Jahresrückblick Außenpolitik
31. Dezember 2014Am 17. Dezember 2013 hatte die neue schwarz-rote Koalition ihre Arbeit aufgenommen. Schon wenige Wochen später setzte sie deutlich neue Akzente in der Außenpolitik. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte mehr Engagement in der internationalen Politik. Deutschland sei "zu groß, um die Weltpolitik nur zu kommentieren", sagte er. Militärische Einsätze seien zwar nur die Ultima Ratio, aber sie dürften nicht aus dem politischen Denken verbannt werden.
Deutlicher wurde Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie plädierte für mehr Engagement der Bundeswehr im Auslandseinsatz und bot den französischen Partnern in Mali und der Zentralafrikanischen Republik Unterstützung an. Später dachte sie laut über Einsatzszenarien an der Seite Frankreichs in der Ostukraine und über Ausbildungsmissionen im Irak nach. Bundespräsident Joachim Gauck schließlich sprach sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar für mehr außenpolitisches Engagement aus. Die Bundesrepublik müsse sich "früher, entschiedener und substanzieller" einbringen, sagte Gauck und zog damit viel Kritik, aber auch Lob auf sich. Die einen warfen ihm vor, mit seinen Worten der Militarisierung der deutschen Außenpolitik Vorschub zu leisten. Die anderen begrüßten seine Mahnung, Deutschland müsse seiner gestiegenen weltpolitischen Verantwortung gerecht werden.
Tatsächlich war die Bundesregierung im zurückliegenden Jahr ein zentraler Player auf vielen internationalen Bühnen. Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister waren gefragte Gesprächspartner in vielen Hauptstädten der Welt. Die Haltung Berlins spielte in den Krisen des letzten Jahres und bei wichtigen Entscheidungen in der internationalen Politik eine wichtige Rolle.
Europa-Wahl mit Folgen
Zum Beispiel in der Debatte um den neuen Präsidenten der Europäischen Kommission. Aus der Europawahl im Mai war die Europäische Volkspartei mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker als Sieger hervorgegangen. Für die meisten Beobachter war klar, dass er damit den Anspruch auf das wichtigste Amt in Brüssel errungen hatte. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel stemmte sich mit ihrem europapolitischen Gewicht lange gegen diesen Automatismus. Sie beharrte auf dem Vorschlagsrecht der Staats- und Regierungschefs für dieses Amt. Erst unter dem massiven Druck des Koalitionspartners und der Medien gab sie ihren Widerstand auf und stellte sich hinter Juncker, der dann am 15. Juli von einer deutlichen Mehrheit der Europa-Abgeordneten im ersten Wahlgang gewählt wurde. Doch die Krise der EU ist damit längst nicht beseitigt. Großbritannien, das zusammen mit Ungarn gegen Juncker gestimmt hatte, ist inzwischen weitgehend isoliert und denkt über ein Ausscheiden aus der Union nach. Juncker selbst steht wegen seiner früheren Politik als luxemburgischer Ministerpräsident und Finanzminister im Kreuzfeuer der Kritik. Und auch die Ukraine-Politik der EU hat bislang nicht zu einer Entspannung geführt.
Droht neuer Krieg in Europa?
Für die deutsche Außenpolitik war die Krise in und um die Ukraine ein zentrales Thema des vergangenen Jahres. Sowohl Merkel als auch Steinmeier bemühten sich immer wieder um eine Entschärfung der Lage - jedoch ohne Erfolg. Die Beziehungen zu Moskau verschlechterten sich trotz der zahlreichen Telefonate zwischen Merkel und Putin und der diplomatischen Vorstöße Steinmeiers zusehends. Im November wurde eine deutsche Spitzen-Diplomatin aus der russischen Hauptstadt ausgewiesen, nachdem zuvor ein russischer Diplomat in Berlin wegen Spionagetätigkeit zum Verlassen der Bundesrepublik aufgefordert worden war.
In Deutschland selbst gab es eine äußerst kontroverse Debatte über die deutsche Russlandpolitik. Dabei wurden der Bundesregierung und den Medien einseitige Parteinahme für die Ukraine und antirussische Ressentiments vorgeworfen. Es gab aber auch den umgekehrten Vorwurf, die Bundesregierung betreibe Moskau gegenüber eine Politik des "Appeasement". Außenminister Steinmeier wehrte sich gegen die Vorwürfe. "Wir wollen nicht den Kalten Krieg, wir wollen nicht den heißen Krieg, sondern wir wollen die europäische Friedensordnung erhalten", sagte er im Deutschen Bundestag. Er kündigte an, sich auch weiterhin für eine Verständigung mit Moskau einzusetzen. Eine Entspannung im Konflikt um die Ukraine sei notwendig, um endlich auch die Blockade im Sicherheitsrat zu lösen, so Steinmeier.
