestand ist, werden die Frauen nicht gezählt. Registriert in der polizeilichen Kriminalstatistik sind jedoch über 600 Fälle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung - und das allein im vergangenen Jahr.
Vermarktung via Internet
Das Internet hat in den letzten Jahren "den ganzen Markt der Pornographie und Prostitution völlig verändert", berichtet Frauenrechtlerin Schreiber. Einerseits werde es immer leichter für Männer, mit jungen Frauen in Kontakt zu treten. Andererseits erreichten Hilfsangebote jene Frauen, die sich noch im Ausland befänden, schlecht: Sie seien schwer zu finden, prostituierten sich oft in mehreren Ländern, bevor sie mit dem verdienten Geld zu ihren Familien zurückkehrten.
Das Internet macht es Frauen und Menschenhändlern gleichermaßen leicht, den Absatzmarkt in benachbarten Ländern zu sondieren und Werbung für sich zu schalten. Auf einschlägigen Seiten im Netz versteigern sich Frauen selbst - oder werden versteigert.
"Junge Frauen, die neugierig sind, informieren sich über Verdienstmöglichkeiten durch Prostitution im Ausland", berichtet Mara Dijeva von Agisra e.V. in Köln. Sie berät Migrantinnen, die Opfer von Zwangsprostitution geworden sind. "Gerade Minderjährige nutzen auch Chaträume, die man ja nicht kontrollieren kann - und geraten da an Männer, die sie besser nicht kennenlernen sollten."
'Loverboys' und Menschenhändler aus dem Netz
Nicht neu, aber neu organisiert hat sich das Phänomen der "Loverboys", also von Männern, die Frauen mit emotionalem Druck zur Prostitution nötigen - und die über das Internet leicht Zugang zur netzaffinen Gruppe von oft minderjährigen Mädchen und auch Jungen bekommen.
Auch über soziale Netzwerke wie Facebook nehmen sie Kontakte auf, teilen in langen Mails scheinbar alle Wünsche, Träume und Interessen, schreiben über einen relativ großen Zeitraum von einer gemeinsamen Zukunft - bis die psychische Abhängigkeit groß genug ist und Geheimnisse ausgetauscht werden. Ab dem ersten Treffen werden die Mädchen dann mit Informationen, die Eltern und der Freundeskreis nicht erfahren sollen, unter Druck gesetzt. "In einem Fall hat ein Mann auch eine junge Frau beim ersten Treffen vergewaltigt und sich dabei gefilmt. Mit diesem Video hat er sie später erpresst und zur Prostitution gezwungen", berichtet Schreiber von Terre des Femmes. Denn gerade im Netz wüssten die eben Frauen nicht, wem sie später begegnen, ergänzt Sozialarbeiterin Astrid Gabb von der Bochumer Beratungsstelle Madonna e.V.: "Im Bordell sehen sie den Mann wenigstens - weil er direkt Kontakt aufnehmen muss."