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Politik

Lockdown als Notbremsung

Stephan Ozsváth
17. November 2020

Österreich befindet sich seit diesem Dienstag im zweiten Lockdown der Corona-Pandemie. Das öffentliche Leben wurde auf Minimalbetrieb heruntergefahren. In der Bevölkerung stoßen die Maßnahmen auf Verständnis.

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Wien - Kino geschlossen wegen Coronavirus
Wien - Kino geschlossen wegen CoronavirusBild: picture-alliance/W. Gredler-Oxenbauer

"Heute hat der zweite Lockdown begonnen", teilt Gesundheitsminister Rudi Anschober per Twitter mit und liefert das Warum gleich nach: "Eine Notbremsung gegen Pandemie und für Intensivstationen". Im Bundesland Kärnten sind bereits 80 Prozent der Krankenhausbetten belegt, die Hälfte von Österreichs Intensivstationen ist mit Covid-19-Patienten gefüllt. Die Corona-Ampel steht in ganz Österreich auf Rot.

Rückzug in die eigenen vier Wände

Auch im Alltag kommt das Virus näher. "Wir haben bereits einen Cluster auf Station", erzählt meine Frau, die als Onkologin in einem Wiener Krankenhaus arbeitet. Mehrere Patienten und Kollegen sind infiziert, insgesamt ein Dutzend Menschen. "Meine Chefin hat mich angerufen", teilt meine Tochter Anna das Ergebnis ihres Corona-Tests in der Whatsapp-Familiengruppe, "alles negativ". Im Oktober 2020 hat die 18-Jährige ein freiwilliges soziales Jahr in einem Wiener Seniorenheim begonnen, eine Kollegin hat sich dort kürzlich mit dem Corona-Virus angesteckt. "Wir werden jetzt alle zwei Mal pro Woche getestet", erzählt sie. Für meine Tochter Luise (15) hatte das neue Schuljahr schon mit einem Corona-Fall in der Klasse begonnen. Seit den Herbstferien ist sie mit ihrer Schwester Julia (17) zum Home-Schooling verdonnert. Nur zu den Schularbeiten mussten sie ins Gymnasium im 13.Wiener Gemeindebezirk. Jetzt sind die Schulen dicht.

Österreich | Coronavirus | PK Bundeskanzler Sebastian Kurz
Bundeskanzler Sebastian Kurz: "Jeder soziale Kontakt ist einer zuviel"Bild: Hans Punz/APA/picture alliance

"Treffen Sie niemanden", hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als Parole ausgegeben. "Jeder soziale Kontakt ist einer zuviel". Nur noch wer zum Arzt, zur Arbeit, in die Apotheke oder zum Einkaufen muss, darf während des zweiten Lockdowns raus. Auch Joggen im Park geht. Ansonsten sollen sich die Österreicher wieder mit ihren vier Wänden anfreunden und alle Sozialkontakte herunterfahren. Der konservative Kanzler hat jetzt auch Massentests wie in der Slowakei angekündigt, um ein "möglichst sicheres Weihnachtsfest zustande zu bringen", so Kurz im österreichischen Fernsehen. In der Slowakei hatten 3,6 Millionen Bürger bei einem Massentest mitgemacht, dabei waren 38.000 Corona-Positive entdeckt worden.

Shopping kurz vor Torschluss

"Montag war die Hölle los", erzählt Guido Wetter im DW-Interview. "Wie der dritte Weihnachts-Samstag" sei es gewesen, beschreibt er den Betrieb in seiner kleinen Buchhandlung, die er zusammen mit seiner Frau Brigitte im Wiener Südwesten betreibt. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr haben sie Bücherpakete an ihre Kunden ausgeliefert. Jetzt wickeln sie Bestellungen wieder nur noch online oder telefonisch ab. Dürfen sie im Lockdown "Bücher to go" als geistige Nahrung anbieten wie die Gaststätten ihre Mahlzeiten? Er weiß es nicht. Die Verordnungen seien "schwammig formuliert", beklagt er, da stehe nur: "Der Kundenbereich darf nicht betreten werden".

