"Nie dagewesener Absturz"
2. Mai 2020In Deutschlands größtem Hafen, in Hamburg, ist das Auf und Ab der Konjunktur unmittelbar erlebbar. Anders ausgedrückt: Je voller die riesigen Containerschiffe beladen sind, die die Elbe hinauf nach Hamburg tuckern, desto besser läuft die Konjunktur. Und umgekehrt gilt:Wird es ruhiger auf der Elbe, hängt die Konjunktur gerade durch.
Gegenwärtig gilt das nur eingeschränkt. Denn als die Corona-Krise in China zu Fabrikschließungen und Produktionsausfällen führte, lief das Geschäft in Europa noch so wie immer. Obwohl der Wareneingang aus Fernost - abzulesen am abnehmenden Verkehr auf der Elbe und größer werdenden Lücken an den Container-Kais - zurückging, wurde in Deutschland noch verkauft, als sei nichts geschehen.
In diesen Wochen beginnt sich das Missverhältnis in Wareneingang und -ausgang umzudrehen. Während in Fernost die Produktionen wieder anlaufen und vollbeladene Schiffe auf dem Weg nach Europa sind, sinkt der Absatz hierzulande deutlich: Die Warenhäuser sind noch überwiegend geschlossen, Händler fremdeln oft noch gewaltig beim Onlinehandel und viele Kunden haben gerade andere Probleme, als sich eine neue Hose zu kaufen.
"Stärkster je beobachteter Rückgang"
Offizielle Zahlen bestätigen hier den Augenschein: Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) geben in regelmäßigen Abständen den RWI/ISL-Containerumschlag-Index heraus, der sich auf Angaben aus 91 internationalen Häfen stützt.
Im Februar war dieser Index um 10,9 Punkte abgestürzt. Laut RWI war dies der "stärkste jemals beobachtete monatliche Rückgang", und die Verursacher seien "die chinesischen Häfen." Gegenwärtig, so der aktuelle RWI/ISL-Index vom 30.April, erhole sich der Umsatz wieder.
RWI-Konjunkturchef Roland Döhrn, der für den Februar einen "nie dagewesenen Absturz" beobachtet hatte, erklärt das so: "Im März machte sich die Pandemie widersprüchlich bemerkbar. In China kehrten die Häfen zum Normalbetrieb zurück, während in der übrigen Welt Maßnahmen gegen die Pandemie die Handelsaktivitäten dämpften."
Noch einen Monat Zeit
Beim Handel zwischen Europa und dem Fernen Osten muss der Beobachter stets einen Zeitpuffer berücksichtigen, da ein Container von China nach Europa etwa einen Monat unterwegs ist. Darauf bezieht sich auch Annette Krüger, Pressesprecherin der HHLA, der Hamburger Hafen und Logistik AG. Aktuelle Zahlen könne man in Hamburg nicht nennen, weil sich die "hochgefahrenen Produktionsaktivitäten in China beim Containerverkehr erst mit einem mehrwöchigen Zeitversatz" auswirkten. Es sei jedoch zu erwarten, dass in etwa einem Monat "die Umschlagvolumen aus China zunehmen werden."
Entscheidend ist der schnelle Durchlauf
Doch wohin mit den Transportkisten, wenn tatsächlich immer mehr Container aus Fernost angeliefert werden, die Lager der Abnehmer aber immer noch voll sind und sie die Ware dann nicht abholen können oder wollen? Annette Krüger: "Die HHLA ist in engem Austausch mit Spediteuren und Importeuren, um frühzeitig und gemeinsam Lösungen für mögliche Hemmnisse in den Logistikketten zu entwickeln."
Grundsätzlich sei die HHLA aber gut aufgestellt und brauche keine Angst vor einem "Container-Stau" zu haben: "Die Terminals haben sich bereits bei witterungsbedingten Schiffsverspätungen als zuverlässige Puffer erwiesen." Doch trotzdem erarbeite die HHLA "vorsorglich ein Flächenkonzept. Grundsätzlich wollen wir einen schnellen Durchlauf der Container auf den Terminals sicherstellen."
Auch der Zoll redet mit
Container werden natürlich nicht nur im Hamburger Hafen angelandet. Auch in Bremerhaven gibt es einen bedeutenden Umschlagplatz mit einem der größten zusammenhängende Containerterminals der Welt. Betrieben wird es vom Bremer Unternehmen Eurogate GmbH, das auf einer Fläche von 3.000.000 Quadratmetern Container lagern kann.
Steffen Leuthold, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Eurogate, ist daher zuversichtlich. "Wir sehen aktuell keine Gefahr, dass unsere Terminals komplett volllaufen und es dadurch zu Stauungen unnatürlichen Ausmaßes kommt." Außerdem stünden "begrenzte lokale Ausweichflächen zur Verfügung."
In Hamburg schaut man bereits hinaus ins Umland. Für den Fall, dass es tatsächlich zu Staus komme, so Annette Krüger, begutachte "die HHLA derzeit Flächen außerhalb ihrer Anlagen. Die Fläche muss sowohl wirtschaftliche und betriebliche Anforderungen erfüllen als auch Regelungen des Zolls entsprechen. Hierzu sind wir in Gesprächen."
Auch Rabatte sind gute Konjunkturindikatoren
Nicht nur die Hafenbetreiber haben das Auf und Ab beim Handel mit Fernost gespürt, auch den Importeuren ist das nicht entgangen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Textilindustrie. Axel Augustin, Sprecher beim BTE, dem Bundesverband des Deutschen Textilhandels, hat den Umsatzrückgang im ersten Quartal bemerkt: "Am Anfang ja", so Augustin zu DW, doch dann habe sich das eingespielt: "Das Meiste wird derzeit verzögert geliefert."
Allerdings, so der BTE-Sprecher, seien "die Lager noch voll mit nicht verkaufter Frühjahrsware. Der Handel hat aktuell zu viel Ware und braucht aufgrund der Einschränkungen auch deutlich weniger Sommerware als bestellt."
Bei überquellenden Lagern haben Händler ein Problem und genau zwei Lösungsmöglichkeiten: Entweder sie vernichten die Ware, die nicht an Mann und Frau zu bringen ist, oder sie machen sie sehr, sehr viel billiger. So ist nicht nur der Schiffsverkehr auf der Elbe ein guter Konjunkturindikator, auch die Preisschilder der Modeketten verraten so einiges über den Zustand der Wirtschaft.