Überraschende Einigung auf Gauck
19. Februar 2012Dunkle Wolken hingen am Sonntag über Berlin und das Wetter war nur ein Spiegelbild der Stimmung, die im Bundeskanzleramt herrschte. Acht Stunden hatten die Regierungskoalitionäre am Freitag und Samstag bereits darüber verhandelt, wer als Nachfolger für den zurückgetretenen Christian Wulff im Amt des Bundespräsidenten in Frage kommen könnte. Am Sonntagmittag trafen sich die Spitzen von CDU/CSU und FDP ein drittes Mal, um einen Konsens zu finden. Doch der schien zu diesem Zeitpunkt bereits kaum mehr erreichbar.
Nachdem sowohl Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, als auch Bundestagspräsident Norbert Lammert abgesagt hatten, standen mit dem evangelischen Theologen Wolfgang Huber, dem ehemaligen Chef des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, und der scheidenden Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth, nur noch Namen auf der Kandidatenliste, die bei der FDP auf wenig Gegenliebe stießen.
Kurz vor dem Koalitionsbruch
Wie verfahren die Situation war, wurde am Nachmittag deutlich, als sich die FDP für den früheren DDR-Bürgerrechtler und Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, aussprach und die Union zeitgleich verbreiten ließ, Gauck käme für sie nicht in Frage. Plötzlich machte das Schlagwort vom ernsthaften Koalitionskrach die Runde, aus Parteikreisen hieß es sogar, das Verhältnis zwischen Union und FDP stehe "Spitz auf Knopf".
Vollkommen überraschend verlautete dann plötzlich aus dem Kanzleramt, SPD und Grüne seien für 20 Uhr ins Kanzleramt eingeladen. Zwar hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag nur eine halbe Stunde nach dem Rücktritt Wulffs gesagt, der neue Bundespräsident solle ein von allen Parteien getragener Kandidat sein. Doch wie sollte das möglich sein, wenn noch nicht einmal innerhalb der Regierung ein Konsens bestand?
Auch Merkel sagte schließlich "Ja" zu Gauck
Es war wohl die Kanzlerin, die schließlich hinter den Kulissen einlenkte. Sie, die Situationen stets kühl kalkulierend bewältigt, hatte offenbar eingesehen, dass die FDP nicht mehr umzustimmen war. Da wog die Gefahr, dass man es Merkel als Schwäche auslegen würde, wenn sie "Ja" zu einem Kandidaten sagen würde, der bei der Wahl 2010 von SPD und Grünen als Gegenkandidat zu Christian Wulff aufgestellt worden war, wohl weniger schwer.
Am Ende ging dann alles ganz schnell. Als die Vertreter von SPD und Grünen die Schranken zum Kanzleramt passierten, war die Einigung auf Joachim Gauck mit ihnen telefonisch sicherlich schon abgesprochen. Außerdem muss Gauck zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg ins Kanzleramt gewesen sein, denn um 21.15 Uhr nahm er auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz zwischen Angela Merkel und Sigmar Gabriel Platz.
Allseits zufriedene Gesichter
Vom Koalitionskrach war da keine Rede mehr, stattdessen erklärte die Kanzlerin, sie habe doch schon am Freitag von ihrem persönlichen Ziel gesprochen, dass CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne einen gemeinsamen Kandidaten vorschlagen würden. Das zentrale Thema von Joachim Gauck sei "Freiheit in Verantwortung". "Und das ist es auch, was mich ganz persönlich bei aller Verschiedenheit mit Joachim Gauck verbindet. Wir beide haben einen Teil unseres Lebens in der DDR gelebt und unsere Sehnsucht nach Freiheit hat sich 1989/90 erfüllt."
"Ende gut, alles gut", sagte SPD-Chef Gabriel, der sehr zufrieden wirkte. Er sei sich sicher, dass mittlerweile alle die 2010 nicht erfolgte Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten bedauern würden. Er wertschätze das Bemühen der Koalition, zu einem gemeinsamen Kandidaten zu kommen, ausdrücklich und bedanke sich auch dafür. Es habe in den letzten Tagen offene und faire Gespräche gegeben. "Dass wir am Ende zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen sind, das ist ein gutes Zeichen in unsere Bevölkerung hinein."
Keinen Hehl aus ihrer Freude machte die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth. "Joachim Gauck ist jemand, der der Demokratie wieder Glanz verleihen kann", sagte sie. Die Einigung sei keine parteipolitische Entscheidung, sondern eine Antwort auf die Frage, wer eine Bindewirkung in die Gesellschaft habe. "Und das hat er!" Ihr Kollege Cem Özdemir ergänzte, Gauck sei ein authentischer Bürger dieser Republik.
Verwirrt und nicht gewaschen
Nachdem noch CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Chef Philipp Rösler einen Kommentar abgegeben hatten, kam schließlich auch noch der Kandidat selbst zu Wort. Dieser Tag sei ein besonderer in seinem Leben, sagte Joachim Gauck. Er komme gerade vom Flughafen, der Anruf der Kanzlerin habe ihn im Taxi erwischt und er sei "noch nicht einmal gewaschen". "Es schadet aber nichts, dass sie sehen, dass ich überwältigt und ein wenig verwirrt bin", so Gauck.
Er könne jetzt keine Grundsatzrede halten, aber er wolle doch sagen, dass es ihm unheimlich geholfen habe, dass sich die Parteien zusammengefunden hätten. "Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben mir ja auch versichert, dass Sie auch in anderen Zeiten beständig Hochachtung und Zuneigung zu mir empfunden haben und das Wichtige daran ist, dass Sie mir Vertrauen entgegengebracht haben." Für die zahlreich erschienenen Journalisten hielt Joachim Gauck eine Bitte bereit: "Bitte erwarten Sie nicht, dass ich ein Supermann und ein fehlerloser Mensch bin!" Aber gute Dinge könne man ja auch machen, wenn man nicht nur von Engeln umgeben sei, sondern von Menschen.
Nachfragen der zahlreich erschienenen Journalisten waren auf der Pressekonferenz nicht zugelassen – vielleicht auch, um Fragen nach den Unstimmigkeiten in der Koalition erst gar nicht aufkommen zu lassen. Die vor dem Kanzleramt wartende Presse versuchte es trotzdem. Ohne Erfolg. Claudia Roth sagte es ganz deutlich: "Das wäre jetzt ganz kleines Karo."
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Regina Mennig