Zwischen Slum und Boomtown - Wie Elendsviertel zu "Ankunftsstädten" werden
Es ist die größte Völkerwanderung der Geschichte: Immer mehr Menschen strömen vom Land in die Städte und landen in Slums. Autor Doug Saunders beschreibt, wie Elendsviertel zum Sprungbrett für eine bessere Zukunft werden.
Der Slum als Chance
Für Elendsviertel gibt es weltweit viele Namen: Slum, Favela, Bidonville, Ashwaiyyat oder Shantytown. Der Autor Doug Saunders nennt sie "Arrival Cities", Ankunftsstädte. Er beschreibt sie optimistisch als Orte des Aufbruchs. Ein Drittel der Menschheit wandert gerade vom Land in die Städte. Doug Saunders sieht das positiv, denn Urbanisation bedeutet für ihn: Fortschritt.
Stadt in der Stadt
12 Millionen Menschen leben in Brasilien in Elendsvierteln. Das sind fast so viele Einwohner wie in den Nachbarländern Bolivien und Uruguay zusammen. Die sogenannten Favelas liegen nicht selbstverständlich außerhalb der Metropolen, sondern - wie hier in Rio de Janeiro - oft mittendrin. An den Berghängen gleich neben angesagten Vierteln und reichen Wohngegenden.
Bloß raus aus dem Dorf
Die Favelas von Rio de Janeiro sind bekannt für Gewalt und Drogenhandel. Und doch wollen viele Menschen lieber hier leben als auf dem Dorf. Denn in der Stadt sind die Geburtenraten niedriger und die Bildungschancen besser. Sozialer Aufstieg kann nur in Metropolen erfolgen, meint Autor und Journalist Doug Saunders. Er sieht Slums nicht als Endstation, sondern als Chance für ein besseres Leben.
Die Ankunftsstadt
Wer vom Land neu in die Stadt kommt, zieht meist in ein billiges Wohnviertel. Doug Saunders sieht die Bewohner aber nicht als Gescheiterte. Vielmehr könnten sie hier endlich beginnen, aktiv ihre Zukunft zu gestalten. 2011 sorgte der britisch-kanadische Autor mit seinem Buch "Arrival City" international für Aufsehen. Nie zuvor wurde das Leben im Slum so radikal positiv gedeutet.
Erste Schritte in ein besseres Leben
Die meisten Migranten nehmen in den Ankunftsstädten erstmals am wirtschaftlichen Leben teil. Viele finden Arbeit in der Kernstadt, andere eröffnen kleine Geschäfte - und beginnen so die soziale Leiter hinauf zu klettern. Tatsächlich brummt in vielen Slums die Wirtschaft. Es gibt Internet- und Mobilfunkanbieter, einen Immobilienmarkt und oft auch die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen.
Nur eine Station?
Die Migranten seien ehrgeizig und hoch motiviert, schreibt Saunders. Wer den sozialen Aufstieg schaffe, verlasse die Ankunftsstadt und ziehe weiter in die City. Das kann zu einem Paradox führen, so Saunders. Je mehr Bewohner den Absprung schaffen, desto ärmer wirkt der Slum auf den ersten Blick. Die Erfolgreichen ziehen weg, Neuankömmlinge prägen das Bild.
Das Leben ist nicht schön
Bei allem Optimismus: Die Lebensbedingungen in den Elendsvierteln sind in der Regel katastrophal, wie hier im südafrikanischen Township Diepsloot. Meist gibt es keinen Strom oder fließend Wasser, keine Kanalisation und keine Müllentsorgung. Die Situation verbessert sich zunächst nur für die Familienmitglieder, die im Dorf geblieben sind und regelmäßig Geld aus der Stadt geschickt bekommen.
Nicht gut, aber besser
Was hält die Bewohner der Ankunftsstädte trotz widriger Lebensumstände im Slum? Doug Saunders schreibt: "Wenn man sie fragt: Warum geht ihr nicht zurück aufs Land?, antworten sie: Wenn die Dinge im Slum schlecht für mich laufen, muss ich meine Kinder zum Zigarettenverkaufen auf die Straße schicken. Aber wenn es auf dem Land schlecht läuft, verhungern meine Kinder."
Recherche auf der ganzen Welt
Doug Saunders hat 25 Slums auf fünf Kontinenten besucht. Wenn er von der größten Völkerwanderung schreibt, der Migration der Menschen in die Städte, schwört er den üblichen Untergangsszenarien ab. Das Landleben sei heute die häufigste Todesursache, es bedeute Unterernährung, hohe Kindersterblichkeit und eine verkürzte Lebenserwartung.
Erfolgsfaktoren
Die Ankunftsstädte sollen dicht bebaut sein, so dass schnell enge soziale Netzwerke entstehen können. Wichtig sei, dass die Migranten Besitz erwerben dürften - und dass sie dauerhaftes Bleiberecht oder eine (doppelte) Staatsbürgerschaft erhalten. Es müsse ihnen ermöglicht werden, zu arbeiten. Sonst entstehen soziale Brennpunkte. Doug Saunders sagt: Erfolg ist planbar.
Bildung! Bildung! Bildung!
Ende des 21. Jahrhunderts werden drei Viertel aller Menschen in Städten leben. Die Elendsviertel bräuchten "Schulen, auf die alle ihre Kinder schicken wollen, an denen die Migrantenkinder mit den Mittelschichtskindern konkurrieren müssen", schreibt Saunders. Der Umzug in die Stadt soll vor allem den Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Dafür nehmen viele Eltern die Lebensumstände in Kauf.
Der Slum wird hip
Aber: In Slums leben nicht nur die Ärmsten der Armen. Auch hier bildet sich im Laufe der Zeit eine Mittelschicht heraus. Manchmal werden die Viertel sogar zum Magneten für Menschen aus der überbevölkerten City. Szeneviertel in New York oder London sind so entstanden. Wenn sie gut verwaltet werden, dann heißen die Ankunftsstädte auch Migranten aus dem Stadtzentrum willkommen.