Kurz will wieder Kanzler werden
28. September 2019Wenige Tage vor den vorgezogenen Wahlen zum Nationalrat hat das österreichische Parlament den Notstand erklärt, nicht den politischen, sondern den Klima-Notstand. Mit dieser symbolischen Aktion wollten alle Parteien - außer der rechtspopulistischen FPÖ - ein Zeichen im eher müden Wahlkampf setzen. Der Kampf gegen die Erderwärmung ist in. Auch der Kanzlerkandidat der konservativen ÖVP, Sebastian Kurz, hat das Thema besetzt. Schließlich kann der 33 Jahre alte Ex-Kanzler, der im Mai per Misstrauensvotum gestürzt wurde, nicht immer nur über die Verhinderung von Migration in die Alpenrepublik sprechen. Die Rechtspopulisten sind die einzigen, die eine Begrenzung des CO2-Ausstoßes für Hysterie halten. Norbert Hofer, neues Gesicht der Rechten, hält den Klimawandel genau wie sein Vorbild US-Präsident Donald Trump oder die rechten Kollegen von der deutschen AfD für einen aufgeblasenen Schwindel.
"Ibiza" brachte die rechte Koalition zu Fall
Der Skandal rund um den ehemaligen Parteivorsitzenden der FPÖ, Heinz-Christian Strache, der auf Ibiza einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte gegen illegale Parteispenden politische Gefälligkeiten anbot, spielte im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. Das heimlich aufgenommene Ibiza-Video brachte die konservativ-populistische Koalition unter Kanzler Kurz zu Fall. Kurz sah sich wegen der offensichtlichen und dreisten Verfehlungen seines Vize-Kanzlers Strache veranlasst, im Mai die Zusammenarbeit zu beenden und gleich auch noch den damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl zu entlassen. Die FPÖ rächte sich, indem sie Sebastian Kurz per Misstrauensvotum aus dem Kanzleramt katapultierte und Neuwahlen nötig machte. Kurz, der sich als Opfer sieht, beteuert, er habe von alledem nichts gewusst. Und auch die FPÖ sieht sich als Opfer einer "kriminellen Bande", die das Video illegal veröffentlicht haben. Diverse Verschwörungstheorien kursieren daraufhin.
Kurz führt unangefochten
Das unrühmliche Ende der türkis-blauen Koalition aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ hat den ehemaligen Partnern kaum geschadet. Nach den letzten Umfragen liegt Sebastian Kurz mit seiner ganz auf seine Person zugeschnittenen ÖVP bei 34 Prozent. Er könnte sogar noch mehr Stimmen bekommen als bei der letzten Wahl und könnte die mit Abstand stärkste Kraft werden. Die FPÖ, die immer noch mit sich ringt, ob sie das schwarze Schaf Heinz-Christian Strache aus der Partei werfen soll, kommt nach derzeitigem Stand wahrscheinlich mit einem blauen Auge davon. Die FPÖ wird mit 20 Prozent sechs Prozent der Wählerinnen und Wähler verlieren, aber sie kämpft trotzdem mit den Sozialdemokraten (22 Prozent) um Platz zwei. Die Grünen ziehen mit um die 12 Prozent wieder ins Parlament ein.
Neue Vorwürfe gegen Strache
Gegen den Skandal-Chef der FPÖ, Heinz-Christian Strache, wird jetzt auch ermittelt, weil er zusammen mit seiner Frau, seiner Sekretärin und seinem Leibwächter Parteigelder veruntreut und Spenden von dubiosen Oligarchen aus Osteuropa angenommen haben soll. Der Leibwächter ist geständig und soll auch in der Ibiza-Video-Affäre eine Rolle spielen. Obwohl bei der FPÖ jetzt kräftig schmutzige Wäsche gewaschen wird, bleibt das Management eher gelassen. "Wir haben genug Stammwähler, die treu bleiben", sagte eine hochrangige Funktionärin kürzlich.
Bei den kleineren Parteien können sich wahrscheinlich die Grünen freuen. Sie könnten dieses Mal den Sprung über die vier Prozent-Hürde schaffen und wieder in den Nationalrat einziehen, in dem sie bis 2017 saßen. Dem aktuellen Klimawandel-Thema sei Dank, meint Grünen-Chef Werner Kogler.
