Höhere Steuern für Krisengewinnler?
6. Juni 2022Will Deutschland eine Übergewinnsteuer einführen?
In Deutschland wird angesichts steigender Spritpreise über die Einführung einer Sondersteuer für Mineralölkonzerne diskutiert. Sie könnte zum Stresstest für die regierende Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen werden. Jetzt hat Bremen eine Initiative gestartet. Das Bundesland will am 10. Juni einen Antrag in den Bundesrat einbringen, der vorsieht, Übergewinne von Konzernen in Krisen- und Kriegszeiten mit einer einmaligen Sonderabgabe zu belegen.
Befürwortet die Ampelkoalition die Einführung?
Die Ampelkoalition ist in dieser Frage gespalten. Während SPD und Grüne die Einführung einer Übergewinnsteuer befürworten, sprechen sich die Liberalen dagegen aus. "Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat dazu beigetragen, dass die Preise für fossile Energie dramatisch gestiegen sind", sagte Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge der Zeitung "Tagesspiegel": "Wenn in dieser Krise Energiekonzerne exzessive Gewinne machen, muss man über eine sogenannte Übergewinnsteuer diskutieren."
Bundesfinanzminister Christian Lindner, der sich angesichts der wachsenden Verschuldung eigentlich über zusätzliche Steuereinnahmen freuen müsste, lehnt die Sonderabgabe ab. Im Mai sagte Lindner, der auch FDP-Chef ist, dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", dass eine solche Steuer "auch die Hersteller von Impfstoffen, Wind- und Solarkraftanlagen oder Halbleitern treffen würde."
Ist die Übergewinnsteuer eine neue Steuer?
Nein. Die Idee, Krisengewinnler extra zu besteuern, wurde bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg in den USA und Großbritannien umgesetzt. Rüstungskonzerne wurden damals mit einer sogenannten "Excess Profits Tax" belegt.
Während der Corona-Krise wurde die Idee erneut debattiert. In Deutschland wollten Grüne und die Linkspartei Unternehmen wie Amazon , die während der Pandemie große Gewinne verbucht haben, zusätzlich besteuern.
Handelt es sich um eine Strafsteuer?
Nein. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages ordnet die Übergewinnsteuer als "ein Instrument zur Deckung eines außergewöhnlich hohen öffentlichen Finanzbedarfs in Krisen- und Kriegszeiten" ein. Er definiert die Abgabe als "eine Steuer, die den über den 'Normalgewinn' hinausgehenden Gewinn belastet."
Was als "Normal"- und was als "Über"-Gewinn gelten soll, kann dabei verschieden berechnet werden, wie der wissenschaftliche Dienst schon im März 2021 anlässlich der Auswirkungen Corona-Pandemie deutlich machte. Meist werden Vergleichszeiträume aus Vorkrisen- oder Friedenszeiten herangezogen und dann Renditen definiert, die in diesen Zeiten üblich waren.
Welche Länder haben bereits eine Übergewinnsteuer eingeführt?
In Europa gibt es Übergewinnsteuern in unterschiedlichen Ausformungen. Die EU hat auf die Vorstöße in den einzelnen Mitgliedsstaaten reagiert und im März Leitlinien mit Anforderungen für die Besteuerungen von Übergewinnen von Stromerzeugern vorgelegt.
Spanien beschloss als erstes EU-Land im Oktober 2021 die Einführung einer Sonderabgabe für Energieunternehmen. Mit den Einnahmen wurden die Steuern auf Stromrechnungen von fünf auf 0,5 Prozent gesenkt. Im März dieses Jahres wurde die ursprünglich bis April beschlossene Maßnahme verlängert.
In Italien gibt es seit März eine Sondersteuer, die nur die Energiebranche betrifft. Der Besteuerungszeitraum ist auf das halbe Jahr von Oktober 2021 bis März 2022 begrenzt. Außerdem wird die Steuer nicht auf Gewinne, sondern auf den Umsatz eines Unternehmens erhoben, was die Erhebung und Einziehung vereinfacht. Die Mehreinnahmen werden auf vier Milliarden Euro geschätzt.
Auch Großbritannien will seine Bürger bei den stark gestiegenen Stromkosten entlasten. Der britische Finanzminister Rishi Sunak hat deshalb Ende Mai eine sogenannte "Windfall Tax" eingeführt, mit der rund 5,9 Milliarden Euro eingenommen werden sollen. Die Steuer sieht vor, dass Öl- und Gaskonzerne wie BP und Shell vorübergehend 25 Prozent Steuern auf ihre Zusatzgewinne entrichten.
In Ungarn werden seit Mai dieses Jahres Banken, Versicherungen, Energieunternehmen, Handel, Telekommunikation, Pharmaindustrie und auch Fluggesellschaften zur Kasse gebeten. Mit den Einnahmen der auf zwei Jahre befristeten Sondersteuern sollen die Gaspreise stabil gehalten werden. Kritiker monieren, dass von den Sonderabgaben in erster Linie internationale und nicht einheimische Unternehmen betroffen sind.
Was sagen die Experten?
Auch wenn bei den Experten die Meinungen auseinandergehen - große Institutionen wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OSZE) sprechen sich für die Einführung einer Übergewinnsteuer aus.
"Angesichts der Gewinne der Energiebranche und des starken Preisanstiegs kann das Steuerniveau in diesem Sektor angehoben werden", sagte OECD-Generalsekretär Mathias Cormann im März der spanischen Presse. Mit diesen Einnahmen könnten Maßnahmen finanziert werden, die zur Entlastung der Bevölkerung bei den hohen Energiekosten beitrügen.
Für Finanzexperte Jörn Quitzau, Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends bei der Berenberg Bank, geht es bei der Debatte um die Übergewinnsteuer hingegen "in erster Linie um Gerechtigkeitsempfinden und nicht um Geld".
Krisenbedingte Zusatzgewinne würden in Deutschland ohnehin besteuert, schreibt er in einem Gastbeitrag für das ordnungspolitische Journal "Wirtschaftliche Freiheit". Außerdem spräche die am 11. Mai veröffentlichte Steuerschätzung mit prognostizierten Mehreinnahmen in Höhe von 220 Milliarden Euro bis 2026 nicht für die Einführung einer neuen Sondersteuer.
Quitzau: "Die Gewinne mit einer Sondersteuer zu belegen, reduziert die Anreize, mit voller Kraft und gegebenenfalls rund um die Uhr die Güter zu produzieren, die gerade händeringend benötigt werden."