Eskalation in Nahost
Nicht zuletzt wegen dieser seit Jahren andauernden Uneinigkeit im Sicherheitsrat geriet der Konflikt im Nahen und Mittleren Osten im vergangenen Jahr praktisch außer Kontrolle. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" rückte mordend und brandschatzend in Syrien und im Irak vor und verbreitete Angst und Schrecken. Im Sommer griffen die IS-Kämpfer die religiöse Minderheit der Jesiden im Nordirak an, töteten hunderte Männer und verschleppten Frauen und Mädchen in die Sklaverei. Etwa 200.000 Menschen sollen vor der Terrormiliz geflohen sein. In Deutschland löste der Vormarsch des IS Sorge und Mitgefühl aus. Die verzweifelten Hilferufe der Kurden in der umlagerten Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei führten dazu, dass die Bundesregierung zu einer ungewöhnlichen Maßnahme griff: Sie entschied, Waffen an die Peschmerga zu liefern, die im Nordirak gegen die Terrormiliz kämpfen. "IS ist eine Bedrohung für Deutschland", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung Anfang September. Ein instabiler Irak könne auch die Sicherheit Deutschlands gefährden. Bei den meisten Abgeordneten stieß sie damit auf breite Zustimmung. Lediglich die Linke und Teile der Grünen sprachen sich gegen Waffenlieferungen an die Kurden aus.
Zu wenig, zu spät: Deutschland reagiert auf Ebola
Viel Kritik erntete die Bundesregierung für ihren Umgang mit einer anderen großen Krise des vergangenen Jahres: Ebola. Berlin habe viel zu spät auf die tödliche Epidemie reagiert, so lautete der Vorwurf, der bei Hilfsorganisationen und in den Medien erhoben wurde. Schon vor einem Jahr war die Seuche im westafrikanischen Guinea aufgetaucht und hatte sich rasch in den Nachbarländern Sierra Leone und Liberia ausgebreitet. In Deutschland jedoch gab es zunächst keine Reaktion. Selbst die Hilferufe der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" stießen in Berlin auf taube Ohren. Im September richtete die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf einen Hilferuf an Bundeskanzlerin Angela Merkel und bat um Unterstützung. "Ohne mehr direkte Hilfe von Ihrer Regierung werden wir diese Schlacht gegen Ebola verlieren", schrieb die Präsidentin. Es dauerte noch ein paar weitere Wochen, dann ernannte Steinmeier den deutschen Botschafter in Caracas und früheren Afrika-Beauftragten Walter Lindner zum deutschen Ebola-Beauftragten. Der Diplomat reiste zwar selbst umgehend in die Krisenregion, um herauszufinden, was benötigt wird. Gleichwohl gestand er ein, dass Deutschland zu spät auf die dramatische Lage reagiert habe.
Neujustierung der Außenpolitik in Zeiten der Krise
Das Jahr 2014 war ein Jahr der weltpolitischen Krisen, das die angestrebte Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik auf eine schwere Probe stellte. Die deutsche Diplomatie war zwar überall gefordert und fast überall auch zur Stelle, wirkliche Erfolge - wie die Beilegung von Konflikten - konnte sie jedoch nicht verbuchen.
Auch die deutsche Bereitschaft, sich militärisch mehr zu engagieren, wurde von den im letzten Jahr zutage getretenen Mängeln bei Ausrüstung und Struktur der Bundeswehr in Frage gestellt. Andererseits genießt Deutschland weltweit hohes Ansehen, Kanzlerin und Außenminister sind geschätzte Gesprächspartner und die Bundesrepublik trägt als wirtschaftlich und politisch starker Staat eine Verantwortung, der sich die Politik nicht entziehen kann und will. Um die deutsche Außenpolitik zu überdenken und gegebenenfalls neu zu justieren, hat Frank-Walter Steinmeier mit "Review 2014" ein einzigartiges Projekt ins Leben gerufen. Im Internet und auf öffentlichen Veranstaltungen mit Politikern, Wissenschaftlern und interessiertem Publikum wurde die Frage behandelt: "Was ist falsch an der deutschen Außenpolitik?"
Viele kontroverse Beiträge und Anregungen sind zusammen gekommen. Sie könnten in Zukunft in die Neuformulierung der Außenpolitik einfließen.