Stimmungsmache gegen Muslime
12. Oktober 2017Jeden Tag begleitet Hakima R. ihren Sohn Tariq zur Schule. Ihr Weg führt durch eine lange Kastanienallee, die in der herbstlichen Sonne besonders leuchtet. An sich ist es ein genussvoller Spaziergang, doch seit einigen Wochen hängen in dieser Allee viele Wahlplakate, auch von der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Die Zuwanderung und die Islamisierung müssten gestoppt werden, heißt es dort. Das, sagt Hakima R., trübt ihre Stimmung, sogar an einem schönen Tag. "Wenn ich das richtig verstehe, wirft der eine Herr dem anderen vor, dass er einmal gesagt hat, dass der Islam zu Österreich gehört, und er will jetzt die Islamisierung stoppen. Wir kommen aus Syrien und sind Muslime und naja, da fühlen wir uns schon angesprochen", sagt sie.
Hakima R. lebt mit ihrer Familie seit drei Jahren in Österreich. Ihr Sohn besucht die erste Klasse der Volksschule am Johann-Hoffmann-Platz im 12. Wiener Gemeindebezirk. Weil es hier recht günstige Sozialwohnungen gibt, besuchen viele Zuwandererkinder die Schule. Gleichzeitig hängen in diesem Stadtteil viel mehr FPÖ-Plakate als in anderen Teilen der Stadt. "Ich bin schon überrascht. Wir sind nach Europa gekommen, will wir geglaubt haben, dass Österreich eine offene Demokratie ist. Und wenn ich mir die Plakate ansehe, fühle ich mich nicht wohl", sagt Hakima.
Kampf am rechten Rand
Der Wahlkampf in Österreich geht in die Zielgerade und wie selten zuvor spitzt er sich auf die Themen Zuwanderung, Islamisierung, Flüchtlinge und Grenzschutz zu. Dabei liefern sich in erster Linie die mitregierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die oppositionellen Freiheitlichen einen heftigen Kampf. Der Spitzenkandidat der ÖVP, Sebastian Kurz, will die Grenzen des Landes besser schützen, den politischen Islamismus bekämpfen und die Zuwanderung einschränken. Die FPÖ propagiert im Grunde das Gleiche, fühlt sich jedoch um ihre Themen betrogen. So besteht der Wahlkampf des Spitzenkandidaten der FPÖ, Heinz-Christian Strache, zum großen Teil aus Kritik am amtierenden Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz; dieser sei ein "Spätzünder" und habe die Wichtigkeit mancher Themen wie Islamismus und Zuwanderung erst Jahre nach der FPÖ erkannt.
Mittlerweile träten beide Parteien in gleichem Maße populistisch auf, meint dazu Mohammad Amini, ein Wiener Sozialarbeiter, der selbst aus dem Iran kommt. Was ihn an der Diskussion stört, ist, dass die Islamisierung nur mit Flüchtlingen und mit den Leuten assoziiert wird, die erst in den letzten Jahren ins Land gekommen sind. "Populisten brauchen nun mal ein Feindbild, und das ist gerade der Islam. Islamisierung wird dabei oft nur mit Flüchtlingen verbunden, aber die Islamisierung findet viel mehr bei Leuten statt, die länger im Land leben, die Diskriminierung am Arbeits- oder Wohnungsmarkt erleben und trotz ihrer Bemühungen nichts erreichen können", sagt Amini.
Verallgemeinerungen
Im Wahlkampf wird das Thema nur oberflächlich, vor allem populistisch behandelt. So wurde gerade letzte Woche eine Studie veröffentlicht, derzufolge jede dritte Moschee in Wien aktiv gegen eine erfolgreiche Integration arbeite. Heikel dabei: von rund 400 Moscheen in Wien wurden in der Studie nur 16 Moscheen untersucht. In Auftrag gegeben und präsentiert wurde sie von ÖVP-Spitzenkandidat Kurz. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) reagierte prompt und außergewöhnlich kritisch. "Wir gehen davon aus, dass es sich um eine Auftragsstudie handelt, die politische Ziele verfolgt: öffentliche Denunzierung muslimischer Einrichtungen und die Hinterfragung der Glaubwürdigkeit ihrer Lehre. Mit wissenschaftlicher Ethik hat dieser politische Auftrag nichts gemeinsam", heißt es in einer Stellungnahme der IGGiÖ.
Generalisierende Vorwürfe stören auch Vildana Arnautovic aus Bosnien-Herzegowina, Lehrerin an einer berufsbildenden Hochschule in Wien. Vor einigen Jahren war sie noch als so genannte Integrationsbotschafterin Teil des Teams von Sebastian Kurz - im Rahmen der Aktion "Zusammen Österreich". Kurz ließ erfolgreiche und gut integrierte Zuwanderer durch Wiener Schulen touren, um dort als gutes Beispiel für Zuwandererkinder zu dienen. Mittlerweile hat Arnautovic das Projekt verlassen, "weil Sebastian Kurz für mich nicht mehr die Legitimation hat, dieses Projekt zu vertreten. Früher hieß es: Integration durch Leistung, Islam gehört zu Österreich, es dürfen keine Unterschiede gemacht werden zwischen Menschen verschiedener Hauptfarbe oder Konfession und so weiter. Heute redet er ganz anders, behauptet dass sich Muslime nicht integrieren wollen, sagt, dass Flüchtlinge die Eindringlinge sind", kritisiert Arnautovic den Kandidaten. "Probleme gibt es und die muss man angehen, keine Frage, aber man kann auch nicht sagen, dass alle die nach Österreich kommen, Wilde sind, denen gezeigt werden muss, wie man zivilisiert lebt."
Die Strategie geht auf
In den Umfragen liegt Sebastian Kurz derzeit vorne, und es könnte ihm gelingen, viele frühere FPÖ-Wähler zur ÖVP zu holen, damit diese weiter regieren kann. Dass Themen wie Steuerpläne, Wirtschaftswachstum oder gewisse bildungspolitische Maßnahmen im Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle spielen, darüber sind sich in Wien alle einig. Dass der Wahlkampf mitunter lächerliche Züge hat, davon zeugt ein Kommentar eines der prominentesten Analytiker des Landes, Peter Filzmaier, der nach einer TV-Debatte mit Sebastian Kurz urteilte: "Kurz hat ein Glück, dass es heute nicht um Verkehrspolitik ging, weil... da hätte er wahrscheinlich auch argumentiert, das verkehrspolitische Problem Österreichs sind die Burkaträgerinnen, die illegal in zweiter Spur vor islamischen Kindergärten parken."
Die Sache ist nicht nur lustig, meint Sozialarbeiter Mohammad Amini, schon gar nicht für Leute, die schwere Kriegserlebnisse hinter sich haben. "Es wird den Leuten ohnehin recht schnell klar, dass sie hier nicht wirklich willkommen sind, da muss man nicht unbedingt noch eins drauf setzen", meint Amini. Und Hakima R., findet sie das lustig, oder machen ihr die Plakate gar Angst? "Nein", antwortet sie "Angst macht mir das keine, aber ich frage mich schon, wie das weitergehen wird, und ob ich nicht bald wieder wegziehen muss, um meiner Familie ein Leben ohne Diskriminierung zu ermöglichen."