Wahlkampf als Paartherapie
In den Fernsehduellen während des Wahlkampfes ging es vergleichsweise friedlich zu. ÖVP-Chef Sebastian Kurz verpasste sich das überarbeitete Image des bescheidenen Jungen vom Lande. Er betonte, dass er im ländlichen Waldviertel bei den Großeltern gerne Ziegen gestreichelt hat. Früher legte er Wert darauf, in einem Arbeiterviertel in Wien aufgewachsen zu sein. Im Wahlkampf geht es um Heimat, Identität und die populistische Abgrenzung von vermeintlichen Eliten. Der Wahlkampfslogan der ÖVP: "Wir wollen unseren Kanzler wieder haben!" Österreich will das Vertraute, keine Experimente.
Im direkten Streitgespräch mit Sebastian Kurz machte sich die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten (SPÖ) Pamela Rendi-Wagner über den Imagewandel von Kurz lustig. Kurz schnappte zurück, man könne auch an zwei Orten aufwachsen. Rendi-Wagner setzt in ihre Kampagne auf Optimismus, auch wenn sie weiß, dass Kurz uneinholbar weit vorne liegt. Ihr Wahlslogan: "Yes, we Pam!"
Die FPÖ schaltete Anzeigen mit dem radikalen Chefideologen Herbert Kickl, auf denen stand: "Wir verhindern, dass Kurz nach links kippt." Dieses fürsorgliche Angebot ist eine direkte Aufforderung an die Türkisen wieder mit den Blauen zu koalieren. Ins Groteske gesteigert hat diese Offerte ein Fernsehspot, der den echten FPÖ-Chef Norbert Hofer und Sebastian Kurz, von einem Schauspieler dargestellt, bei einer Eheberatung zeigt. "Wollen Sie das wirklich wegen Ibiza aufs Spiel setzen", fragt die Ehetherapeutin scheinheilig. Fazit des Spots: Rechtspopulisten und ÖVP gehören zusammen.
Koalition zwischen Konservativen und Rechtspopulisten?
Schwamm drüber über die verzeihlichen Sünden der FPÖ, fordert Norbert Hofer. Sebastian Kurz hat sich vor der Wahl nicht auf das Werben eingelassen und keine Koalitionsaussage gemacht. Eine Zusammenarbeit mit der FPÖ fiele ihm schwer, er sei persönlich enttäuscht und fühle sich hintergangen, heißt es aus seiner Umgebung. Aber eine andere Koalition zu bilden, dürfte auch schwer werden. Eine Neuauflage der Jahrzehnte währenden Verbindung zwischen ÖVP und Sozialdemokraten wünschen beide Seiten nicht. Für eine Regierungsmehrheit von ÖVP, Grünen und liberalen Neos, die sich Sebastian Kurz durchaus vorstellen kann, ist die Ökopartei wahrscheinlich programmatisch zu weit links. Kurz selbst räumte ein, dass es zu einer sozialdemokratisch geführten Regierung kommen könnte, wenn die kleinen Parteien, Grüne, Liberale Neos, Liste Jetzt und die SPÖ noch jeweils ein paar Punkte zulegen.
Inhaltlich hätte Sebastian Kurz wenig Bedenken, mit den Rechtspopulisten weiter zu regieren. Bei der Migrationsfrage sind sich beide Parteien einig: Es geht um Heimatliebe, um österreichische Identität. Diese Vokabeln sind auch Kurz nicht fremd. Allerdings sieht er Teile der FPÖ zu nahe an rechtsextremen Gruppierungen wie der Identitären-Bewegung. Die FPÖ-Spitze streitet solche Verbindungen ab oder bagatellisiert sie. Ein Dorn im Auge ist für Kurz auch Herbert Kickl. Der entlassene Innenminister ist die Nummer zwei bei den Rechtspopulisten und könnte im neuen Parlament Fraktionsvorsitzender werden. Ein Kanzler Kurz müsste mit Kickl zusammenarbeiten. "Würden Sie mit den Blauen koalieren, wenn der Kickl nicht da wäre", wollte die Moderatorin des TV-Senders Puls von Kandidat Kurz wissen. Seine Antwort war nichtssagend. Mit einem breiten Lächeln sagte er: "Erst wird gewählt, dann sehen wir weiter."
Auch eine Minderheitsregierung schließt der wendige Kurz nicht mehr aus. Die letzten Wahllokale schließen um 17 Uhr. Unmittelbar danach sollen erste Hochrechnungen vorliegen.