Äthiopien in UN-Sicherheitsrat gewählt
28. Juni 2016Am Ende war es nur noch eine Formsache: Schon vor der Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York war Äthiopien unangefochten als Kontinentalvertreter gesetzt. Im Januar hatten Afrikas Staats- und Regierungschefs Äthiopiens Kandidatur auf ihrem Gipfel abgesegnet. Die Mitbewerber Kenia und Seychellen zogen daraufhin ihre Bewerbung zurück.
Auch die Unterstützung internationaler Schwergewichte wie Brasilien war dem ostafrikanischen Land sicher: Im März sagte der damals noch amtierende brasilianische Außenminister Mauro Viera, Äthiopien könne mit seiner "reichhaltigen Erfahrung in regionalen, Afrika-weiten und globalen Friedensmissionen" einen "immensen Beitrag" im Sicherheitsrat leisten. Neben Ägypten und Senegal wird Äthiopien als drittes afrikanisches Land einen der zehn nicht-ständigen Sitze in dem Gremium innehalten.
Äthiopiens Rolle als regionaler Gendarm
Äthiopiens Beteiligung an und Erfahrung bei der Friedenssicherung in Afrika war in der Tat der größte Bewerbungs-Trumpf: Mit über 8000 Entsandten stellt das Land das weltweit größte Kontingent an Soldaten und Soldatinnen in Friedensmissionen. In seiner offiziellen Bewerbung wies das Land ausdrücklich darauf hin, dass es die "größte Anzahl weiblicher Peacekeeper weltweit" entsende.
Als Gründungsmitglied der Organisation Afrikanischer Einheit, dem Vorläufer der heutigen Afrikanischen Union (AU), ist Afrikas zweitbevölkerungsreichstes Land zweifellos ein zentraler Pfeiler in der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur des Kontinents. Nicht zuletzt weil der ständige Sitz der Afrikanischen Union in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba ist.
Als Vorsitzendem der nordostafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (IGAD) fällt Äthiopien zudem seit Jahren eine wichtige Mittlerrolle in den Konflikten am Horn von Afrika zu - zuletzt bei den mehr als schwierigen Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien im Südsudan.
Äthiopien, das im November 1945 die Gründungscharta der Vereinten Nationen unterzeichnete, hat Afrika bereits zweimal als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat vertreten, zuletzt von 1989 bis 1990. Im Korea-Krieg Anfang der 1950er Jahre waren beim US-geführten Einsatz unter UN-Mandat rund 6000 äthiopische Elitesoldaten im Einsatz. Mehr als 120 starben. Mit Verweis auf dieses langjährige Engagement bei UN-Friedensmissionen trieb Äthiopien seine neuerliche Kandidatur in den vergangenen Monaten konsequent voran. Eine Abfuhr hätte man in Addis Abeba nur schwerlich toleriert.
Friedensstifter im Ausland - aber nicht im Inland?
Kritiker der Bewerbung führen an, dass Äthiopiens Beteiligung an Blauhelm-Missionen in Liberia, Burundi, Somalia, Sudan, Südsudan und an anderen Krisenherden weit erfolgreicher ist als die politische Befriedung des Vielvölkerstaates im Innern. Derzeit gärt es wieder im 90-Millionen-Einwohner-Land: Menschenrechtler, Journalisten und Oppositionelle sprechen von einer weiteren Verengung des politischen Raumes. Die Anti-Terror-Gesetze würden sehr breit ausgelegt, um Dissidenten zu gängeln.
Man wolle "Frieden und Sicherheit durch Dialog und friedliche Konfliktbewältigung" vorantreiben, verkündete das äthiopische Außenministerium als vorrangiges Ziel der Kandidatur im UN-Sicherheitsrat. Zu dieser selbsterklärten Absicht will allerdings nicht so recht passen, dass sich Äthiopien in den vergangenen Wochen heftige Wort- und Grenzgefechte mit seinem Nachbarland Eritrea lieferte.
In diesem Sinne lässt auch eine weitere Passage in der Bewerbung aufhorchen: Man wolle die "Bedeutung von regionalen Vereinbarungen zur Sicherheit ausbauen". Hier stellt sich die Frage, warum Äthiopien selbst den Schiedsspruch einer internationalen Kommission zum Verlauf der gemeinsamen Grenze mit Eritrea ignoriert und weiterhin völkerrechtswidrig eritreisches Gebiet besetzt.
Lässt Äthiopien seinen Reden Taten folgen?
Zuletzt litt auch das Image als friedensstiftende Nation auf UN-Mission: Im Februar war es im Flüchtlingslager Malakal im Südsudan zu Gewalt zwischen Volksgruppen gekommen. Innerhalb von zwei Tagen starben mindestens 30 Menschen. Erst nach 16 Stunden hätten die Blauhelm-Soldaten der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) reagiert, kritisierte die Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Offenbar waren auch äthiopische Soldaten betroffen. Eine Untersuchung soll den Vorwürfen nachgehen.
Einige Äthiopier erhoffen sich positive Auswirkungen des Mandats auf die Innenpolitik. "Vielleicht bringt es ja einen Wandel im Inland und ist für uns eine Chance", schreibt Kibrom Tadesse auf der Facebook-Seite der der äthiopischen Sprachredaktion der Deutschen Welle. Nesta Worku dagegen ist pessimistisch: "Welches afrikanische Land schützt schon Menschenrechte oder Demokratie? Der UN-Sicherheitsrat kann ohnehin nichts ausrichten gegen afrikanische Staatschefs - sie alle unterdrücken Menschenrechte."
Eine neue Chance für die afrikanische Friedens- und Sicherheitspolitik
Bei seiner legendären Rede vor der UN-Generalversammlung 1963 sagte Äthiopiens damaliger Kaiser Haile Selassie: "Die Charta der Vereinten Nationen verleiht den nobelsten Bestrebungen der Menschheit Ausdruck." Und er fügte hinzu: "Aber zunächst sind dies nur Worte - ihr Wert hängt allein davon ab, ob wir ihnen konkrete Inhalte folgen lassen."
Ein halbes Jahrhundert später ist Äthiopien kein Kaiserreich mehr, sondern eine - leidlich - demokratisch legitimierte Bundesrepublik. Mit zweistelligen Wachstumsraten ist das Land eine von Afrikas aufstrebenden Wirtschaftsnationen, den sogenannten Löwen-Staaten. Das bringt auch Verantwortung mit sich. Wird Äthiopien die wahrnehmen und zeigen, dass der Kontinent die vielzitierten "afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme" findet? Gerade auf dem Feld der Friedens- und Sicherheitspolitik wäre das notwendig.
Hierbei böte sich ein ganz konkretes Projekt an: Gleichzeitig mit ihrer Gründung 2002 verabredete die Afrikanische Union die sogenannte Afrikanische Sicherheits-Architektur (APSA). Die APSA soll als kollektives Sicherheits- und Frühwarnsystem frühzeitige und effektive Reaktionen auf Krisen und Konfliktsituationen ermöglichen. Doch passiert ist bislang wenig. Äthiopien könnte das Projekt neu beleben. Kernelement der APSA ist eine panafrikanische schnelle Einsatztruppe. Ihr Hauptsitz: Addis Abeba.