Bangen um Äthiopiens Welterbestätte Lalibela
27. Dezember 2021Am Flughafen von Lalibela laufen die Wiederaufbauarbeiten auf Hochtouren. Als die TPLF-Rebellen , die Volksbefreiungsfront von Tigray, die Pilgerstätte in Nordäthiopien Anfang Dezember erneut einnahmen, verwüsteten sie den Terminal. Nach der Rückeroberung durch die Regierungstruppen besteht nun wieder Hoffnung für die zehntausende äthiopischen Gläubigen, die in den kommenden Wochen aus der Diaspora anreisen wollten: Mit Weihnachten am 7. Januar und dem Timkat-Fest, der Taufe Jesu, am 19. Januar stehen wichtige Feiertage für die äthiopisch-orthodoxen Christen bevor. "Die Religion ist für die orthodoxen Christen Lebenselixier und deswegen spielen solche Pilgerstätten eine große Rolle", so Pfarrer Joachim Hempel. Zwischen 2018 und 2019 leitete er die Pfarrstelle der Deutschen Evangelischen Kirche in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und hat zudem mehrere Studienreisen nach Lalibela unternommen.
Etliche Pilger werden die Reise nach Lalibela zudem mit dem Auto oder sogar zu Fuß antreten und teilweise tagelang auf zerstörten Straßen unterwegs sein: Seit über einem Jahr liefern sich Rebellen der TPLF, der Volksbefreiungsfront von Tigray, Kämpfe mit den Regierungstruppen unter Premierminister Abiy Ahmed. Ahmed war 2018 mit dem Versprechen an die Macht gekommen, Äthiopien zu reformieren. Er entmachtete die TPLF, die das Land 25 Jahre lang dominierte. Die seit November letzten Jahres anhaltenden Kämpfe haben das Land am Horn von Afrika in eine humanitäre Krise gestürzt.
Lalibela wurde bereits zweimal von den Rebellen besetzt und von den Regierungstruppen zurückerobert: "Es ist ein Ort, der für die gesamte äthiopische Bevölkerung einen großen symbolischen Wert hat und wer dort den Fuß in der Tür hat, hat zumindest erst einmal die mediale Aufmerksamkeit auf seiner Seite", so Joachim Hempel im Gespräch mit der DW. Der politische Analyst Asfa-Wossen Asserate pflichtet ihm bei: Lalibela habe nie direkt mit dem Konflikt zu tun gehabt. "Es gab keinen militärischen Grund, sondern einen publizistischen."
Vom Erdboden in den Fels gehauen
Die Stadt Lalibela mit ihren rund 3500 Einwohnern liegt versteckt in den Bergen in der Region Amhara an der Grenze zu Tigray, eben jener Region, aus der die Rebellen stammen. Sie ist berühmt für ihre Felsenkirchen, die um 1200 n. Christus im Auftrag von König Gebre Meskel Lalibela gebaut wurden. Die Besonderheit dieser Kirchen: Sie wurden direkt in das vulkanische Gestein gehauen. Die bekannteste der Kirchen, "Bete Giyorgis" ("Haus des heiligen Georgs"), wurde 13 Meter tief in Form eines griechischen Kreuzes in den Stein gemeißelt. Vor der Corona-Pandemie kamen jährlich zwischen 40.000 und 50.000 Besucher, um sich die einzigartigen Kirchen anzusehen, die seit 1978 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählen.
"Lalibela wurde errichtet als eine 'Kompensation' für fromme äthiopische Christen, um die nicht mehr mögliche Pilgerreise nach Jerusalem durch eine Reise nach Lalibela zu ersetzen", so Pfarrer Hempel. 1187 wurde Jerusalem von dem islamischen Herrscher Saladin erobert: Das spirituelle Zentrum der Christenheit war fortan Teil der muslimischen Welt. Auch in den angrenzenden Regionen Äthiopiens spielte der Islam zu dieser Zeit zunehmend eine wichtige Rolle. Etwa im aksumitischen Reich, einem spätantiken Staat, der das heutige Eritrea, Teile Äthiopiens, des Sudans und des Jemen umfasste. Dessen Hauptstadt Aksum, in der heutigen Region Tigray gelegen, galt bis zum Niedergang des Reiches als christliches Zentrum Äthiopiens. An diese Stelle trat Lalibela.
Seine Bedeutung für das Christentum hat es behalten. Aber es hat sich auch zu einem wichtigen Zentrum für die Wissenschaft entwickelt, erklärt Marco Vigano, Gründer und Koordinator von zwei Nicht-Regierungsorganisationen, die sich mit der Erforschung und Verwaltung des äthiopischen Natur- und Kulturerbes befassen. "Viele der goldenen Gemälde auf den Felsen im Inneren der Hauptkirchen, etwa über die Kreuzigung Christi, sind wahrlich einzigartig. Sie sehen immer noch die Farben." Und so zieht die Stätte nicht nur Gläubige und Touristen, sondern etwa auch Archäologen an.
Schwere Menschrechtsverletzungen
Als die Rebellen in Lalibela einmarschierten, plünderten sie Häuser und Hotels und begingen Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung bis hin zum Mord. Etliche Bewohner sind laut Marco Degasper, Reiseleiter bei Simien Eco Tours, nach Bahir Dar, Hauptstadt der Amhara-Region, oder nach Addis Abeba geflohen. Die Felsenkirchen haben die Rebellen indes nicht angerührt: Sie sind intakt. Das bestätigt Lazare Eloundou Assomo, Direktor des UNESCO-Welterbezentrums, und ergänzt: "Es ist tatsächlich so, dass sich die gesamte internationale Gemeinschaft mobilisiert, um zur Erhaltung der Stätte beizutragen", so Eloundo im Gespräch mit der DW. "Wir werden alles dafür tun, damit die Äthiopierinnen und Äthiopier weiterhin international unterstützt und begleitet werden, um gemeinsam für den Erhalt dieser Stätte zu arbeiten."
Nach und nach kehren auch die Geflüchteten nach Lalibela zurück. Sie hoffen sehr, dass sie die Infrastruktur so weit wieder aufbauen können, um die Gläubigen zum äthiopischen Weihnachtsfest empfangen zu können. Derzeit gebe es in der Region allerdings noch keinen Strom und kein fließendes Wasser, so Reiseleiter Degasper, der mit seinen Kollegen vor Ort im engen Austausch steht.
Angst vor erneuter Gewalt müssten die Bewohner Lalibelas allerdings nicht haben, meint der äthiopische Politikwissenschaftler Asfa-Wossen Asserate: "Alle Gebiete, die bislang von der TPLF eingenommen waren im Amhara-Gebiet, sind jetzt befreit worden." Allerdings sei es zu früh, um vorhersehen zu können, wie sich der Konflikt weiter entwickeln werde.
In Lalibela blicken die Menschen entschlossen in die Zukunft, um die Pilgerstätte wieder zu dem zu machen, was sie war: ein Ort des Friedens, des Glaubens und der Hoffnung.