25 Jahre Putin: Vom Freund zum Feind
8. August 2024"Ich habe dem Mann in die Augen gesehen. Ich halte ihn für direkt und vertrauenswürdig. Ich war in der Lage, einen Eindruck von seiner Seele zu gewinnen." Mit diesen Sätzen beschrieb der amerikanische Präsident George W. Bush sein erstes Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im slowenischen Brdo im Juni 2001.
21 Jahre später fällt das Urteil des amerikanischen Präsidenten über Putin völlig gegenteilig aus. "Ich glaube, er ist ein Kriegsverbrecher", sagte US-Präsident Joe Biden im März 2022 über Putin, kurz nachdem dieser die Ukraine massiv angegriffen hatte. Biden fügte hinzu, der Kreml-Herrscher sei ein "ein mörderischer Diktator, ein reiner Verbrecher, der einen unmoralischen Krieg gegen die Menschen in der Ukraine führt." Der Blick der NATO-Führungsmacht USA auf den russischen Machthaber hat sich also seit dessen erster Berufung zum Ministerpräsidenten durch den herzkranken und erratischen damaligen Präsidenten Boris Jelzin im August 1999 total gewandelt. Vom strategischen Partner zum mit Haftbefehl gesuchten Feind.
Annäherung in den frühen Jahren
Als Putin im August 1999 an die Spitze der Regierung trat, hatte Russland gerade zwei Jahre zuvor einen Vertrag über eine Kooperation mit der NATO unterschrieben. Damit hatte Boris Jelzin seinen Widerstand gegen eine Erweiterung der westlichen Militärallianz um Staaten aus der ehemals sowjetischen Einflusssphäre aufgegeben. Die NATO richtete ein Informationsbüro in Moskau ein, Russland eröffnete eine diplomatische Mission bei der NATO in Brüssel. Später kam noch ein formales Gremium, der NATO-Russland-Rat hinzu, in dem über Zusammenarbeit, Abrüstung und die freiwilligen Beitritte freier Staaten zur Allianz geredet wurde. Dagegen hatte Wladimir Putin nichts einzuwenden. Mehr noch: er deutete sogar an, Russland könnte selbst eines Tages der NATO beitreten.
Im September 2001, nur zwei Wochen nach den verheerenden islamistischen Terroranschlägen in den USA, hielt Putin im Bundestag eine Grundsatzrede - auf Deutsch. Er bot Europa einen gemeinsamen Kampf gegen Terror und eine Sicherheitspartnerschaft an. Er beklagte aber schon damals, dass Entscheidungen ohne Russland getroffen würden, obwohl der Kalte Krieg zwischen den Supermächten doch vorbei sei. Putin schloss nicht aus, dass Russland der NATO beitreten könnte, wenn das Angebot stimmte. Auch eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union war für das wirtschaftlich angeschlagene Russland durchaus eine Option.
Gute Geschäfte mit dem "lupenreinen" Demokraten
Öl und Gas aus russischen Quellen wurden zu zwei der wichtigsten Energieträger in der EU. Bedenken wegen einer möglichen Abhängigkeit von einem politisch und wirtschaftlich instabilen Russland wischte der damalige EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso 2006 vom Tisch. Zwar sei Russland der wichtigste Lieferant, aber Europa sei auch der wichtigste Kunde. Es bestehe also eine gegenseitige Abhängigkeit. Dass Wladimir Putin Öl- und Gasexporte in staatlichen Unternehmen unter seiner Kontrolle monopolisierte, nahm die EU-Kommission wahr. Sie verlangte eine Liberalisierung der russischen Energiemärkte, um auch anderen Firmen Zugang zu verschaffen. Das wurde von Wladimir Putin aber barsch abgelehnt.
Putin hatte in der EU viele Fürsprecher, allen voran den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der dem russischen Präsidenten bescheinigte, ein "lupenreiner Demokrat" zu sein. Putin baue den Staat nach Kommunismus und Chaos wieder auf. Da sei klar, dass nicht alles "idealtypisch" ablaufe, sagte Gerhard Schröder im November 2004. Schon damals ging Putin gegen kritische Medien, Oppositionelle und unliebsame Oligarchen vor. Wladimir Putin selbst sprach nach einem Treffen mit Kanzler Schröder 2004 von einer "gelenkten Demokratie", die er anstrebe. Noch 2013 sprach EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso von einem "wirtschaftlichem und menschlichem" gemeinsamen Raum von Lissabon bis Wladiwostok als Langzeit-Vision.
Putin ändert den Kurs
Aus seinem Anspruch, dass Russland eine Großmacht, eine Weltmacht, ja Supermacht bleiben müsse, hat Wladimir Putin nie einen Hehl gemacht. Schon bei seinem Amtsantritt als Ministerpräsident vor 25 Jahren sagte der Ex-Geheimdienstchef: "Wir müssen unsere Autorität erhöhen und dürfen uns unserer Interessen und Einflusszonen nicht schämen. Russland war und ist eine Großmacht. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Meinung ignoriert wird." Diese Forderung wiederholte er auch bei seiner als eher kooperativ empfundenen Rede im Deutschen Bundestag 2001.
Als dann die USA im Irak-Krieg als Führungsmacht der Welt völlig autonom handelten und die NATO 2004 erneut gegen den Widerstand aus Moskau um die drei baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien, die Slowakei und Slowenien erweitert wurde, muss sich bei Wladimir Putin etwas aufgestaut haben. 2007 bei der Internationalen Sicherheitskonferenz in München platzte der Zorn aus ihm heraus. Die NATO-Osterweiterung in Richtung Russland "stellt im Gegenteil eine ernste Provokation dar, die das Maß des gegenseitigen Vertrauens vermindert. Wir haben das Recht zu fragen, gegen wen diese Expansion sich richtet. Und was ist aus den Zusicherungen geworden, die unsere westlichen Partner uns nach der Auflösung des Warschauer Paktes gaben? Wo sind diese Erklärungen heute? Niemand erinnert sich mehr daran", kritisierte Putin.
