"Šešelj war eine Marionette der Machthaber"
31. März 2016DW: Herr Reljic, aus einer möglichen Haftstrafe von 28 Jahren für Vojislav Šešelj ist nun ein Freispruch geworden. Verstehen Sie das?
Dušan Reljić: Es ist insgesamt im Haager Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien sehr viel falsch gelaufen. Nicht nur bei diesem Prozess. Es wurden etliche Generäle aus Kroatien und Serbien zuerst zu 30 Jahre Gefängnis verurteilt und dann in zweiter Instanz freigesprochen. Das heißt, dass dieser Gerichtshof keine eindeutige Linie verfolgt hat und sehr oft Urteile gefasst hat, die eher dem Gutdünken der einzelnen Richter zu verdanken waren als einer klaren, rechtlich fundierten Linie.
In Fall von Vojislav Šešelj waren viele Kritiker von Anfang an überzeugt, dass es die falsche Anklage gewesen ist. Jeder, der damals im ehemaligen Jugoslawien gelebt hat und zuhören und zuschauen wollte, hat in Šešelj immer das gesehen, was er eigentlich war: nämlich ein grausamer Politclown der mit seinen starken Sprüchen zwar für eine Vergiftung der politischen Atmosphäre gesorgt und mit einer wirklich einmaligen Brutalität gegen seine politischen Gegner und gegen ganze Ethnien Propaganda betrieben hatte.
Aber der Gedanke, dass dieser Politclown beim eigentlichen Kriegsgeschehen etwas zu sagen hatte, dieser Gedanke ist abwegig und schon damals war ziemlich eindeutig, dass er nur eine Marionette in den Händen der Machthaber und in diesem Fall konkret in der Hand von Slobodan Milošević gewesen war.
Es ist ein Freispruch mit innenpolitischer Sprengkraft, und das mitten im Wahlkampf. Am 24. April kommt es zu vorgezogenen Parlamentswahlen. Wie viel Rückhalt hat Šešelj, ein Mann der Vergangenheit, noch unter den Serben? Vielleicht erst recht nach diesem Urteil?
Alle Meinungsumfragen geben seiner Partei so um die fünf Prozent. Das könnte ausreichen um wieder ins Parlament zu kommen. Šešelj könnte durch dieses Urteil gestärkt sein und wahrscheinlich will er nicht fünf, sondern sechs oder sieben Prozent bekommen. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, wem das eigentlich nutzt, dann ist es wahrscheinlich so, dass der jetzige serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić, der ja vor 20 Jahren ein enger Mitarbeiter, sogar ein politischer Ziehsohn von Šešelj gewesen war, Nutzen aus diesem Urteil ziehen wird.
Denn mit einem gefährlichen Rechtsextremisten wie Šešelj im Parlament, der die dümmsten Sprüche klopfen wird, kann sich Vučić als Hüter der Demokratie und des Europäischen Gedankens darstellen. Er wird quasi seinen politischen Partnern in Westeuropa wertvoller werden als er es bisher gewesen war. In diesem Sinne wird dieses Urteil dem politischen Establishment in Belgrad eher nutzen als schaden.
Vojislav Šešelj ist mit seinen nationalisitischen Parolen ein Mann von gestern. Seine nach wie vor zu vernehmende Hetze gegen Kroatien beispielsweise hat schon etwas Psychopathologisches. Wer, soziologisch gesehen, kämpft noch mit ihm die Schlachten der Vergangenheit?
Es gibt im früheren Jugoslawien, in Serbien, in Kroatien, in Bosnien-Herzegowina so viele Menschen, die die Schlachten von damals gerne noch einmal wiederholen würden. In den letzten Jahren, insbesondere seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise, die sich ja viel stärker in den peripheren Ländern ausgewirkt hat, ist der Rechtspopulismus überall im ehemaligen Jugoslawien viel stärker geworden, als er in der Zeit nach 2000 gewesen ist, als liberale und demokratische Regierungen in Belgrad an der Macht waren. Jetzt haben wir sowohl in Belgrad als auch in Zagreb Regierungen, die direkt unter dem Mantel der Kriegstreiber von damals hervorgegangen sind, die oft dieselbe Rhetorik verwenden und im gegenseitigen Verhältnis fast instinkthaft auf einen Populismus zurückgreifen, auf Formulierungen, die nicht sehr weit entfernt sind von dem, was schon einmal zu vernehmen war.
In diesem Sinne ist nach wie vor eine politische Grundlage vorhanden, die eine Zuspitzung der Beziehungen zwischen Belgrad und Zagreb ermöglicht. Allerdings ist es oft so, dass die Einbettung der Region in den Prozess des Herantretens an die Europäische Union - ein Großteil der Region ist schon in der Nato - dass das alles dafür sorgt, dass die Region trotz der verbalen Eskapaden in Belgrad und Zagreb ruhig bleibt.
Dr. Dušan Reljić ist langjähriger politscher Beobachter Südosteuropas. Er arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik aus Brüssel.
Das Interview führte Volker Wagener.