Abrechnung mit der Politik von Angela Merkel
7. September 2011Der Bundestag hat extra die Tagesordnung geändert: Weil das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an diesem Mittwoch (07.09.2011) sein Urteil zum Euro-Rettungsschirm und den Griechenland-Hilfen verkündet, beginnt die Generaldebatte erst eineinhalb Stunden später als ursprünglich vorgesehen. Das Thema der Aussprache liegt ohnehin auf der Hand: Die Euro-Schuldenkrise - und der Umgang der Bundesregierung mit der Problematik.
Schäuble setzt auf Schuldenabbau
Den Auftakt der Haushalts-Woche im Bundestag hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gemacht: "Wir schwimmen nicht im Geld, aber wir ertrinken auch nicht mehr in Schulden", sagte der Minister am Dienstag in der ersten Beratung über den Etatentwurf für 2012. Nun gehe die Bundesregierung einen weiteren Schritt, um das staatliche Defizit zu verringern und damit das Wachstum zu fördern. Redner der Opposition warfen der schwarz-gelben Koalition jedoch vor, Haushaltsrisiken zu vernachlässigen und vor allem im Sozialbereich zu sparen.
Ein konsequenter Schuldenabbau stärke die Rolle Deutschlands als Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive, sagte Schäuble zum Auftakt der Haushaltsberatungen des Bundestages. Wörtlich warnte er vor einem "Pumpkapitalismus" mit immer neuen Schulden: "Wir schaffen Vertrauen durch finanzpolitische Solidität und Verlässlichkeit." So sieht das auch der Koalitionspartner FDP: "Die Haushaltsdisziplin ist Markenkern dieser Koalition", sagte FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke. Neue Konjunkturprogramme gegen das sich wieder abschwächende Wirtschaftswachstum lehnt die Bundesregierung ab: "Kurzfristige Nachfrage-Stimulierungen" würden nicht helfen, sagte der Finanzminister. Eine Rezession in Deutschland befürchte er nicht.
Schäuble geht vielmehr davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um rund drei Prozent zulegt. Das inzwischen langsamere Wachstum sei eine Normalisierung. In den kommenden Jahren müsse sich Deutschland jedoch auf moderatere Wachstumsraten einstellen. Von 2013 an sei ein durchschnittliches Plus von jährlich rund 1,6 Prozent zu erwarten.
Der Bund braucht weniger neue Kredite als bisher
In Schäubles Etatentwurf sind für 2012 neue Schulden von 27,2 Milliarden Euro geplant. Das liegt leicht unter der für dieses Jahr angestrebten Nettokreditaufnahme von 30 Milliarden Euro. Bis 2015 soll sie auf 14,7 Milliarden Euro sinken. Insgesamt sind bis 2015 neue Schulden von 85,5 Milliarden Euro geplant.
Die Gesamtausgaben sollen von 306 Milliarden Euro im nächsten Jahr auf 315 Milliarden Euro im Jahr 2015 klettern. Das Ausgabenplus könnte damit unter der Preissteigerung liegen, weshalb der Bund unterm Strich tatsächlich sparen würde. Endgültig verabschiedet werden sollen die Etatpläne im November. Dann will Schwarz-Gelb auch über die angekündigten Steuersenkungspläne entscheiden.
"Bundesregierung ist nicht krisenfest"
Die Oppositionsparteien ließen kein gutes Haar an Schäubles Rechnung und warfen der Koalition vor, sich auf der guten Konjunktur auszuruhen. So werde die Liste der Etat-Risiken nahezu täglich länger: Die sich verschärfende Euro-Schuldenkrise, der konjunkturelle Abschwung, Zinsrisiken und geringere Einnahmen aus der Atom- und der Flugticketsteuer. Hinzu kämen weniger Einsparungen aus der Bundeswehrreform, Zinsrisiken, die offene Finanztransaktionssteuer sowie noch nicht eingelöste Sparvorgaben.
SPD-Fraktionsvize Joachim Poß warf der Bundesregierung und namentlich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, in der Krise jeglichen Kompass verloren zu haben: "Wir haben eine Schönwetterregierung, die nicht krisenfest ist." Der Haushalt 2012 könnte allein dank der Konjunktur mit Neuschulden von "nur" 20 Milliarden Euro auskommen, kritisierte Poß und forderte Schäuble auf, Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik und bei anderen Sozialleistungen wieder zurückzunehmen.
"Zunehmende Unwägbarkeiten"
Die Grünen kreideten der Bundesregierung an, von unwahrscheinlichen Einnahmen auszugehen. Beispiele für Luftbuchungen seien die Bahndividende, die Brennelementesteuer und die Einsparungen bei der Bundeswehr, sagte Grünen-Haushaltsexpertin Priska Hinz. Sie kritisierte, dass die Bundesregierung echte Einsparungen lediglich im Sozialbereich vorsehe, strukturelle Kürzungen hingegen nicht.
"Nehmen Sie die unsozialen Kürzungspakete zurück und bitten Sie die Millionäre in diesem Land zur Kasse", forderte Linke-Parteichefin Gesine Lötzsch. Ebenso wie Redner von SPD und Grünen pochte sie auch auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, um Finanzmarktakteure an den Kosten der Wirtschafts- und Finanzkrise zu beteiligen.
Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa)
Redaktion: Martin Schrader/Frank Wörner