Worüber streitet die EU bei der Agrarpolitik?
21. Oktober 2020Es ist der größte Posten im Haushalt der Europäischen Union: Aktuell fließen mehr als 54 Milliarden Euro Agrarsubventionen pro Jahr von der EU an die 27 Mitgliedsstaaten. Und immer wieder gibt es Streit über die Gemeinsame Agrarpolitik, kurz GAP genannt.
Wie soll Europas Landwirtschaft der Zukunft aussehen?
Nun steht wieder einmal eine Reform an. Die EU muss sich auf ihren allgemeinen Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 einigen, den sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) - und damit auch auf die Höhe der Gelder für die Landwirtschaft. Die Summe der Agrarsubventionen soll zwar in etwa gleich bleiben, insgesamt bis 2027 fast 390 Milliarden Euro. Höchst umstritten aber sind die Fragen: Wie soll das Geld verteilt werden und vor allem - wie stark sollen die Subventionen künftig mit Umweltauflagen verknüpft sein?
Ein Überblick über die Geschichte der GAP, ihre Auswirkungen und das Ringen um die aktuelle Reform.
1. Was ist die GAP überhaupt?
Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU wurde 1962 ins Leben gerufen, um die Bevölkerung in der Nachkriegszeit ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Fünf Ziele sollte die GAP erreichen:
- die Produktivität der Landwirtschaft in Europa steigern
- eine sichere Nahrungsmittelversorgung gewährleisten
- die europäischen Märkte stabilisieren
- sicherstellen, dass Bäuerinnen und Bauern ein "angemessenes" Einkommen haben
- für angemessene Verbraucherpreise sorgen.
Alle sieben Jahre werden die Grundsätze und Finanzmittel der GAP mit Blick auf die sich wandelnden Lebensverhältnisse und Herausforderungen angepasst.
Wie beim Rest des Europäischen Finanzrahmens müssen auch bei der GAP die drei EU-Institutionen gemeinsam zu einer Entscheidung kommen: die EU-Kommission, der EU-Ministerrat - in diesem Fall die Agrarminister der 27 EU-Mitgliedsstaaten - und das EU-Parlament.
2. Wie werden die EU-Agrarsubventionen bisher gezahlt?
In der Nachkriegszeit sah die GAP Zahlungen für konkrete Agrarprodukte vor. Da dies zu einer Überproduktion bestimmter Produkte führte, Stichwort "Butterberg", wurden 1992 die sogenannten "entkoppelten Direktzahlungen" eingeführt, um Landwirtinnen und Landwirte zu unterstützen. Laut Umweltbundesamt (UBA) machen sie durchschnittlich etwa 40 Prozent der Einkommen in der Landwirtschaft aus.
Diese Zahlungen werden "die erste Säule" der GAP genannt. Das Geld wird pro Hektar gezahlt - je mehr Fläche ein Betrieb hat, desto höher die Direktzahlungen. Daran gibt es viel Kritik. Immer wieder werden die EU-Agrarsubventionen für das "Höfe-Sterben" verantwortlich gemacht. Denn kleinbäuerliche Betriebe mit wenig Fläche profitieren kaum von den Direktzahlungen, industrielle Großbetriebe mit viel Fläche dagegen sehr.
Auch wird laut UBA mehr als die Hälfte der Landwirtschaft in Pacht betrieben. In die zu zahlenden Pachtpreise werden die Subventionen aber eingerechnet, so dass das Geld nicht den Erzeugenden sondern den Landbesitzenden zugute kommt.Laut Bundeslandwirtschaftsministerium erhält Deutschland 6,2 Milliarden Euro Agrarsubventionen pro Jahr, 5 Milliarden als Direktzahlungen.
Für die sogenannte zweite Säule der GAP sind nur 1,2 Milliarden vorgesehen. Damit sollen Umwelt- und Klimamaßnahmen und die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert werden.
Das Problem: Für alles, was an EU-Geld aus der zweiten Säule kommt, muss das Mitgliedsland, in Form von Staat, Region oder Gemeinde, dieselbe Summe aus eigenen Mitteln draufzahlen. Daher wird das EU-Geld der zweiten Säule oft erst gar nicht in Anspruch genommen und bleibt in Brüssel.
3. Welche Kritik gibt es an den aktuellen Agrarsubventionen?
Vor allem die konventionelle und intensive Landwirtschaft gilt als einer der Hauptverursacher für das Artensterben; ein großer Teil der CO2-Emissionen gehen auf ihr Konto, ebenso wie die Pestizidbelastung und Überdüngung der Böden und des Grundwassers. Dennoch fördere die EU-Agrarpolitik durch die Flächendirektzahlungen genau diese Art der Landwirtschaft, monieren Umweltverbände, Klimaschützer und Parteien wie die Grünen unisono.
