50 Jahre Beatles-Album "Abbey Road"
26. September 2019Am Vormittag des 8. August 1969 wird die Londoner Abbey Road in Höhe der EMI-Studios Schauplatz eines kurzen Fotoshootings. Ein Polizist hält den Verkehr auf. Es ist nicht viel los auf der Straße, auch die Fans sind noch nicht da - die werden erst am Nachmittag kommen, wenn die Beatles sich wie fast jeden Tag im Studio zu den Aufnahmen zum "Abbey Road"-Album treffen werden. Es ist 11:30 Uhr, am Straßenrand steht Linda McCartney und knipst vier mäßig gut gelaunte Beatles, die sich anschicken, für das berühmte Foto die Straße zu überqueren.
John Lennon im weißen Anzug wirkt abwesend und sieht so aus als wolle er das schnell hinter sich bringen. Hinter ihm Ringo Starr und Paul McCartney, die kurz ein paar Faxen machen. George Harrison sieht so aus, als sei ihm alles egal. Die vier laufen schließlich los, hin und her, und wieder von vorn. Der Fotograf Iain MacMillan drückt den Auslöser sechs Mal - und ist fertig.
Das geht den vier Beatles viel zu schnell. Denn trotz der simplen Idee, einfach nur über die Straße zu laufen, sind für den Fototermin zwei bis drei Stunden veranschlagt worden - die Musiker wollen sich erst am Nachmittag zu weiteren Aufnahmen im Studio einfinden. Die Produktion des "Abbey Road"-Albums ist gerade voll im Gange; es sind anstrengende Tage und Wochen, am 26. September soll das Album erscheinen.
Ringo muss noch kurz was einkaufen
Nachdem die Fotosession nur etwa zehn Minuten gedauert hat, heißt es für die Beatles nun: Zeit totschlagen. Denn zu sagen hat man sich nicht mehr viel. Der damalige Beatles-Roadie Mal Evans beschreibt in seinem Tagebuch, was nach dem Fotoshooting passiert ist: "John und Paul sind schnell um die Ecke zu Paul nach Hause gegangen. Ringo ging einkaufen. George besuchte den Zoo."
Das letzte Aufgebot
"Abbey Road" ist das letzte Album, das die Beatles gemeinsam aufnehmen. Die Platte "Let It Be" ist bereits produziert, kommt aber erst 1970, nach dem Ende der Beatles heraus. Die "Let It Be"-Produktion hat unter einem noch schlechteren Stern gestanden als das 1968 erschienene "Weiße Album". Die Band ist längst zerstritten. Es gibt geschäftliche Probleme, Uneinigkeit über das Management - und schließlich gibt es Yoko Ono, John Lennons Frau, die ihrem Mann nicht mehr von der Seite weicht und den anderen drei Beatles auf die Nerven geht. Paul McCartney ist der einzige, der noch an etwas Gutes glaubt und überredet die Band zu einem neuen, allerletzten Beatles-Album. Es ist das letzte Aufgebot vor der endgültigen Trennung.
"Ehrenwort, John ist auch dabei"
Paul ruft den langjährigen Beatles-Produzenten George Martin an, der ziemlich erstaunt ist - dachte er doch nach den desaströsen "Let It Be"-Aufnahmen, dass das Ende der Beatles längst da sei. In der "Beatles Anthology" beschreibt Martin, wie Paul ihn fragt: "Wir nehmen eine neue Platte auf - hast du Lust, sie zu produzieren?" Martin darauf: "Nur, wenn ihr mich genauso machen lasst wie früher." Genau so, versichert Paul und muss Martin dann noch sein Ehrenwort geben, dass John auch mit dabei sein würde.
Zebrastreifen statt Himalaya
Und schließlich wird tatsächlich "eine sehr schöne Platte" daraus, wie Martin später erzählt. "Ich glaube, es lag daran, dass alle der Meinung waren, sie würde die letzte sein." Die Platte sollte ursprünglich den Titel "Everest" bekommen - symbolisch für das Erreichen des höchsten Gipfels. Der ursprüngliche Plan ist, die Beatles als "größte Band der Welt" für das Cover vor dem höchsten Berg der Erde abzulichten. Doch das erweist sich als zu aufwendig; die Zeit bis zur geplanten Veröffentlichung wird knapp. So entscheidet man sich für eine pragmatische Lösung: Eine Straßenszene draußen vorm Studio. Und so kommt die LP zu ihrem Titel: "Abbey Road".