Vertreter der NATO und der EU verwiesen darauf, dass es solche Zusagen weder 1990 bei der Wiedervereinigung Deutschlands noch später gegeben habe. 1997 hatte Russland schließlich selbst der NATO-Erweiterung zugestimmt, solange keine NATO-Truppen dauerhaft in den neuen Mitgliedsstaaten stationiert würden. Die Rede in München gilt als Wendepunkt im Verhältnis zwischen Putins Russland und den westlichen Staaten. Die Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge bröckelten, Russland versuchte sein Verhältnis mit China zu verbessern und mehr Einfluss auf dem Balkan, in Afrika und Asien zu gewinnen. Putin wollte beweisen, dass Russland immer noch eine Großmacht war. In westlichen Kommentaren wurde er als "beleidigter Zar" belächelt.
Krieg gegen Georgien und die Ukraine
Beim NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest beschloss die Allianz in Gegenwart von Wladimir Putin als Gast, "die Tür für weitere Beitritte bleibt offen." So der damalige NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer. Der Ukraine und Georgien wurde die Aufnahme in die NATO ohne konkretes Datum fest zugesagt. Die USA wollten schon damals ein Datum nennen. Das verhinderten jedoch Deutschland und Frankreich, die den russischen Präsidenten nicht zu sehr reizen wollten. Putin empfand den Gipfel in Bukarest dennoch als Demütigung und antwortete auf seine eigene Weise. Im August 2008 griff Russland in einen Krieg in Georgien ein und brachte die georgischen Gebiete Abchasien und Süd-Ossetien unter seine Kontrolle. EU-Außenminister versuchten vergeblich zu vermitteln.
2014 war dann die Ukraine an der Reihe. Nachdem EU-freundliche Politiker in Kiew die Macht übernahmen und den pro-russischen Präsidenten verjagten, griff Wladimir Putin die Krimhalbinsel und östliche Landesteile der Ukraine an und unterstützte Russland-treue Separatisten. Russland annektierte die Krim völkerrechtswidrig. Die Europäische Union reagierte mit ersten Sanktionen, gleichzeitig versuchten Frankreich und Deutschland zu vermitteln. In der belarussischen Hauptstadt Minsk wurden Abkommen unterzeichnet, die zu einer Befriedung der Ukraine und einer politischen Lösung führen sollten. Die Abkommen wurden nie umgesetzt. Nach dem Angriff auf die Ukraine und dem Abschuss einer Passagiermaschine mit vielen Niederländern an Bord über der Ostukraine verschlechterten sich die Beziehungen zur EU und zur NATO dramatisch. Der amerikanische Präsident Barrack Obama verspottete Russland 2014 als schwächelnde "Regionalmacht", was Putin schwer gekränkt haben soll.
Russland als Bedrohung
Von da an ging es immer schneller bergab. 2021 zog die EU-Kommission eine düstere Bilanz der Beziehungen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte nach einem EU-Gipfeltreffen in Brüssel: "Die vorsätzlichen Entscheidungen und aggressiven Aktionen der russischen Regierung in den letzten Jahren haben eine negative Abwärtsspirale geschaffen. Die Beziehung zu Russland zu gestalten, bleibt eine strategische Herausforderung an die EU."
Der Energie-Import aus Russland in die EU ging aber trotz aller politischen Zerwürfnisse weiter. Als Russland nach dem breiten Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 begann, den Europäern die Gaspipelines abzudrehen, wurde der EU klar, wie erpressbar sie geworden waren. Es folgten eine Energiepreiskrise und eine schnelle weitgehende Abkopplung von russischem Öl und Erdgas aus Pipelines. Flüssiggas in Tankern wird nach wie vor aus Russland geliefert.
Mittlerweile ist Putins Russlands mit enormen wirtschaftlichen Sanktionen belegt, fast der gesamte Westen stützt die Ukraine. Deutsche Unternehmen sind trotz der politisch schlechten Beziehungen weiter in Russland in großer Zahl aktiv. Lebensmittelhandel, Pharma- und Chemieindustrie sind die wichtigsten Branchen, die nicht mit Sanktionen der EU belegt sind.
Die Aufrüstung der westlichen Armeen und Territorialverteidigung sind wieder die hauptsächlichen Aufgaben der NATO. "Russland bleibt die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner", heißt es in einer Erklärung des NATO-Gipfels in Washington im Juli 2024. Alle Verbindungen im NATO-Russland-Rat wurden gekappt. Russland schloss seine Mission bei der NATO. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz plädiert für "Abschreckung" mit Bezug auf Russland und will neue amerikanische Marschflugkörper in Deutschland stationieren lassen.
Putins letzter Freund in Europa
Nur ein Land, das im Moment zufällig auch Ratspräsident der EU ist, sieht das anders: Ungarn. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der gute wirtschaftliche Verbindungen zu Russland pflegt, bewunderte den mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher Wladimir Putin noch vor wenigen Tagen dafür, dass Russland es schaffe, von westlichen Sanktionen nicht übermäßig geschädigt zu werden. "Es ist darum falsch, Russland als eine rigide, neo-stalinistische Autokratie zu beschreiben. Wir reden eher über ein Land, das technologische, wirtschaftliche und, wir werden sehen, vielleicht auch gesellschaftliche Flexibilität demonstrieren wird", sagte Viktor Orban während der Bálványos-Sommeruniversität in Tusványos, Rumänien. Einen treuen Freund in Europa hat Wladimir Putin also noch nach 25 Jahren an der Macht.