'Gaza ist verloren'
14. Juni 2007Präsidentensprecher Tajeb Abdel Rachim erklärte am Donnerstag (14.6.2007) im Hauptquartier in Ramallah, Abbas habe entsprechende Dekrete zur Auflösung der großen Koalition mit Hamas erlassen. Er plane die Bildung einer Notstandsregierung.
Ismail Hanija von der Hamas sei als Ministerpräsident entlassen, erklärte der Sprecher. Wegen des von Hamas geführten "kriminellen Krieges" und versuchten Putsches werde zudem der Notstand ausgerufen.
Fatah und Hamas hatten die große Koalition im März geschlossen, um einen monatelangen blutigen Machtkampf der beiden rivalisierenden Organisationen zu beenden.
"Beginn der islamischen Herrschaft"
Bei Kämpfen um die Zentrale des palästinensischen Geheimdienstes in Gaza wurden am Donnerstag mindestens 14 Menschen getötet. Wenig später stürmten Hamas-Kämpfer ein zweites Quartier der palästinensischen Geheimpolizei im Nordwesten der Stadt sowie die Büros des palästinensischen Rundfunks und setzen sie in Brand. Die letzten beiden Fatah-Hochburgen in Gaza waren am Abend noch die von der Präsidialgarde geschützen Residenz von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und das Saraja-Verwaltungszentrum der Sicherheitskräfte. "Dies ist der Beginn der islamischen Herrschaft", erklärte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri.
Ein Hamas-Führer kündigte die baldige Einnahme der Präsidentenresidenz an. Die Freitagsgebete sollten bereits in dem Gebäude stattfinden. Binnen einer Woche wurden mehr als 85 Menschen bei den Gefechten getötet.
Internationale Appelle
Die Arabische Liga berief für diesen Freitag eine Sondersitzung in Kairo ein und forderte die Palästinenser "im Namen aller Araber" auf, das Töten einzustellen. Liga-Generalsekretär Amre Mussa erklärte nach einem Vorbereitungstreffen, die Mitgliedstaaten hätten die Palästinenser "im Namen aller Araber" aufgefordert, das Töten einzustellen.
Hamas-Kämpfer zwangen Mitglieder der Polizeitruppe, die der Fatah nahe steht, mit nacktem Oberkörper aus dem Geheimdienst-Gebäude zu kommen. Sie hätten dann dicht über die Köpfe der Gefangenen geschossen, berichteten Augenzeugen. Hamas-Sprecher Suhri sprach von einer "zweiten Befreiung" des Gazastreifens. Zuerst habe man die israelischen Siedler und nun die "Verräter" vertrieben. Die Hamas-Miliz erklärte über Lautsprecher auf den Straßen, das Gebiet um das Hauptquartier sei nun "sicher" und "gesäubert".
Ruf nach internationalen Truppen
Nach palästinensischen Angaben kam es am Donnerstag auch zu sporadischen Angriffen von Fatah-Anhängern auf Geschäfte und Büros von Hamas-Mitgliedern im Westjordanland. Politische Beobachter befürchten ein Überschwappen der Gewalt auf das Westjordanland, wo die Fatah politisch und militärisch die Oberhand hat.
Die Vereinten Nationen in New York erhielten den Ruf nach einer Friedenstruppe für den Gazastreifen. Abbas und Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hätten einen internationalen Einsatz telefonisch bei ihm angesprochen, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York. Es gebe aber viele Fragen zu klären, unter anderem den Einsatzort und die Aufgabe einer möglichen Truppe. Ban: "All das ist unklar."
Zerbrechen der Regierungskoalition
Die Hamas lehnte Forderungen nach einer internationalen Friedenstruppe für den Gazastreifen strikt ab. "Wir werden mit einer solchen Truppe wie mit einer Besatzungstruppe umgehen", sagte Suhri. Bis auf weiteres betrachte Hamas die Stationierung einer internationalen Truppe als Versuch, in dem Machtkampf eine Seite auf Kosten der anderen Seite zu stärken.
Abbas wies Bedingungen der Hamas für eine Waffenruhe zurück. Zunächst müsse die Hamas die Angriffe einstellen, forderte er.
Thema beim EU-Gipfel
Bundeskanzlerin Angela Merkel appellierte eindringlich an die Palästinenser, die Kämpfe einzustellen. "Die Ereignisse der letzten Tage bedrücken uns", sagte die EU-Ratspräsidentin am Donnerstag in ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel. Merkel hatte am Vorabend mit Abbas und Olmert telefoniert.
EU-Chefdiplomat Javier Solana begrüßte den Vorschlag von Olmert, eine internationale Friedenstruppe an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu stationieren. "Ich halte das für eine wichtige Entwicklung", sagte Solana der Tageszeitung "Die Welt".
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich skeptisch. In der "Frankfurter Rundschau" schloss er auch langfristig eine europäische Beteiligung an einer solchen Truppe aus. Vorrang habe jetzt der Vermittlungsversuch, den Ägypten gestartet habe. Die USA appellierten an andere Länder in der Region, Abbas und gemäßigte Politiker zu unterstützen, die der Gewalt abgeschworen hätten.