Ärger um Flugverkehr
28. September 2012Dass die Freiheit über den Wolken nicht grenzenlos ist, beweist der Emissionshandel für den Luftverkehr in Europa. Bei diesem Thema stehen sich die EU einerseits und die USA, Russland, Indien sowie China andererseits unversöhnlich gegenüber. Im Kern geht es darum, dass Fluggesellschaften Emissionsrechte kaufen müssen, wenn ihre Düsenjets bei Flügen in und nach Europa mehr Kohlendioxid ausstoßen, als das von der Europäischen Union festgelegte Maß. Damit will Brüssel die steigende Luftverschmutzung durch Flugzeuge eindämmen. Anfang dieses Jahres machte die EU aus ihren umstrittenen Plänen Wirklichkeit. Sie bezog den Luftverkehr in den europäischen Emissionshandel mit ein und setzte zugleich Obergrenzen für den CO2-Ausstoß fest.
Doch was von Umweltschützern begrüßt wird, hat bei vielen Menschen Befürchtungen ausgelöst, dass Fluggesellschaften die Mehrkosten durch erhöhte Ticketpreise ausgleichen wollen. Besonders empört reagierte das außereuropäische Ausland. Vor wenigen Tagen ist der seit Jahren schwelende Konflikt vollends zur offenen Auseinandersetzung geworden, als der US-Senat dem Emissionshandel eine deutliche Abfuhr erteilte. Die EU habe kein Recht, amerikanische Fluggesellschaften bei europäischen Flügen eine solche Last aufzubürden, kanzelten die Senatoren die Europäer ab. Gleichzeitig verabschiedete das Parlament in Washington eine Gesetzesvorlage, die US-Fluggesellschaften davor schützen soll, CO2-Verschmutzungrechte erwerben zu müssen. Damit steigt der Druck auf die EU, die heftig kritisierte Regelung zu überdenken.
USA wehren sich gegen EU-Steuern
"Diese Entscheidung des Senats kann noch dramatische Folgen haben", sagt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch, der Deutschen Welle. Denn damit wäre nach China und Indien von einer dritten großen Luftfahrtnation gesagt worden, "wir beteiligen uns nicht an diesem System". Dies werde in Europa und in Brüssel noch nicht ganz ernst genommen. Siegloch weist darauf hin, dass die USA ganz besonders empfindlich reagieren, wenn eine fremde Nation sie besteuern will. Die US-Amerikaner würden sich fragen, "wieso nimmt sich die EU das Recht, zum Beispiel einen Flug von Los Angeles nach Europa - also über Amerika und über den Atlantik - zu besteuern und dieses Geld dann in Europa zu behalten". Dies könnten die USA nicht akzeptieren.
Klaus-Peter Sieglochs Verständnis für die andere Seite des Atlantiks ist nicht frei von Eigennutz. Denn auch der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft würde die EU-Regelung liebend gerne aus der Welt schaffen. Siegloch prangert an, der EU-Emissionshandel setze eine ohnehin durch die Finanzkrise belastete Branche weiter unter Druck. Außerdem sieht er die Gefahr, dass sich der Streit weiter hochschaukelt, falls amerikanische Fluglinien sich dem Emissionshandel verweigerten. Wenn die Europäische Union an ihren Plänen festhalte, "kann das Gegenreaktionen auslösen". Dies sei so auch von der chinesischen und der indischen Regierung angekündigt worden. Das könne dazu führen, dass deutsche Fluggesellschaften "hier bezahlen müssen, und möglicherweise in den Ländern, in die sie dann fliegen, noch mal zahlen müssen". Durch Strafzahlungen oder zusätzliche Steuern würden sie doppelt zur Kasse gebeten, so Siegloch.
Höhere Verluste wegen Finanzkrise
Europas Airlines fliegen ohnehin durch stürmische Zeiten, denn der Anstieg der Ölpreise und die Schuldenkrise in der Eurozone setzen europäischen Fluglinien offenbar härter zu, als erwartet. Der Weltluftfahrtverband IATA rechnet damit, dass die Branche in Europa in diesem Jahr einen Verlust von rund 870 Millionen Euro verzeichnen wird. Vorher war der Weltverband von einem Verlust von 600 Millionen ausgegangen. Allerdings erwarten IATA-Experten, dass die Fluglinien international einen Gewinn erzielen werden. Bessere Geschäfte in Amerika sollen höhere Verluste in Europa und geringeren Gewinn in Asien kompensieren.
