Zündeln im Donbas
19. November 2015Die Ost-Ukraine ist weit weg von Kiew: Hier verfolgt kaum jemand das Gezerre, dem sich die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in der umkämpften Region an der Grenze zu Russland ausgesetzt sehen: Fast jede Woche ringen Unterhändler aus Kiew, Moskau und den Rebellen-Hochburgen Donezk und Lugansk darum, das Waffenstillstandsabkommen von Minsk im Detail umzusetzen. Erst auf dem Papier - dann stehen die OSZE-Beobachter vor Ort in der Ost-Ukraine wiederum unwilligen Lokalfürsten gegenüber wie diese Woche in dem besetzten Gebiet von Lugansk. "Vertreter der sogenannten Luhansker Volksrepublik forderten uns auf, zwei unserer Beobachter abzuziehen", sagt der Vize-Missionschef der OSZE in Kiew, Alexander Hug. Das haben freilich nicht die Rebellen zu entscheiden. Doch es zeigt: "Die Obstruktion erreicht ein immer höheres Niveau." Zuletzt hatten sich die Kriegsparteien am 9. November auf neue Abzugs-Modalitäten geeinigt. "Seither konnten wir keine einzige aus der Pufferzone abgezogene Waffe kontrollieren", so Hug.
Beide Seiten blockieren
Es fehlt an Inventarlisten, die von der ukrainischen Armee genauso wie von den prorussischen Kämpfern vorgelegt werden sollten. Noch immer stünden schwere Artillerie-Geschütze entlang der Front, wo sie nach Minsk nicht stehen dürften. Die Felder 15 Kilometer westlich und östlich der Front sollen demilitarisiert sein. Nach den jüngsten Vereinbarungen sollte die OSZE zudem weitere Stützpunkte in den Städten Horlivka und Debalzewe für ihre Beobachter einrichten - doch da blockieren wiederum die Kriegsfürsten auf Rebellen-Seite. Und schließlich wird wieder vermehrt geschossen - an einzelnen Schwerpunkten wie nordwestlich und westlich der Rebellenhochburg Donezk. Allein am Mittwoch registrierten OSZE-Beobachter in Donezk "107 Explosionen innerhalb von nur eineinhalb Stunden. Der Waffenstillstand bleibt wacklig".
Wahlen in der Ost-Ukraine nicht vor April
Mehr noch: Anfang der Woche drohte die Ukraine, abgezogene Waffen wieder an die Front zu schicken. "Wir sind dazu innerhalb kürzester Zeit in der Lage", sagte ein Sprecher des Militärstabes von Präsident Petro Poroschenko. "Unsere Truppen sind bereit, sie zurückzuschlagen." Nachhaltiger Frieden hört sich anders an. Zumal nach den militärischen die politisch schwierigsten Punkte des Minsker Abkommens lange nicht umgesetzt sind.
Zum 31. Dezember sollte die Ukraine demnach wieder die Kontrolle über ihre Grenze zu Russland erhalten. Dabei kann bis heute nicht einmal die OSZE alle alten Grenzpunkte kontrollieren. Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine in Paris Anfang Oktober, hatte sich die Runde noch auf OSZE-geprüfte Wahlen in den besetzten Gebieten im Februar 2016 geeinigt. Der Termin ist schon längst unrealistisch. "Ich schätze einmal, dass es April wird, Mai wäre ein sehr schlechtes Signal", sagt ein westlicher Diplomat, der mit den Minsker Detail-Verhandlungen vertraut ist.
Widerstand gegen Dezentralisierung
Doch zuvor müsste das ukrainische Parlament in Kiew der seit Monaten diskutierten Verfassungsreform zustimmen, mit der das Land dezentralisiert werden soll. Doch die Abstimmung findet frühestens Ende Dezember statt. Präsident Poroschenko benötigt eine Zweidrittelmehrheit und damit auch Stimmen aus dem Lager des durch die Maidan-Revolution geschassten pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch.
Am Wochenende wollen Demonstranten auf dem Maidan an den Beginn der Proteste vor genau zwei Jahren erinnern. Die Pro-Europäer kämpfen längst an vielen Fronten: zum einen gegen das eng geknüpfte Netz der ukrainischen Korruption aus Mandatsträgern, Oligarchen-Vertretern, Richtern und Staatsanwälten. Und als freiwillige Helfer, die Essen, Kleidung und Medikamente an die Front bringen, gegen viele Widrigkeiten vor Ort. Ihr Frust steigt immer mehr.