Das tödlichste Jahr für Umweltaktivisten
21. Juni 2016Im Durchschnitt wurden 2015 mehr als drei Menschen pro Woche ermordet - während sie versuchten die Umwelt vor zerstörerischen Industrieaktivitäten zu schützen. Das geht aus einem Bericht hervor, den die NGO Global Witness am Montag veröffentlichte.
Die weltweit 185 gemeldeten Tode im letzten Jahr bedeuten einen Anstieg um 59 Prozent im Vergleich zu 2014. Die tödlichsten Länder für Umweltaktivisten waren Brasilien, die Philippinen und Kolumbien, mit jeweils 50, 33 und 26 Toten.
Grund für fast alle dieser Tode war der Kampf gegen die Ausbeutung des eigenen Landes durch Bergbau, Holzwirtschaft und Palmölförderung.
Billy Kyte von Global Witness berichtet, dass der Anstieg der weltweit steigenden Nachfrage nach Rohstoffen geschuldet sei. Weil Rohstoffpreise fallen, nehmen Unternehmen größere Risiken auf sich, um ihre Profite zu sichern.
"Mehr und mehr Länder breiten sich in ihren Aktivitäten in vorher unberührte, rohstoffreiche Regionen aus", erzählt Kyte der DW. "Projekte werden immer öfter auf umkämpftem Land begonnen, viele davon dort, wo indigene Gemeinschaften leben."
Fast 40 Prozent der Opfer im letzten Jahr waren indigener Herkunft, so zeigen es die Zahlen von Global Witness.
"Die Mehrheit dieser Menschen sind nur normale Bürger, die Aktivisten geworden sind, weil sie die Kettensäge in ihrem Wald hören, und die Frage stellen, wer das tut", sagt Kyte.
Bergbau wurde für 42 Tote verantwortlich gemacht. Viele der Morde geschahen in den Philippinen, die die größten Kupfer und Goldvorkommen in der ganzen Welt besitzen. Das Land ist außerdem reich an Nickel und Chromiten.
Bergbau-Unternehmen expandieren immer mehr in vorher unberührte indigene Regionen. Eine dieser Regionen ist die des Lumad-Volks in Mindanao.
Um etwa drei Uhr nachts am 1. September 2015 erreichten die Mörder ein Lumad-Dorf, das gegen die Ausbeutung ihres Landes protestiert hatte. Die Killer weckten jeden auf und zwangen die Bewohner, sich am Basketballplatz zu versammeln. Sie töten zwei Mitglieder der Gemeinschaft und befahlen dem Rest in den nächsten zwei Tagen zu verschwinden oder sie würden dasselbe Schicksal erleiden.
Die zwei Getöteten waren Vater und Großvater der philippinischen Umweltaktivistin Michelle Campos. Sie waren nur zwei der 25 ermordeten Lumad im letzten Jahr, die gegen den illegalen Bergbau in Mindanao protestierten. Die Gewalt setzte eine Massenauswanderung von 3000 Lumad in Gang, die zu Fuß 16 Kilometer weit in die nächstgelegene Stadt flohen.
"Wir werden bedroht, diffamiert und ermordet für unseren Widerstand gegen die Bergbau-Unternehmen auf unserem Land, und gegen die paramilitärischen Gruppen, die diese schützen", erzählt Campos. "Mein Vater, mein Großvater und mein Lehrer waren nur drei der zahllosen Opfer."
"Wir kennen die Mörder - sie sind immer noch auf freiem Fuß", so Campos weiter. "Wir sterben und unsere Regierung tut nichts, um uns zu helfen."
In Brasilien sind die Morde mit den Abholzungsaktivitäten in den abgelegenen Gebieten des Amazonas Regenwalds in Verbindung gebracht worden. Die Holzwirtschaftsunternehmen werden beschuldigt, kriminelle Gangs zu beschäftigen, die die lokale Bevölkerung so stark einschüchtern, dass diese ihnen ihr Land überlässt.
Alle, die sich gegen die kriminellen Gangs zu Wehr setzen, sind der Gewalt ausgesetzt - oder dem Tod. Einer der Opfer im letzen Jahr war Raimundo dos Santos Rodrigues.
Am 25. August 2015 waren Raimundo und seine Frau Maria auf dem Weg nach Hause, als sie auf einer ruhigen Straße plötzlich von zwei Männern überfallen wurden. Maria überlebte, doch ihr Ehemann wurde bei dem Angriff getötet.
Sein Name war auf einer Todesliste von Umweltaktivisten, weil er aktiv das Gurupi Biodiversity Reserve in der Provinz Maranhao gegen die Abholzung verteidigte. Nach dem Mord flohen Mitglieder seiner Gemeinschaft aus der Region.
Andere Länder in Lateinamerika mit einer hohen Anzahl an Morden sind unter anderem Kolumbien, Peru und Nicaragua. In Kolumbien hat sich die Gewalt noch durch den langen innenpolitischen Konflikt verschlimmert, wodurch Rebellen große Teile des Dschungels kontrollieren und sich oft durch illegale Abholzung selbst finanzieren.
Blutholz in Europa
"Die Morde, die ungestraft bleiben in den abgelegenen Bergbaudörfern oder tief in den Regenwäldern werden befeuert durch Entscheidungen, die Konsumenten auf der anderen Seite der Erde treffen", sagt Kyte.
In der Theorie sollte die Holzhandelsverordnung der Europäischen Union dies verhindern. Sie verbietet die Einfuhr von Holz, das nach dem Gesetz des Landes, aus dem es stammt, illegal geschlagen wurde.
"Wir haben es mit Ländern zu tun, wo es an einigen Orten Probleme mit dem Regieren und mit Korruption gibt", erklärt Anke Schulmeister, Senior Forest Policy Officer bei WWF, im DW-Gespräch. "Wir wollen, dass die EU mehr gegen die Abholzung unternimmt."
Schulmeister sagt, dass eine Verbesserung der Regeln für die Einfuhr von Holz in die EU die Nachfrage nach illegaler Abholzung stoppen würde. "Die Schlupflöcher müssen gestopft werden, und EU-Mitgliedsstaaten brauchen Chancengleichheit in Bezug auf Umsetzung und Strafmaßnahmen."
Aktivisten schützen
Kyte sagt, dass auch Herkunftsländer Maßnahmen ergreifen könnten, um Aktivisten zu schützen, die ihr Land verteidigen.
"Unternehmen und Investoren müssen die Verbindungen zu Projekten abbrechen, die die Landrechte von indigenen Gemeinschaften mit Füßen treten", so Kyte.
Zudem fordert Global Witness die Regierungen auf, die Rechte der Aktivisten zu unterstützen, damit diese den Raubbau an ihrem Land bekämpfen können.
Die meisten Länder sind unter dem internationalen Gesetz bereits dazu angehalten - aber Kyte sagt, dass nichts geschieht.