Michael Cramer sieht auch keinen wirklich triftigen Grund für die EU, von ihrer Linie abzuweichen. Der Politiker und Verkehrsexperte, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, wertet die Entscheidung des US-Senats als rein politische Entscheidung und verweist auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hatte im Dezember 2011 geurteilt, dass die entsprechende Richtlinie zum Emissionshandel in Europa weder gegen Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts noch gegen das sogenannte Open-Skies-Abkommen verstößt, in dem sich die EU und die Vereinigten Staaten zu einem freien Luftverkehrsmarkt verpflichtet haben. "Europa kann Gesetze machen, genau wie die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Gesetze machen", sagt Cramer der Deutschen Welle, der sich überzeugt gibt, dass sich ohne den Vorstoß von Brüssel im Klimaschutz für den Luftverkehr nichts bewegen würde. "Deshalb ist es wichtig, dass Europa den Druck aufrecht erhält und ich bin überzeugt, wir kommen zu einem Ergebnis."
Weltverband soll Lösung finden
Immerhin ist sich die EU der Belastungen für die Luftfahrt bewusst. In einem Papier, das EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel vorstellte, werden Vorschläge gemacht, wie der Branche geholfen werden kann. Darin wird der Emissionshandel als "zusätzliche ökonomische Bürde" in Europa bezeichnet. Außerdem heißt es, Europas Fluglinien "kämpfen in einem harten internationalen Markt ums Überleben". Trotzdem will die EU-Kommission auf den Emissionshandel nicht verzichten. Vielmehr baut sie darauf, die restliche Welt ebenfalls auf Klimaschutzvorgaben zu verpflichten und so gleiche Bedingungen für alle zu schaffen. In dieser Hinsicht gibt es aber kaum Bewegung.
Im Konflikt um den Emissionshandel muss man sich also fest anschnallen. Keine Konfliktpartei scheint derzeit zum Einlenken bereit. Als ob die Verantwortlichen das Cockpit verlassen hätten, während ihre Maschinen im Blindflug aufeinander zurasen. Klaus-Peter Siegloch hofft dennoch, dass man "für das weltweite Problem eine weltweite Lösung findet". So richtig der Versuch sei, einen Marktmechanismus zu finden, der die Umwelt entlaste, "kann man es natürlich nicht nur in einem Teil der Welt anfangen", betont er. Alle Hoffnung ruht nun auf der Internationalen Zivilluft-Organisation ICAO, die auf ihrer Tagung Ende des Jahres vermitteln will und eine globale Regelung anstrebt. Es ist die vielleicht letzte Chance, die Reißleine zu ziehen. Spätestens im April nächsten Jahres wird es richtig ernst.
"Europa gegen den Rest der Welt"
"Dann wird es wirklich spannend", sagt Siegloch. Dann nämlich müssen die Fluglinien ihren Ausstoß an klimaschädlichen Gasen melden und erst ab diesem Zeitpunkt wird abgerechnet. Wenn eine Fluggesellschaft keine Zertifikate abgibt, tritt eine in der europäischen Verordnung verankerte Strafe in Kraft. "Das bedeutet zum Beispiel, dass eine Fluglinie pro Tonne CO2 einhundert Euro Strafe zahlen muss, wenn sie kein entsprechendes Zertifikat vorlegt", erläutert Siegloch. Dabei kämen ganz erhebliche Summen zusammen. Sollten die Strafen tatsächlich durchgesetzt werden, befürchte sein Verband, "dass wir am Beginn eines internationalen Handelskrieges stehen werden". Denn das würden sich die ausländischen Staaten nicht gefallen lassen. "Das sind ja nicht nur China, Indien und die USA. Man kann sagen, es ist eigentlich Europa gegen den Rest der Welt."