Skandal stellt Österreichs Regierung auf die Probe
26. Januar 2018Das Liederbuch der österreichischen Burschenschaft Germania scheint aus der schlammigen Tiefe nationalsozialistischer Traditionspflege zu stammen: "Gebt Gas ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million", heißt es etwa darin - eine Anspielung auf sechs Millionen von den Nationalsozialisten ermordete Juden.
Weitere Lieder verherrlichen Gräueltaten der deutschen Wehrmacht auf Kreta und der Legion Condor, die im Spanischen Bürgerkrieg unter anderem die Stadt Guernica vernichtete.
Dieser unverhohlene Nazismus wird jetzt zur ersten Bewährungsprobe für die Wiener Regierungskoalition von konservativer ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ - und damit auch für Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Dünnes Eis für Regierungsmitglieder aus Wien
Am Donnerstag früh redete sich Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) beim Treffen mit seinen EU-Kollegen in Sofia beinahe um Kopf und Kragen. Es ging um die Verbindung von FPÖ-Landtagskandidat Udo Landbauer zu jener Burschenschaft Germania. Ob denn die Staatsanwaltschaft auch gegen Landbauer ermitteln würde, wurde Kickl gefragt: "Ich halte es für ausgeschlossen, dass es Ermittlungen gegen ihn gibt, er ist erst später in diese Burschenschaft eingetreten." Beim Zeitpunkt der Veröffentlichung sei Landbauer erst elf Jahre alt gewesen.
Tatsächlich wurde das Liederbuch 1997 veröffentlicht. Es lag aber bis heute in den Räumen der Burschenschaft herum, wo es inzwischen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde. Und Kickls Erklärung klang zunächst fatal nach Weisung in Richtung Justiz. Später am Tage dann ruderte er zurück und differenzierte seine Aussage.
Kickl steht darüber hinaus selbst unter dem Verdacht, NS-Gedankengut zu pflegen, seit er Anfang Januar "Grundversorgungszentren" gefordert hatte, in denen Asylbewerber künftig "konzentriert" werden sollten. Aber auch das will er später nicht so gemeint haben. Es scheint so, als ob einige FPÖ-Mitglieder hier auf einem engen Grat balancierten.
ÖVP-Justizminister beschwört Unabhängigkeit der Justiz
Am Freitag dann traten die EU-Justizminister in Sofia zusammen und der österreichische Vertreter Josef Moser versicherte vor der Presse , natürlich sei die Justiz in seinem Land in diesem und in anderen Fällen völlig unabhängig: "Das garantiere ich ihnen zu Tausend Prozent, weil da geht es um Vertrauen, um Rechtsstaatlichkeit."
Moser nannte das Liederbuch "absolut widerwärtig", "rassistisch und untragbar". Deswegen habe die Staatsanwaltschaft inzwischen auch bei der Germania eine Hausdurchsuchung vorgenommen, bei der 19 Liederbücher beschlagnahmt wurden. Außerdem gab es erste Befragungen von Verdächtigen. "Da ist mit aller Akribie vorzugehen, um solche Vorfälle in Zukunft nicht mehr stattfinden zu lassen", sagte Moser. Der Justizminister gehört zur ÖVP, Regierungspartei von Bundeskanzlerin Kurz, und bemühte sich in der bulgarischen Hauptstadt erkennbar, den Ruf der österreichischen Justiz zu schützen.
Wo steht die FPÖ in dem Skandal?
Udo Landbauer, der am Sonntag bei der Niederösterreichischen Landtagswahl als Spitzenkandidat antritt, erklärte er habe von nichts gewusst, das Liederbuch gar nicht gekannt. Inzwischen hat er seine Mitgliedschaft bei der Germania auch irgendwie niedergelegt oder ausgesetzt. Alle Forderungen nach seinem Rücktritt weist er zurück und holt stattdessen zum Gegenangriff auf die österreichischen Medien aus: "Die linke Seite versucht, mir diese Sache anzuhängen." Er habe niemals solche verwerflichen Lieder gesungen, in seiner Anwesenheit seien sie nicht vorgekommen.
Vizekanzler und FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache will jetzt eine Historikerkommission berufen, um die Nazi-Probleme seiner Partei aufzuarbeiten. Darüber hinaus aber spricht er von einer Kampagne und unterstützt Landbauer demonstrativ im Wahlkampf in Niederösterreich.
Österreichische Zeitungen veröffentlichen derzeit lange Listen von Vorfällen, die die Nähe von verschiedenen FPÖ-Politikern zu national-sozialistischem Gedankengut und entsprechenden Formulierungen belegen. Der Skandal um die Burschenschaft Germania erscheint als die Spitze eines Eisberges.
In Wien demonstrierten unterdessen mehrere Tausend Menschen friedlich gegen den von der FPÖ ausgerichteten Akademikerball, der als Treffpunkt von Rechtsextremen und Burschenschaftern bekannt ist. Auf Transparenten wandten sie sich gegen Rassismus und Sozialabbau. Viele hielten Schilder mit den Worten "Widerstand" und "Lasst Nazis nicht regieren" hoch. FPÖ-Chef Strache verurteilte in seiner Rede bei dem Ball in der Hofburg Antisemitismus in den eigenen Reihen.