Bye-bye Brüssel, hello Berlin
14. Dezember 2016"Voller Demut danke ich für die gemeinsame Arbeit", sagte Martin Schulz in seiner letzten Rede als Präsident des Europäischen Parlaments in Straßburg. Demut und Martin Schulz? Das passt eigentlich nicht recht zusammen. Schulz strotzt normalerweise vor Selbstbewusstsein. Er hat aus dem repräsentativen Amt des Parlamentspräsidenten, das er fünf Jahre innehatte, eine mächtige Institution gemacht. "Mein Ziel ist es, das Europäische Parlament sichtbarer und hörbarer zu machen", sagte der Sozialdemokrat bei seinem Amtsantritt 2012. Das Ziel habe man gemeinsam erreicht, lobte sich Schulz zufrieden bei seinem Abschied am Dienstag. Dass er das Parlament und vor allem seine Person ins Licht der Öffentlichkeit geholt hat, das gestehen ihm selbst seine politischen Gegner zu.
"Ihre Attacken sind mein Stolz"
Nigel Farage, Vorkämpfer des Brexit und Europaabgeordneter der britischen Unabhängigkeitspartei, nannte Martin Schulz seinen Lieblingsgegner. Schulz habe immer versucht, seine Reden zu stören. "Am liebsten wäre ich zu ihm gegangen und hätte ihm mal eine gescheuert", scherzte Farage vor einem Jahr. Das hat er natürlich nicht getan, aber verbal haben sich die beiden nichts geschenkt. Martin Schulz sagt von sich selbst, dass er austeilen könne und ein Freund klarer Worte sei. Als die rechtsradikalen und Europa-skeptischen Abgeordneten seinen letzten Auftritt vor dem Plenum in Straßburg hämisch beklatschten, giftete Martin Schulz zurück: "Die Attacken von Ihrer Seite sind der Stolz eines jeden europäischen Demokraten."
Seit 1994 ist der ehemalige Bürgermeister der Kleinstadt Würselen Abgeordneter im Europäischen Parlament. Richtig bekannt wurde Schulz, als der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi 2003 ihn mit einem KZ-Aufseher verglich und damit für einen Skandal sorgte. Der begabte Redner arbeitete sich vom Fraktionsvorsitz der Sozialisten im Parlament auf den Sessel des Parlamentspräsidenten vor. 2014 kandidierte er als Spitzenkandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Er machte zusammen mit Jean-Claude Juncker, seinem konservativen Freund aus Luxemburg, die Wahl zum Europäischen Parlament zu einer Persönlichkeitswahl. "Wir haben Europa ein Gesicht gegeben", freute sich Schulz im Wahlkampf. Er absolvierte 200 Veranstaltungen und ungezählte Interviews.
Klare Ansagen
Schulz verlor die Wahl, mischte sich als Parlamentspräsident aber weiter überall ein, stöhnen seine Kritiker. Er empfing Präsidenten und Minister, machte eine Art parallele Außenpolitik. Hart ging er mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union ins Gericht, die er auch mal als "Eierköppe" titulierte. Bei seinem Amtsantritt 2012 verlangte der Parlamentspräsident, an den Europäischen Räten, also den regelmäßigen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, teilnehmen zu können. Die weigerten sich. Schulz drohte mit einer Art Sitzstreik. Schließlich musste er klein beigeben, aber die Aufmerksamkeit der Medien war ihm sicher.
Kanzlerkandidat Schulz?
Die Journalisten in Brüssel waren ganz glücklich mit Martin Schulz. Er war fast immer für Interviews zu fast jedem Thema zu haben, und das in gleich vier Sprachen. Bei seinem Abschied versprach Martin Schulz, die EU, das "größte zivilisatorische Projekt", weiter zu verteidigen, egal von welcher Position aus.
Er lässt sich im Herbst 2017 auf einem sicheren Listenplatz in den Deutschen Bundestag wählen. Wahrscheinlich kann er deutscher Außenminister werden, wenn der derzeitige Amtsinhaber, Frank-Walter Steinmeier, im Frühjahr zum deutschen Staatsoberhaupt gewählt wird. Vielleicht ist sogar eine Kanzlerkandidatur für die SPD drin. Martin Schulz ist in Umfragen der beliebteste Sozialdemokrat in Deutschland.
Selbst politische Gegner aus den Reihen der deutschen konservativen Abgeordneten in Straßburg gestehen Martin Schulz zu: "Er hat ein großes Talent." Schulz habe es verstanden, die richtigen Hebel für das Europäische Parlament und sich selbst zu ziehen. Glaubt man Vertrauten aus seinem Umfeld, wäre Martin Schulz auch gerne EU-Parlamentspräsident geblieben. Eine erneute Wahl war aber nicht möglich. Er hatte keine Lust, als einfacher Abgeordneter in Straßburg oder Brüssel zu versauern. Den möglichen Karriereknick vor Augen, organisierte Schulz rechtzeitig seinen Wechsel nach Berlin. Im letzten Jahr gab es auffällig viele Termine in seiner Heimat Deutschland. Die Präsenz in deutschen Medien stieg noch einmal.
Möglicher Seitenwechsel
In Brüssel sorgte der Parlamentspräsident dafür, dass die Zusammenarbeit mit der EU-Kommission bei der Gesetzgebung eher reibungslos funktionierte. Die in kleiner Runde ausgehandelten Deals zwischen Kommission, Ministerrat und Parlament bestimmten seinen Arbeitsstil. Die Gesetzgebung wurde schneller, aber nicht unbedingt besser, monieren Kritiker. Die Fraktionsvorsitzenden und einfache Abgeordnete fühlten sich oft ausgebootet. "Da war eine gewaltige große Koalition am Werk, von der immer behauptet wurde, es habe sie nie gegeben", sagte der belgische Abgeordnete Phillipe Lamberts (Grüne). "Handstreichartig" seien manche Entscheidungen an der Spitze des Parlaments vorgenommen worden, kritisierte der FDP-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff im Sommer.
Den Spitznamen, den einige Abgeordnete Schulz gaben, lautete "Martin der Große" oder "König Martin". Ob Schulz nun in Berlin eine zweite Karriere hinlegt und eines Tages sogar als Minister oder gar als Regierungschef zu künftigen EU-Gipfeln zurückkehrt und somit zu den "Eierköppen" gehört, wird man in Brüssel mit großem Interesse beobachten.