Agenda 2030: Gute Ansätze, mäßiger Erfolg
7. September 2016Erinnern Sie sich noch an das etwas ungelenk klingende Wort "Millenniumsentwicklungsziele"? Es war das Schlagwort der Vereinten Nationen (UN) für ein höchst ambitioniertes Ziel: die weltweite Armut bis 2015 zu halbieren. Darunter wurde und wird weit mehr verstanden, als den Hunger zu bekämpfen. Es ging um höhere Einkommen, mehr Bildung, weniger Kinder- und Müttersterblichkeit. Kurz: Es ging um mehr Gerechtigkeit und Demokratie. Erreicht wurden die Ziele aber nur teilweise. So gab es nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) Ende vergangenen Jahre noch immer knapp 795 Millionen Hungernde, nachdem es 1990 gut eine Milliarde waren.
Aus den "Millennium Development Goals" (MDG), wie sie auf Englisch heißen, sind vor einem Jahr auf dem UN-Gipfel in New York (im Artikelbild) die "Sustainable Development Goals" (SDG) geworden. Diese nachhaltigen Entwicklungsziele sollen bis 2030 erreicht werden. Der entscheidende Unterschied zu den MDG besteht darin, dass sie nicht nur für die armen und ärmsten Länder Welt gelten. Anders ausgedrückt: Auch Deutschland ist ein Entwicklungsland, "das bei Konsum, Produktion und ökologischem Fußabdruck umsteuern muss". So steht es im "Kompass 2030" der Welthungerhilfe und von terre des hommes, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
Lob für den guten Willen des Entwicklungsministeriums
Es ist der 24. Bericht, den die beiden Hilfsorganisationen traditionell mit dem Etikett "Die Wirklichkeit der Entwicklungspolitik" versehen. Durchgehend gute Noten gibt es auch dieses Mal nicht. Aber die Bilanz fällt weniger streng aus, als es oft der Fall war. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wird allgemein für seinen Willen gelobt, "Kritik und Anregungen für Verbesserungen zu nutzen". Als ein Beispiel wird die Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" erwähnt. Damit will Minister Gerd Müller (CSU) die ländliche Entwicklung in den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt fördern.
Immerhin 1,4 Milliarden Euro standen laut BMZ-Angaben 2015 für dieses Programm zur Verfügung. Der gleiche Betrag soll es auch in diesem Jahr sein. Doch dem Lob der Hilfsorganisationen folgt der Tadel. Die Planung sei "übereilt", eine "gründliche Ursachenanalyse" von Hunger und Unterernährung käme zu kurz und lokale zivilgesellschaftliche Organisationen seien nur "ungenügend" beteiligt. Soll heißen: Alles gut gemeint, aber wenig durchdacht.
Vom 0,7-Prozent-Ziel ist Deutschland weit entfernt
Derlei Kritik ist das BMZ gewohnt. Vom Verband der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen (Venro) ist sie seit vielen Jahren zu hören. Aber auch die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) attestiert Deutschland regelmäßig Nachholbedarf. So liegt das schon 1970 (!) von den UN erklärte 0,7-Prozent-Ziel noch immer in weiter Ferne. Mit 0,52 Prozent Entwicklungshilfe gemessen am Bruttonationaleinkommen (BNE) belegt die reiche Bundesrepublik nur einen Platz im Mittelfeld (siehe Grafik).
Besserung ist kaum in Sicht - im Gegenteil. Zwar soll der BMZ-Etat 2017 um rund 580 Millionen auf dann fast acht Milliarden Euro steigen. Aber über dieser Zahl liege ein "Schatten", heißt es im "Kompass 2030"-Bericht, denn bis 2020 seien keine Mehrausgaben geplant. Abgesehen davon fehlt es der deutschen Entwicklungspolitik nach Überzeugung der Hilfsorganisationen weiterhin an einer überzeugenden Evaluation. Wie wirksam die eingesetzten Mittel tatsächlich seien, würden Länder wie Irland, Dänemark oder Großbritannien wesentlich besser überprüfen. Hinweise auf entsprechende Untersuchungen finden sich in der Studie.
Vorwurf: Mit Geld für Flüchtlingen wird die Quote "schöngerechnet"
Harsche Kritik muss sich Deutschland dafür gefallen lassen, dass es "sich seine Entwicklungsleistung zunehmend schönrechnet". Die Steigerung der sogenannten ODA-Quote (Official Development Assistance) von 0,42 auf 0,52 Prozent binnen Jahresfrist sei im Wesentlichen gelungen, "weil die Kosten für Geflüchtete im Inland jetzt in viel stärkerem Maße als Entwicklungshilfe deklariert werden". In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass Entwicklungs- und Schwellenländer die Hauptlast der Flüchtlinge trügen. Dort lebten 90 Prozent der weltweit 65 Millionen Betroffenen (siehe Grafik).
Weil in der Logik der "Sustainable Development Goals" (GDS) auch die Industrieländer als Entwicklungsländer betrachtet werden, gibt es im "Kompass 2030"-Bericht einige Fingerzeige in dieser Richtung. Für die Hilfsorganisationen ist es eine routinierte Übung, die von ihnen seit Jahren festgestellten Mängel zu benennen: Agrar-Subventionen, Steuerschlupflöcher, Treibhausgase. Dass darunter auch und vor allem die Entwicklungsländer leiden, bestreitet ernsthaft kein Experte.
Klimaziele als "Testfall für Deutschlands Glaubwürdigkeit"
In der Studie zur "Wirklichkeit der Entwicklungspolitik" wird die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbarte Reduzierung von Treibhausgasen als "Testfall für Deutschlands Glaubwürdigkeit" bezeichnet. Bis 2050 sollen diese Klimakiller um 80 bis 95 Prozent verringert werden. Wie schwer das wird, lässt der Hinweis erahnen, dass Deutschland trotz aller Anstrengungen beim CO²-Ausstoß auf der Stelle tritt.
Laut CCPI-Index (Climate Change Performance Index) der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch belegt die Bundesrepublik Platz 22 von 58 Ländern. Das Gesamtfazit der Welthungerhilfe und von terre des hommes ist entsprechend: Deutschland sei nicht der Vorreiter, als den es die Bundesregierung gerne präsentiert - "weder in der Entwicklungspolitik noch in der Umsetzung der Agenda 2030".