Das Coverfoto der millionenfach verkauften Platte wird zu einer Ikone der Popkultur. Unzählige Male zitiert, von Fans nachgestellt und persifliert. Die Rockband "The Red Hot Chili Peppers" etwa ist für ihre EP "The Abbey Road" nackt über den Zebrastreifen gegangen - über ihren Geschlechtsteilen hingen weiße Socken. Die "Simpsons", die "Teletubbies", verschiedene Disneyfiguren, "Starwars"-Helden und andere Filmhelden wurden auf dem Zebrastreifen verewigt, die Beatles selber auf Segways gestellt oder mitsamt dem Käfer in die Schwerelosigkeit versetzt. Der Zeichner und Blogger Wells Baum hat das Foto in die Gegenwart geholt.
Weißer Käfer mit Todesbotschaft?
Sogar eine Verschwörungstheorie löste das Foto aus: Diese besagte, dass Paul McCartney bereits 1966 verstorben sei und seitdem von einem Doppelgänger ersetzt wurde. Als "Beweis" führten die Verschwörungstheoretiker an, dass der Linkshänder Paul seine Zigarette auf dem Foto in der rechten Hand hält. Zudem ist er auf dem Foto barfuß - eine englische Begräbnis-Tradition.
Und dann ist da noch der weiße Käfer im Hintergrund. Auf dem Nummernschild ist "LMW 28IF" zu erkennen. Dies wurde als Abkürzung für "Linda McCartney widowed" ("Linda McCartney verwitwet") interpretiert oder "Linda McCartney weeps" ("Linda McCartney weint"). "28IF" diente als Hinweis darauf, dass Paul in jenem Jahr 28 Jahre alt geworden wäre, wenn ("if") er nicht gestorben wäre. Ein Rechenfehler. Denn der im Juni 1942 geborene Paul wäre zu diesem Zeitpunkt erst 27 Jahre alt gewesen.
Inzwischen glaubt sowieso niemand mehr an sowas - und der quicklebendige, inzwischen 77-jährige Paul McCartney arbeitet gerade an seinem ersten Musical und hat angedeutet, dass es vielleicht bald ein neues Album mit Outtakes vergangener Studiosessions geben wird.
Der VW Käfer, der John Lennon gehört hatte, steht nun im VW-Museum in Wolfsburg. Der frühere VW-Archivar Eckberth von Witzleben ersteigerte den Wagen 1999 für 34.160 Deutsche Mark (etwa 17.000 Euro) und stiftete ihn dem Museum.
Neuauflage von "Abbey Road"
Genau 50 Jahre später erscheint nun eine Neuauflage von "Abbey Road". George Martins Sohn Giles hat sich die Bänder nochmal vorgenommen und alles neu gemixt, mit Dolby Surround-Sound versehen und remastert. Mit dabei: Die Hits "Here Comes The Sun" und "Come Together", sowie eine völlig neu klingende Version von "Oh! Darling". Die Jubliläumsausgabe kommt in verschiedenen Ausführungen auf den Markt: Von der reinen Vinyl- beziehungsweise CD-Veröffentlichung bis zur Deluxe-Box mit DVD, Blu-ray und zusätzlichen Demos und Session-Tapes, für Beatles-Fans wieder ein Leckerbissen, wie schon die Sondereditionen der vorherigen Jubiläumsplatten.
"Abbey Road" live
Selbst live können Fans - zumindest in Westeuropa - die Musik von "Abbey Road" hören. Die niederländische Band "The Analogues" hat sich darauf spezialisiert, alle Beatles-Alben nach 1966 live zu spielen. Was die Fab Four nicht mehr getan haben, weil die Fans zu laut waren und die Musik zu kompliziert wurde, lassen "The Analogues" auf originalen Instrumenten wieder aufleben. Mit den komplett nachgespielten Alben "Abbey Road" und "Let It Be" sind die Niederländer permanent auf Tour - durch Belgien, Frankreich, Deutschland, selbst in England sind sie schon aufgetreten und natürlich in ihrer Heimat.