Ägyptens Justiz braucht Unabhängigkeit
18. September 2013Der ehemalige ägyptische Vize-Präsident Mohammed ElBaradei muss sich wegen seines Rücktritts von der Übergangsregierung vor Gericht verantworten. Der Justizprofessor Sajjed Atik klagt gegen ElBaradei, weil dieser das in ihn gesetzte Vertrauen nicht erfüllt habe: Nachdem das Militär den Muslimbruder Mohammed Mursi gestürzt hatte und später die Protestlager seiner Anhänger mit Gewalt räumte - wobei Hunderte Menschen ums Leben kamen - trat ElBaradei aus Protest gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte im August zurück.
Der Prozess könnte mit der Verurteilung des Friedens-Nobelpreisträgers zu bis zu drei Jahren Gefängnis enden.
Bereits unter der Regierung des islamistischen Ex-Präsidenten Mursi wurden Gerichtsverfahren angestrengt, die sich gegen bekannte Persönlichkeiten richteten. Darunter Mitglieder der Opposition, Aktivisten und TV-Moderatoren. Die Anklagen lauteten auf Beleidigung des Präsidenten, Gefährdung der Außenbeziehungen des Landes oder Verspottung des Islam.
Absurdes Verfahren
Verfahren wie das gegen ElBaradei seien eigentlich nur peinlich, meint Mathias Rohe, Professor für Bürgerliches Recht an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. "Ich kann sie nur mit diesem merkwürdigen nationalistischen Überschwang erklären, der im Moment auch das säkulare Lager ergriffen hat. Auf einmal wird die Armee zum großen Retter des Vaterlandes hochgejubelt", erklärt der ehemalige Richter aus Deutschland.
Es seien viele Sinne von diesem Überschwang benebelt und so komme es eben zu diesen merkwürdigen Verfahren, die er unter rechtsstreitlichen Aspekten für sehr bedenklich halte. "Gerade so einen Mann wie ElBaradei jetzt vor Gericht zu zerren, das ist absurd", so Rohe.
Nasser Amin, Direktor des arabischen Zentrums für die Unabhängigkeit der Justiz, hält das Verfahren gegen ElBaradei ebenfalls für abwegig. "Es ist mit Klagen gegen Schauspieler oder Schriftsteller zu vergleichen, wobei dem Kläger in erster Linie daran gelegen ist, Berühmtheit zu erlangen."
Scheitern am eigenen System?
Während sich die ägyptische Justiz mit solchen Verfahren beschäftigt, ist es den Richtern und Staatsanwälten bis jetzt noch nicht gelungen, Korruptionsfälle der 30-jährigen Herrschaft von Husni Mubarak aufzuarbeiten. Auch sei es ausgeblieben, Verantwortliche für die annähernd 800 Toten beim Aufstand gegen Mubarak zur Rechenschaft zu ziehen. "Es fällt schon auf, dass jetzt Menschen, die angeklagt waren, unter Mubarak schlimme Verbrechen gegen die Bevölkerung begangen zu haben, freigesprochen werden", meint Rohe.
Mubarak selbst wurde nach Ablauf einer zweijährigen Untersuchungshaft im August wieder aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt. Im Oktober wird der Prozess gegen ihn fortgesetzt.
Dass es jedoch im Falle von Anklagen wegen Verbrechen gegen die Bevölkerung Freisprüche gegeben habe, sei auf die fehlende rechtliche Grundlage solcher Verfahren zurückzuführen, so Amin. Prozesse gegen Mubarak und seine Entourage - und künftig auch gegen Mursi - seien zwecklos, "weil das ägyptische Rechtssystem noch keine Bestimmungen gegen systematische Verbrechen gegen die Bevölkerung und die Menschlichkeit kennt. Daher scheitern auch solche Prozesse am eigenen System", erklärt Amin.
Justiz braucht Unabhängigkeit
Um juristische Rahmenbedingungen für solche Verfahren in Ägypten zu schaffen, müsse das Land das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs unterschreiben und ratifizieren. Das Statut begründe die Gerichtsbarkeit für die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, sagt Amin.
Ein weiterer Schritt sei die geplante Gründung einer Hohen Kommission für Gerechtigkeit, die den Weg bahne, auch Menschenrechtsverletzungen der Mubarak-Ära aufzuarbeiten. Doch noch hat sich die Justiz im Land am Nil nicht als unabhängige Gewalt positioniert: "Es ist ihr gelungen, im Militär einen starken Verbündeten zu finden", erklärt Rohe. "Sie hat seit den Wahlen in 2011 relativ deutlich Partei gegen die Regierung der Muslimbrüderschaft ergriffen."
Die Idee, dass verschiedene Gewalten in einem Staat existieren müssen, die sich auch gegenseitig kontrollieren, sei, so Rohe, "in der Justiz noch nicht so richtig verankert."