AfD in Sachsen: Deutschlands rechter Rand
13. September 2021Wenn Tino Chrupalla in die deutsche Hauptstadt Berlin fährt, braucht er Polizeischutz. Hier ist er für viele Menschen der Vorsitzende einer rechtsextremen Partei, die mit rassistischen Parolen gegen Einwanderer hetzt, und deren Mitglieder teils immer wieder durch Nähe zum Nationalsozialismus oder dessen Relativierung auffallen.
Wenn Chrupalla dagegen in der sächsischen Oberlausitz ist, schüttelt er auch in Corona-Zeiten Hände und wird freundlich gegrüßt. Polizeischutz braucht er nicht. In der Region ist er zu Hause, und Berlin ist weit weg. Seinen Wahlkreis Görlitz hat er schon bei der Bundestagswahl vor vier Jahren mit über 32 Prozent der Stimmen für seine Partei Alternative für Deutschland (AfD) gewonnen. Den Erfolg will er jetzt wiederholen.
An einem Mittwochmittag im September macht Chrupalla Straßenwahlkampf in der Kleinstadt Löbau, rund 35 Kilometer nördlich der tschechischen Grenze. Er steht entspannt unter einem Sonnenschirm zum Gespräch bereit.
Am Wahlstand ist nicht viel los. Heiner Putzmann kommt aus Löbau: "Hausgeburt. Winter 1952. Eisige Kälte war das." Er sagt, eigentlich lebt es sich ganz gut in der Oberlausitz. Schöne Berge, schicke Städte. "Deswegen leben wir hier und wollen auch nie in einer Großstadt leben." Aber die Infrastruktur sei schlecht. Und es gebe viel zu viele Einbrüche und Autodiebstähle. Putzmann spricht damit für viele Oberlausitzer - auch wenn die Kriminalität seit Jahren zurück geht.
Hier in der Oberlausitz ist Chrupalla der Handwerksmeister mit eigenem Malerbetrieb, der bodenständig für die einfachen Leute kämpft: "Die Arbeiterschaft und diejenigen, die wirklich wertschöpfend arbeiten, fühlen sich nicht mehr politisch vertreten", sagt er der DW am Wahlstand. Damit trifft er den Nerv vieler Menschen in der Region.
Kein Platz für Flüchtlinge und Gendersprache
Black Lives Matter, Gendersprache, LGBTQI+-Rechte, die Lage in Afghanistan und Syrien - diese Debatten interessieren in der Oberlausitz nicht besonders. Sie taugen höchstens als Feindbilder. "Die Politiker in Berlin und Dresden müssen sich endlich auch um das eigene Volk kümmern, bevor sie das Geld der eigenen Leute ins Ausland tragen", sagt Chrupalla.
Die Oberlausitz ist geprägt vom Wandel. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg kamen die Flüchtlinge aus dem Osten. Nach dem Ende der sozialistischen DDR brach die Wirtschaft zusammen. In der Folge löste sich der soziale Zusammenhalt auf. Die Abwertung anderer Menschen, Rassismus und sozialer Neid wurden zur herrschenden Jugendkultur. Das verstärkte die Abwärtsspirale noch, weil junge und gut ausgebildete Menschen möglichst schnell wegzogen. Heute ist die Oberlausitz eine der strukturschwächsten Regionen Deutschlands. Und eine Hochburg für rechte Parteien, wie der AfD.
Demokratie und Zusammenhalt fördern
Bernd Stracke kämpft seit Ende der 1990er Jahre gegen rechtsextreme Strukturen vor Ort. Er war damals freiwillig in die Oberlausitz gezogen. "Meine Eltern und Freunde waren erschüttert: "Geht's noch?" Stracke war in der sozialistischen DDR als Punkmusiker ein Staatsfeind. Ein bunter Hund. Die Oberlausitz galt auch in DDR-Zeiten schon als abgeschnittenes "Tal der Ahnungslosen".
Heute berät Stracke den sächsischen Ministerpräsidenten. Er soll Bürger und Politiker zusammenbringen. Denn viele Städte, Gemeinden und Familien sind zerrissen zwischen gesellschaftlichem Aufbruch und reaktionärer Abkehr von der Demokratie. Stracke soll einen neuen Zusammenhalt fördern. Er nennt das eine Revolution von Innen. Denn die Veränderung lasse sich nicht von Außen verordnen. "Wir sehen das ja jetzt auch in Afghanistan. Das geht nicht. Das hier rein zu importieren, das wird nicht funktionieren."
Bernd Stracke setzt auf Dialog - auch mit der AfD: "Es braucht auch eine gewisse Toleranz-Fähigkeit, um Dinge auszuhalten, die anders sind, als man selber denkt."
Die Oberlausitz ist eine Region voller Gegensätze: Manche Städte sehen noch aus wie Ruinen der untergegangenen DDR. Dagegen ist die Stadt Görlitz ein Touristenmagnet. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs verschonten die Stadt. Die makellosen alten Straßenzüge der Patrizier-Häuser ziehen auch das große Hollywoodkino an: Quentin Tarantino drehte hier seinen Kinofilm "Inglorious Bastards" und erweckte darin die Nazizeit wieder zum Leben. "Görliwood" nennt sich die Stadt wegen der vielen Filmproduktionen deswegen stolz.
Wahlkampf mit rechtsextremem Einschlag
Gasthof Kretscham im Örtchen Lawalde. Tino Chrupalla hat zum Wahlkampf geladen. 300 Menschen drängen sich dicht an dicht. Maske trägt hier keiner. Als Reporter wird man für seinen Mund-Nase-Schutz spöttisch bis feindselig gemustert. Gleich an der Saaltür steht ein junger Mann. Dass er rechtsextrem ist, macht schon seine Szenekleidung deutlich. Die Arme seines Nachbarn sind mit Totenköpfen tätowiert. Jeder zweite Ankommende grüßt ihn. Man kennt sich.
Die meisten Gäste sind Rentner. Bürgertum, wie man in Deutschland so schön sagt. Aber dazwischen auch immer wieder Totenkopftätowierte - manche mit Runen, die in der NS-Zeit beliebt waren, manche mit umgehängten Patronenhülsen. Der Übergang zwischen rechts und rechtsextrem ist fließend. Distanz zum rechtsextremen Parteiflügel ist von Chrupalla hier nicht zu hören. Dieser Flügel hat ihn auch erst erfolgreich gemacht und an die Parteispitze gewählt. Wenn er hier von vermeintlichen deutschen Tugenden, vor überfälligen Abschiebungen ins Ausland und einer drohenden Diktatur warnt, schallt es durch den Saal: "Jawoll!"
Chrupalla hat es mit seinem vermeintlich pragmatischen Kurs weit gebracht in der AfD. Seinen Wählern in der Oberlausitz kündigt er an: Ab 2025 wolle die AfD in Deutschland mitregieren.
In einer früheren Fassung des Artikels wurde die Kleinstadt Löbau fälscherlicherweise als "Löbenau" bezeichnet. Dies haben wir korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.