Österreich Corona-Lockdown
Brigitte und Guido Wetter, Buchhändler in Wien: "Es wird nicht gut kommuniziert"Bild: Stephan Ozsváth/DW

Der schwarz-grünen Regierung mit Kanzler Kurz an der Spitze, der einen Tross PR-Mitarbeiter beschäftigt, um sich optimal in Szene zu setzen, bescheinigt Wetter: "Es wird nicht gut kommuniziert". Insgesamt macht sich der Buchhändler aber keine Sorgen. "Viele Leute im Bezirk kaufen bewusst bei uns", erzählt der Buchhändler, große Ketten litten eher unter der Corona-Pandemie. Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft nach dem Lockdown ist Wetter optimistisch. Er rechnet damit, dass dann wieder viele Leute in seinen Laden kommen werden, um Bücher für den Gabentisch zu kaufen.

Handel und Wiener Linien im Corona-Minus

Großen Andrang gab es kurz vor dem Lockdown in vielen Einkaufszentren in Österreich. Schuld daran waren Rabatt-Angebote von Möbel- und Schuhhändlern. Insgesamt aber rechnet die Wirtschaftskammer Österreich im Corona-Jahr 2020 mit 50 Prozent Umsatzeinbußen. Die Wiener Regierung ersetzt dem Handel die Einbußen während des Lockdowns mit 20 bis 60 Prozent des November-Umsatzes vom Vorjahr. Das Forschungsinstitut KMU Forschung Austria geht im Handel unterm Strich für das Corona-Jahr 2020 dennoch von rund zwei Milliarden Euro Umsatzminus aus.

Der Handel ist in Österreich ein wichtiger Wirtschaftszweig, in dem mehr als eine halbe Million Menschen arbeiten. Auch die Wiener Linien lassen in diesem Jahr Federn, wollen aber trotz Lockdown Busse, U-Bahnen und Tram nach normalem Fahrplan fahren lassen. "Wir wollen Wien mobil halten", sagte eine Sprecherin. Die Wiener Linien verweisen auf Studien, die Öffis als Corona-Infektionsherd ausschließen. Es gebe keinen Grund zur Sorge in den öffentlichen Verkehrsmitteln, sagte die Sprecherin im Gespräch mit Radio Wien. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr war die Zahl der Wiener Linien-Nutzer um 80 Prozent zurück gegangen. Auf das ganze Jahr gerechnet sind es 40 Prozent weniger Fahrgäste als im letzten Jahr.

Corona-Gewinner: Waffenhändler

Markus Schwaiger kann sich nicht beklagen. Sein Geschäft bleibt geöffnet, denn Waffenhändler gelten laut Regierungsverordnung als "systemrelevant" und haben deshalb trotz Lockdown geöffnet.

Österreich Corona-Lockdown
Markus Schwaiger, Waffenhändler in Wien: "Waffenführerscheine gehen wie geschnitten Brot" Bild: Stephan Ozsváth/DW

Schwaiger kann dabei mit einem Pfund wuchern: Einem eigenen Schießstand. Andere Sportstätten müssen nämlich während des Lockdowns schließen. "Es kommen dreimal so viele Leute wie sonst", sagt der Betreiber von Euroguns im vierzehnten Wiener Gemeindebezirk auf DW-Anfrage, wegen der Corona-Auflagen nimmt er aber immer nur zwei auf einmal in den Schießkeller mit. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr haben Österreichs Waffenhändler mehr Gewehre und Pistolen verkauft als sonst, jetzt gebe es vor allem eine starke Nachfrage nach einem Waffenführerschein, ohne den es keine Waffenbesitzkarte gibt. "Waffenführerscheine gehen wie geschnitten Brot", bekräftigt Schwaiger, bis zu 40 pro Woche verkaufe er, das seien drei bis viermal mehr als sonst.

Vor zwei Wochen hatte ein Attentäter in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und war anschließend selbst von der Polizei erschossen worden. "Seit dem Anschlag rennen sie uns die Bude ein", begründet er das gesteigerte Interesse der Österreicher an seinen Kursen. Die hält er Corona-gerecht via E-Learning ab, nur die praktischen Prüfungen finden auf dem Schießstand statt. "Wir haben selber Angst vor Corona", sagt der Waffenhändler und rechnet vor, wieviel Umsatz ihm verloren ginge, wenn er drei Wochen wegen Quarantäne-Maßnahmen zusperren müsste. Es sind fünfstellige Euro-Beträge. "Es rennt", umschreibt der Krisengewinner sein Geschäft.