Afghanistan: Taliban können dringende Probleme nicht lösen
14. August 2024Noch erkennt kein Land die Taliban-Regierung in Afghanistan offiziell an. Drei Jahre nach ihrer Machtübernahme konnte die islamistische Gruppe trotzdem einige diplomatische Erfolge erzielen. So haben sie ihre Beziehungen zu Ländern wie Russland, China und den zentralasiatischen Staaten verbessert. Russland überlegt, die Taliban von seiner Terrorliste zu streichen. China hat vor knapp einem Jahr einen neuen Botschafter bei der Taliban-Regierung akkreditiert. Laut Aussage der Taliban gibt es in Afghanistan etwa 40 Ländervertretungen.
"Wir wollen gute Beziehungen zu allen Ländern", sagt Zabihullah Mujahid, Sprecher der Taliban, in einem Interview mit der DW. Auch wenn seine Regierung derzeit nicht offiziell anerkannt werden könne, würden gute Beziehungen für alle Beteiligten von Interesse sein.
Anfang Juli nahmen die Taliban erstmals an einer UN-Konferenz zu Afghanistan teil. Allerdings wollten sie nicht über die Frauenrechte reden. Mujahid hatte die Taliban-Delegation geleitet. 25 weitere Länder nahmen teil. "Afghanistan und seine Regierung sind aus der Isolation herausgekommen", betonte er damals. Auf der Tagesordnung standen unter anderem das Engagement für einen nachhaltigen Frieden, die Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte sowie die Drogenbekämpfung.
Keine Hoffnung auf Rechtsstaat
Kein UN-Mitglied ist offenbar bereit, das Taliban-Regime offiziell anzuerkennen, bevor die Rechte der Frauen nachweislich gestärkt werden. Unter der Regierung der islamistisch-fundamentalistischen Taliban ist die Bildung für Mädchen ab der siebten Klasse weiterhin untersagt. Die UN bezeichnen solche Einschränkungen der Frauenrechte als "Geschlechtsapartheid".
"Die Taliban-Regierung hat die härtesten Maßnahmen gegen Frauen, Menschenrechtsaktivisten, ehemalige Militärangehörige und ethnische Minderheiten in Afghanistan ergriffen", sagt Mustafa Mudassir, Experte für internationale Beziehungen, gegenüber der DW. Der Regierung mangele es nicht nur an internationaler Anerkennung, sondern auch an Legitimität in der Bevölkerung.
Die Menschen in Afghanistan würden Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte einfordern, sagt Arian Sharifi an der US-Elitenuniversität Princeton im DW-Interview. Die Gesetze müssten dann für alle Menschen gelten, einschließlich Frauen, Kinder sowie alle ethnischen Gruppen im Land. "Das Volk will eine Regierung, die auf Gesetzen basiert. Und die Gesetze sollten den kollektiven Willen des afghanischen Volkes widerspiegeln."
IS weiter aktiv, Terror bleibt
Die Sicherheitslage im Land am Hindukusch hat sich nicht entspannt. Immer noch sind mehr als 20 terroristische Gruppen auf afghanischem Boden aktiv, darunter Al Kaida, die pakistanischen Taliban TTP sowie das Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS). Der Ableger des IS in Afghanistan nennt sich IS-Provinz Khorasan, kurz IS-K. Khorasan war eine historische Region in Zentralasien, die heute im Gebiet von Afghanistan, Iran und einigen zentralasiatischen Ländern liegt.
Der IS-K fordert mit Anschlägen die Macht der Taliban-Regierung heraus. Auch Länder wie Russland und China sind zunehmend besorgt und arbeiten auf eine engere Zusammenarbeit mit den Taliban gegen den gemeinsamen Feind hin. China selbst teilt mit Afghanistan eine 76 Kilometer lange Grenze, die auf einer Höhe von circa 4000 Meter liegt und nur schwer überwacht werden kann.
Der Taliban-Sprecher Mujahid behauptet allerdings, die Bedrohung durch den IS-K sei auf "Null" reduziert worden. Doch jüngste UN-Berichte deuten darauf hin, dass der IS-K eine erhebliche terroristische Bedrohung darstellt, auch für Europa.
Regieren mit religiösen Erlassen
Innenpolitisch haben die Taliban ihre Macht fest etabliert. Sie regieren Afghanistan dabei ohne eine gültige Verfassung. Die Geistlichen haben immer das letzte Wort im Verwaltungsapparat. Der oberste Taliban-Anführer Hibatullah Akhundzada ist der mächtigste Mann im Land und selbst ernanntes Staatsoberhaupt. Er regiert mit religiösen Erlassen.
"Das Staatssystem der Taliban ist nicht inklusiv", sagt der Politologe Sharifi von der Princeton-Universität. "Deswegen können die Bürgerrechte nicht wiederhergestellt werden." Politischen Pluralismus könne es in Afghanistan nicht geben, da Parteien verboten sind und keine Wahlen stattfinden. Die religiös-zentralistische Regierung habe deswegen ein "Klima der Angst" in der Gesellschaft geschaffen, wie es die UN beschreiben.
Das sehen die Taliban anders. Die Provinzräte, die sich aus Geistlichen und Stammesältesten zusammensetzen, würden der Zentralregierung die Stimme der Bevölkerung übermitteln.
Während die Taliban-Regierung durch ihre komplexe Beziehung zur internationalen Gemeinschaft navigiert, bleibt die Zukunft Afghanistans auch weiterhin ungewiss. Die Menschen im Land sehen sich gefangen zwischen der Hoffnung auf Stabilität und der harten Realität eines isolierten Regimes. Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban benötigt nach aktuellen UN-Angaben immer noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung - etwa 24 Millionen Menschen - humanitäre Hilfe. Die sozial schwächsten Gruppen sind dabei Frauen und Kinder. Die humanitäre Krise breitet sich aus. Hunger, Unterernährung und mangelnde medizinische Versorgung sind dringende Probleme, die noch nicht gelöst sind.
Mitarbeit: Hussain Sirat
Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan