50 Jahre UN-Mitgliedschaft: Deutschland will mehr
17. September 2023UN-Mitglied erst seit 1973? Warum so spät? Immerhin wurde die Bundesrepublik Deutschland schon 1949 gegründet, nur vier Jahre nach den Vereinten Nationen selbst.
Der Grund war, dass es damals zwei deutsche Staaten gab, neben der Bundesrepublik auch die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Und die Regierung der Bundesrepublik in Bonn erhob lange den sogenannten Alleinvertretungsanspruch.
Das bedeutete, sie allein glaubte, die einzige rechtmäßige Vertretung des deutschen Volkes zu sein, da nur sie demokratisch legitimiert sei.
Die westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die USA, Großbritannien und Frankreich, die damals noch ein Mitspracherecht über Deutschland hatten, hätten einen UN-Beitritt allein der Bundesrepublik unterstützt, nicht aber die Sowjetunion, die sich als Schutzmacht der DDR verstand. So war ein UN-Beitritt blockiert.
Kanzler Willy Brandt machte Weg frei
Anfang der 70er Jahre schwenkte die Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Willy Brandt um, normalisierte die Beziehungen zur DDR und machte so den Weg frei für die Aufnahme beider deutscher Staaten. Am 18. September 1973 traten sie als 133. und 134. Mitglied den Vereinten Nationen bei.
Die doppelte Mitgliedschaft endete mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Seitdem ist das vereinte Deutschland UN-Mitglied. Die Vorrechte der Siegermächte endeten.
Deutschland hat sein Engagement in den Vereinten Nationen seitdem deutlich erweitert: Es ist einer der größten Beitragszahler, hat sich an zahlreichen Friedensmissionen beteiligt, ist mit dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg und mehreren UN-Organisationen in Bonn ein Standort der Vereinten Nationen.
Gegründet auf dieses Engagement und auf das wirtschaftliche und politische Gewicht Deutschlands versucht Berlin seit vielen Jahren, einen ständigen Sitz mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu bekommen. Der Sicherheitsrat ist das höchste Entscheidungsgremium, an dem vorbei nichts läuft bei den Vereinten Nationen.
In diesem exklusiven Kreis sind bisher nur die USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich. Argument der Deutschen und anderer Aspiranten auf einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat ist, dass die Zusammensetzung des Rates die geopolitische Situation kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und nicht mehr die von heute widerspiegelt. Eine Ansicht, die auch von UN-Generalsekretär Guterres geteilt wird.
Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Executive Editor von "Internationale Politik Quarterly" nennt die Suche nach dem ständigen Sitz den "heiligen Gral der deutschen Außenpolitik". Die Chancen seien aber "sehr, sehr gering". Denn die bestehenden Mitglieder wollten ihre privilegierte Stellung nicht mit Neuankömmlingen teilen.
Zeitweilig ging man in Berlin dazu über, stattdessen einen ständigen Sitz für die gesamte Europäische Union zu fordern. Aber da dies bedeutet hätte, dass Großbritannien (das damals noch EU-Mitglied war) und Frankreich auf ihre jeweiligen Sitze hätten verzichten müssen, was beide strikt ablehnten, verlief auch dieser Vorstoß im Sande.
Henning Hoff sieht die Bundesregierung in einem Zweispalt: "Auf der einen Seite ist es das wichtigste Instrument, zumindest konzeptionell, das die deutsche Außenpolitik hat, stark auf die UNO zu setzen, um so etwas wie world governance herzustellen. Auf der anderen Seite sieht man, dass die Struktur der Vereinten Nationen eigentlich reformbedürftig ist, aber keine Aussicht besteht, dass es dazu kommen wird", sagt Hoff im DW-Gespräch
Ziel: Reform des Sicherheitsrates
Der Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung hat ein eigenes Kapitel "Multilateralismus". Darin heißt es über die Ziele im UN-Kontext: "Wir setzen uns für die Stärkung der Vereinten Nationen (VN) als wichtigster Institution der internationalen Ordnung politisch, finanziell und personell ein. Eine Reform des VN-Sicherheitsrates bleibt ebenso unser Ziel wie eine gerechtere Repräsentanz aller Weltregionen."
Konkret bereitet Deutschland gerade zusammen mit Namibia den sogenannten UN-Zukunftsgipfel über Reformfragen vor, der im kommenden Jahr stattfinden soll. Hier sollen die Themen des geplanten Zukunftspakts, des vorgesehenen Abschlussdokuments des Gipfels, benannt werden.
"Es geht darum, nochmal zu versuchen, die Kräfte innerhalb der UN nochmal an einen Tisch zu bekommen", beschreibt Henning Hoff das Ziel, "und das in einer Form zu machen, indem ein europäisches Land wie Deutschland und Namibia, eine Exkolonie, als Vertreterin des globalen Südens, hier gemeinsam an einem Strang ziehen und versuchen, diese Reformagenda nochmal klar zu definieren und voranzubringen." Hoff ist allerdings "ein bisschen skeptisch, ob das funktioniert".
BRICS oder G20 als Alternativen zur UN?
Doch während bisher alle grundlegenden UN-Reformbemühungen gescheitert sind, ist inzwischen eine ganz andere Entwicklung im Gange.
Hoff meint, "dass insbesondere China dazu übergeht, Parallelstrukturen zu schaffen, und dann versucht, die eigenen Strukturen sozusagen als Alternativen zur UN zu präsentieren", seien es die BRICS-Staaten oder die G20.
Ein ähnliches Verhalten wirft der frühere britische Premierminister Gordon Brown der US-Regierung Biden im Magazin "Foreign Policy" vor: Ihre "Fixierung auf bilaterale und regionale Abkommen – auf Kosten weltweit koordinierten Handelns – schränkt die Möglichkeiten unserer internationalen Institutionen ein, während sie gleichzeitig jede Möglichkeit einer stabilen und gestalteten Globalisierung untergräbt. Ohne einen neuen Multilateralismus scheint ein Jahrzehnt globaler Unordnung unvermeidlich", schreibt Brown.
Doch selbst die stark UN-orientierte deutsche Außenpolitik schwenkt inzwischen ein wenig um, meint Henning Hoff: "Der jüngste G20-Gipfel ist ein gutes Beispiel, dass man eben mehr auf solche Formate setzt, um so etwas wie world governance herzustellen, und weniger auf die UN."
Multilateralismus ist eines der Schlüsselwörter in der deutschen Außenpolitik, und das seit Jahrzehnten. Doch es scheint, dass sogar die Bundesregierung dabei nicht mehr ausschließlich an die Vereinten Nationen denkt.