40 Jahre Tanztheater Pina Bausch
5. September 2013Eigentlich wollte sie das alles gar nicht: Die Tanzsparte der Wuppertaler Bühnen zu leiten, hatte sie nie geplant. Doch Pina Bausch ließ sich überzeugen. Und verwandelte das Ballett eines schlichten Stadttheaters in ein revolutionäres Tanztheater, das zum Exportschlager deutscher Kultur wurde. Heute leitet der 60-jährige Lutz Förster die Compagnie. Auch er tat sich schwer mit der Entscheidung. Der Job könnte schwieriger kaum sein - gilt es doch, ein legendäres Erbe zu pflegen und zugleich Raum für Neues zu schaffen. "Ich habe das erst völlig von mir gewiesen", erzählt er, "aber nicht weil ich Angst davor hatte, sondern weil ich mir das einfach nie, nie, nie überlegt hatte".
Seit 1975 gehört Förster, inzwischen auch Professor an der Essener Folkwang-Universität der Künste, als Tänzer zur Compagnie. Nun führt er sie in die Jubiläumsspielzeit, die einen Rückblick auf das Œuvre der verstorbenen Pina Bausch bietet. Den Anfang macht "Palermo Palermo" von 1989, ein Stück, das wie so viele ihrer Produktionen im Ausland entstanden ist: inspiriert von der sizilianischen Stadt Palermo und ihren Menschen.
Schock für Wuppertal
"Mich interessiert nicht, wie sich Menschen bewegen, sondern was sie bewegt" - der viel zitierte Ausspruch von Pina Bausch ist auch diesem Stück anzusehen, das nun unter Försters Leitung neu entsteht. Welten von der künstlichen Eleganz des klassischen Balletts entfernt, hat sie immer nach dem gesucht, was Menschen beflügelt. Oder bedrückt. Und wenn sich die Tänzer vor den Trümmern einer eingestürzten Mauer in geduckter Haltung im absurden Trauer- und Gänsemarsch über die Bühne quälen, dann geht es mehr um ihre innere Deformation als um die Verbiegung der Körper.
Einen Tag vor der Spielzeiteröffnung, Generalprobe zu "Palermo Palermo". Lutz Förster korrigiert nicht mehr viel - anders als Pina Bausch. Oft genug hat sie kurz vor der Premiere noch mal alles über den Haufen geworfen. Doch Försters Job ist ein anderer. "Ich bin ja kein Choreograph, ich bin hier, um die Stücke einzustudieren oder weiterzuprobieren, am Leben zu erhalten. Und um die Compagnie am Laufen zu halten".
Dafür bringt er denkbar gute Voraussetzungen mit. Als Tänzer hat er miterlebt, wie die schmale, zurückhaltende Pina Bausch ihre künstlerische Revolution durchzog. Beharrlich hat sie das Wuppertaler Publikum mit ihrem Theater konfrontiert. Sie hat Skandale verursacht wie "Blaubart" - eine alptraumhafte Zerstörungsorgie, die im Spielplan zwischen gediegenen Opern und harmlosen Operetten auftauchte. "Das war ein Schock für die Leute", erinnert sich Förster. "Es hat eine ganze Weile gedauert, bis auch ein anderes Publikum gekommen ist - eines, das eigentlich aus dem Theaterbereich kam."
Erfolge im Ausland
Im Ausland, sagt er, war das völlig anders. "Das war ja das Aufregende! Da hatten wir unglaublichen Zuspruch, wir haben da sehr schöne und aufregende Reaktionen erlebt". Kein Wunder vielleicht, denn die Compagnie wurde zu den wichtigsten Festivals eingeladen, wo sich Künstler der Avantgarde trafen - und wo ein entsprechend interessiertes Publikum auftauchte. Doch das war nicht der einzige Grund, warum die Welt außerhalb der deutschen Grenzen so wichtig wurde für Pina Bausch. "Sie fand es aufregend, andere Kulturen kennenzulernen", erzählt Lutz Förster. "Da sie generell an Menschen interessiert war, war sie an allen Menschen in allen kulturellen Zusammenhängen interessiert. Sie hatte wenig das Bedürfnis, Museen oder Theater zu sehen. Sie wollte an Plätze gehen, wo man Menschen sah."
So hat sie etliche Stücke entwickelt, die mit Orten außerhalb Deutschlands verbunden sind: Palermo oder Rom, Sao Paolo oder Santiago de Chile, Saitama, Istanbul, Hongkong oder Los Angeles. Auch das hat zum internationalen Erfolg beigetragen. "Ich bewundere Pina immer mehr. Sie hat etwas Universelles geschaffen, das auf der ganzen Welt sein Publikum findet", bekennt Förster. Auch in der Jubiläums-Spielzeit geht das Tanztheater Wuppertal auf Reise: in mehrere Länder Europas, nach Japan, Korea, Hongkong und Kanada. Noch immer, vier Jahre nach Pinas Krebstod, ist die Compagnie aus dem kleinen Wuppertal weltweit so begehrt, dass längst nicht alle Anfragen erfüllt werden können.
Tänzer von 20 bis 60
Das ist Fluch und Segen zugleich. Als international bekannte Marke könnte das Tanztheater wohl noch jahrelang mit Stücken von Pina Bausch um die Welt touren, ohne dass die Nachfrage abreißen würde. Doch als bloßes Pina-Heiligtum kann das Theater nicht lebendig bleiben. Die Jubiläumsspielzeit unter dem Titel "Pina 40" steht noch einmal ganz im Zeichen der Nachlasspflege. Doch die Zukunft soll sich nicht darauf beschränken, ältere Stücke reifen zu lassen.
"Wir haben 20-jährige Tänzer, 30-, 40-, 50- und 60-jährige Tänzer. Das findet man sonst nirgendwo", sagt der Chef, der selbst inzwischen 60 ist. "Das ist grandios und in vielen Stücken ein großes Geschenk, bringt aber auch Probleme mit sich." Sprich: Die Compagnie muss verjüngt werden. Doch dafür fehlt Geld. Die Stadt Wuppertal hat gerade sogar ihr Schauspielhaus geschlossen. In dieser Lage mal eben ein Dutzend neue Tänzer zu engagieren, ist undenkbar.
Knappe Kassen
Die künstlerische Neuorientierung wird ebenso schwierig sein. Wie die aussehen soll, mag Förster öffentlich noch nicht sagen. Nur soviel: "Eine Balance zu finden, wie man das Erbe von Pina erhält, gleichzeitig einen neuen Weg geht und dabei ein bisschen an die Anfänge von Pina denkt, mit Mut wieder neue Dinge zu machen".
Doch dazu gehört auch kulturpolitischer Mut. Als Pina Bausch begann, wurde sie auf eine Weise gestützt, die heute kaum denkbar wäre. Man hat ihr die Zeit und die Mittel gegeben, die Menschen zu überzeugen. Wuppertal allein ist heute überfordert. Nun werden Stimmen lauter, der Bund solle sich engagieren. Bedenkt man, was das Tanztheater Pina Bausch weltweit für den Ruf Deutschlands getan hat, sollte die Entscheidung nicht schwerfallen, das "Weltkulturerbe" Pina Bausch zu erhalten und zu erneuern.