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Zahlungen aus der wichtigen ersten Säule sind bisher an so gut wie keine Umweltauflagen geknüpft. Um in den Genuss des Geldes zu kommen, müssen Landwirtschaftsbetriebe ihre Flächen lediglich in einem "guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand" erhalten und "Grundanforderungen an die Betriebsführung" erfüllen.
Zwar werden seit 2013 ein Drittel der Direktzahlungen nur dann ausgegeben, wenn das sogenannte "Greening", also bestimmte Umweltauflagen, von den Betrieben einhalten werden. Umweltorganisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisieren die Vorgaben aber als viel zu lasch. Und auch das Umweltbundesamt stellt fest: "Die Greening-Auflagen führten kaum zu Änderungen in der Bewirtschaftung und haben aus Umweltsicht kaum positive Effekte bewirkt."
4. Welche Forderungen zur Reform der GAP gibt es?
Die Landwirtschaft der EU muss grüner und nachhaltiger werden, Leistungen von Bäuerinnen und Bauern für Natur und Umwelt sollen entlohnt werden - so das Credo. Doch in welchem Maß die Auszahlung der Subventionen von diesem Naturschutz abhängen sollen, darüber gibt es Streit.
Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten die Maßnahmen, die Kontrolle und Sanktionen für die Umweltauflagen selbst festlegen sollen. Bisher sind sie auf EU-Ebene vorgegeben. Allerdings sollen die EU-Staaten der Kommission Strategiepläne über die Umsetzung ihrer Pläne vorlegen müssen.
Diese Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten lehnen sowohl Umweltverbände als auch Interessenvertreter der Agrarwirtschaft ab. Die einen fürchten zu geringe Umweltverpflichtungen, die anderen Wettbewerbsverzerrungen.
Großer Streit herrscht auch über die von der EU-Kommission vorgeschlagenen neuen Eco-Schemes. Diese Öko-Regelungen sollen für Auszahlungen der Gelder aus der ersten Säule gelten und weit über die bisher eher dürftigen Umweltauflagen dort hinausgehen. Nur wenn ein Agrarbetrieb die neuen Auflagen erfüllt, soll er die komplette Summe erhalten, so die Idee.
Die Agrarminister der Mitgliedstaaten wollen, dass der Anteil der Eco-Schemes bei 20 Prozent der Direktzahlungen liegt. Im EU-Parlament stehen 30 Prozent zur Debatte.
5. Wie fallen Reaktionen zu den Reformvorschlägen aus?
Naturschützern reicht das nicht. "Umweltorganisationen wie der NABU fordern, dass künftig mindestens die Hälfte der Gelder der ersten Säule an die Eco-Schemes gebunden wird, statt sie weiter wie bisher in die pauschalen Direktzahlungen fließen zu lassen", sagt Angelika Lischka, Expertin für Agrarpolitik beim NABU der DW.
Der Präsident des deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, hingegen warnt vor "Maximalforderungen zur ausschließlichen Umweltorientierung". Die Landwirtschaft brauche eine Förderung, für alle Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik - also auch bei der Einkommenssicherung für Landwirte.
Lavinia Roveran vom Deutschen Naturschutzring, dem Dachverband der Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen in Deutschland, gibt im DW-Gespräch dagegen zu bedenken: "Wenn die Böden durch die intensive Nutzung weiter ausgelaugt werden, wenn das Artensterben weitergeht, wenn wir den Klimawandel nicht bekämpfen, ist langfristig selbst das als zentral angepriesene GAP-Ziel der Ernährungssicherheit in Gefahr."
Und auch das Umweltbundesamt rät, die kommende Periode der GAP für einen echten Umbau der EU-Agrarpolitik zu nutzen. Denn in vielen Bereichen seien die Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft bereits ein großes Problem. So verletze Deutschland beispielsweise mit hohen Nitratwerten im Grundwasser rechtlich verbindliche EU-Vorgaben, sagt Lea Köder, Agrar-Expertin beim UBA der DW. "Wir müssen jetzt mit dem Umbau anfangen, sonst wird es nur mit sehr teuren und drastischen Maßnahmen möglich sein, Umweltziele noch zu erreichen."
Wie sehr die Neuausrichtung der GAP umstritten ist, zeigt sich auch an der Flut der Änderungsanträge, die bislang im EU-Parlament zu den Vorschlägen der EU-Kommission eingebracht wurden: bei Beendigung dieses Artikels waren es bereits mehr als 2000 Stück.