60 Jahre UN: Organisation der Widersprüche
24. Oktober 2005"Wir, die Völker der Vereinten Nationen ..." - mit diesen Worten beginnt die Präambel der UN-Charta. Das klingt schön, ist aber nach Ansicht vieler Beobachter pure Schönfärberei. Denn tatsächlich bestimmen Regierungen das Wohl und Wehe der Weltorganisation, Regierungen, von denen nur ein Teil auf demokratischem Wege gewählt ist. Diktatorische Regime fanden und finden sich selbst unter den Mächtigsten - den fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern, die mit ihrem Vetorecht die UNO zu Untätigkeit verdammen können. Und selbst vom Volke frei gewählte Regierungen sprechen im Sicherheitsrat nicht immer das aus, was ihr Volk will: Man erinnere das "Ja" von Tony Blair und José María Aznar zum Irak-Krieg, während die Mehrheit der Briten und Spanier vehement dagegen waren.
Kriege selten verhindert
Der erste Satz der Präambel ist symptomatisch für die Widersprüche, unter denen die UN seit ihrer Gründung am Sonntag vor 60 Jahren leiden. Während des Kalten Krieges hat der Sicherheitsrat selten die Aufgabe erfüllen können, die ihm zugedacht ist, nämlich für Frieden und Sicherheit in der Welt zu sorgen. Zwar haben Blauhelme sehr oft bei der Befriedung von Regionen nach einem bewaffneten Konflikt eine positive Rolle gespielt. Aber eben erst nachdem Konflikte bereits eskaliert waren.
Den Ausbruch von Kriegen konnten die UN in den meisten Fällen nicht verhindern, weder in Korea noch in Vietnam. In Ruanda fand der Völkermord vor den Augen der Welt statt. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts Ende der 1980er Jahre tendiert zwar die Zahl der Vetos im Sicherheitsrat gegen Null. Aber das jüngste Beispiel Irak zeigt, dass das höchste UN-Gremium nur dann einen Waffengang verhindern kann, wenn das alle ständigen Mitglieder wirklich wollen.
Die gebremste Reform
Daran wird auch die Reform, die Generalsekretär Kofi Annan anstrebt, nichts ändern. Der Sicherheitsrat wird durch die geplante Erweiterung - egal, ob nun ständige Sitze hinzukommen oder nicht - keineswegs handlungsfähiger. Im Gegenteil: Beschlüsse zu fassen ist mit den derzeitigen 15 Mitgliedern sicher weitaus einfacher als, wie anvisiert, mit 24 oder 25. Denn das eigentlich entscheidende Problem ist das Vetorecht - und selbst die größten Reform-Optimisten glauben nicht, dass daran auch nur ein Komma geändert wird.
Auch ein zweiter Wunsch des Generalsekretärs wird an den realen Machtverhältnissen in der Welt scheitern: Annan will durchsetzen, dass militärisches Eingreifen bei wackeliger Beweislage - wie im Falle Irak - nicht ohne Zustimmung des Sicherheitsrats möglich ist. Dieser Vorschlag wird niemals das notwendige Plazet Washingtons erhalten, denn damit würde sich die einzig verbliebene Weltmacht von ihrer selbstgewählten Rolle des Weltpolizisten verabschieden.
UN sind vor allem ein Forum
Richtig ist, sich grundsätzliche Gedanken über die künftige Rolle der UN zu machen. Die Ansprüche sollten dabei aber nicht so hoch geschraubt werden, dass sie an der Wirklichkeit scheitern. Denn eines ist klar: Die Vereinten Nationen sind nur so lange vereint, wie es ihre Mitglieder zulassen - vor allem die ständigen Fünf im Sicherheitsrat.
Eine bescheidenere Sicht der Dinge käme der Wirklichkeit näher: Die UN dienen in Fragen des Weltfriedens in erster Linie als Forum zum Meinungsaustausch; in bestimmten Fällen werden dort konkrete Friedensmaßnahmen beschlossen; aber letztlich sind nicht die UN dafür verantwortlich, dass Frieden in der Welt herrscht, sondern alle 191 Mitgliedstaaten.