Ai Weiwei ist in Deutschland
30. Juli 2015Bei seiner Ankunft am Münchener Flughafen haben sein Sohn Ai Lao und dessen Mutter Wang Fen den Künstler Ai Weiwei abgeholt. Nach Angaben der Berliner Galerie Neugerriemschneider wird er zunächst einige Tage in der Landeshauptstadt bleiben und dann mit seiner Familie weiter nach Berlin reisen.
Über vier Jahre war Ai Weiwei an sein Heimatland China gefesselt. Vergangene Woche erhielt er endlich seinen Pass zurück und verkündete, zuallererst nach Berlin zu reisen. Bereits zwei Tage später postete er auf Instragram sein Visum und außerdem auch noch eine Arbeitserlaubnis für Deutschland.
Großbritannien dagegen verweigert ihm ein sechsmonatiges Geschäftsvisum. Die Briten erlauben dem chinesischen Künstler nur einen dreiwöchigen Aufenthalt. In dem Ablehnungsschreiben, das Ai Weiwei am Donnerstag auf Instagram veröffentlichte, wird ihm vorgeworfen, im Visumantrag falsche Angaben über seine bisherige Straffälligkeit gemacht zu haben. "Es ist öffentlich bekannt, dass Sie früher eine kriminelle Verurteilung in China erhalten haben", heißt es darin. Chinas berühmtester zeitgenössischer Künstler hob hingegen hervor, "niemals wegen eines Verbrechens angeklagt oder verurteilt worden" zu sein.
"Berlin, I love you"
Am Donnerstagnachmittag (30.05.2015) ist er in München aus dem Flugzeug gestiegen. Sein nächstes Ziel: Berlin. Mit seinem Film "Berlin, I love you", zeigte er bereits, welch intensive Verbindung er zu der deutschen Hauptstadt hat. Der Kurzfilm beschreibt seine Fernbeziehung zu seinem sechs Jahre alten Sohn Ai Lao, der bereits seit elf Monaten mit seiner Mutter dort lebt. Der Künstler hat diesen Film während der letzten Berlinale im Februar 2015 gedreht - per Skype von Peking aus.
Ein Jahr zuvor organisierte er von China aus seine bislang größte Einzelausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau. Einige Installationen hat er speziell für das Museum geschaffen, obwohl er es selbst nicht betreten konnte.
Ai Weiwei hat sogar ein Amt in der Stadt inne: Nur wenige Wochen nach seiner Festnahme am 3. April 2011 ernannte ihn die Universität der Künste offiziell zum Gastprofessor. Die Professur war mit dem Künstler bereits seit Dezember diskutiert worden, aber seine Festnahme beschleunigte die Verkündung der Entscheidung. Zu diesem Zeitpunkt wurde Ai Weiwei bereits seit 81 Tagen in einem geheimen Gefängnis in China festgehalten.
Aus Deutschland erfuhr der Künstler und Dissident in den letzten Jahren große Unterstützung. Galeriebesitzer und Chineexperte Alexander Ochs sowie eine Gruppe von Berliner Freunden starteten die Kampagne: "Reisefreiheit für Ai Weiwei," die von Tausenden von Menschen in Deutschland unterzeichnet wurde. Später folgte eine zweite Initiative: "Pass für Ai Weiwei."
Zeichen für Lockerung
Ochs kennt den chinesischen Künstler bereits seit 20 Jahren und hat seine Werke als erster in Berlin ausgestellt. Nach jahrelangem Kampf für Ai Weiweis Freiheit, hat Ochs die Hoffnung nie aufgegeben, dass sein Einsatz von Erfolg gekrönt sein würde. Zumal sich die Anzeichen für einen Wandel im Umgang mit dem Künstler mehrten: "Als ich hörte, dass Ai im Juni seine Werke in China ausstellen durfte, bin ich davon ausgegangen, dass er bald seinen Pass zurück erhält.", sagte Ochs der DW. Er sei zwar nicht überrascht gewesen, aber "überrascht darüber, dass es so schnell ging."
Ähnlich sieht das Adrian Locke, Co-Kurator einer Ai Weiwei Ausstellung, die im September in der Royal Academy in London startet. Als er den Künstler vor einigen Monaten in Peking besuchte, habe er allerdings noch die Überwachung seitens der Behörden gespürt. Ai habe sich zum Beispiel regelmäßig bei der Polizei melden müssen - eine "Routine-Maßnahme."
Staatliche Repressalien
Sein ganzes Leben litt Ai Weiwei unter den Auswirkungen der totalitären Regierung Chinas. Sein Vater, der berühmte Dichter Ai Qing, der einmal Mao Zedong nahe gestanden hatte, wurde von dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei 1958 fallen gelassen. Die Familie Ai wurde in ein Arbeitslager geschickt, wo sie in einer Erdgrube hausen musste. Damals war Ai Weiwei erst ein Jahr alt. Während er aufwuchs, wurde er Zeuge der Demütigung seines Vaters, der gezwungen wurde, die Toilette des Dorfes zu reinigen - eine "Umerziehungsmaßnahme". Mit dem Tod von Mao Zedong 1976 kühlte das politische Klima ab, und die Familie Ai durfte nach Peking zurückkehren.
Ai Weiwei schrieb sich im Alter von 21 Jahren an der Filmakademie von Peking ein. Er verlor jedoch das Interesse an seinem Studium, gründete die radikale Künstlergruppe "Stars", unter anderem hängte er regimekritische Plakate an eine Mauer, die als "Mauer der Demokratie" bekannt wurde. Als der neue chinesische Staatschef Deng Xiaoping beschloss, gegen die Demokratiebewegung vorzugehen und deren prominentesten Vertreter, Wei Jingsheng, 1979 verhaften ließ, erkannte der junge Künstler schnell, dass er das Land verlassen sollte.
Vom Straßenmaler zum Biennale-Künstler
Ai Weiwei zog 1981 nach New York, wo er sich an der Parsons School of Design einschrieb. Aber das quirlige kulturelle Leben auf den Straßen und in den Galerien des East Village zog ihn mehr in den Bann als seine Kurse in Kunstgeschichte. Nach kurzer Zeit brach er sein Studium wieder ab. Er freundete sich mit dem Beat-Poeten Allen Ginsberg an, und entdeckte die Werke eines Künstlers, die ihn zutiefst beeinflussten: Marcel Duchamp. "Durch Duchamp erkannte ich, dass Künstler zu sein mehr mit einem gewissen Lebensstil und einer Einstellung zu tun hat, als mit der Herstellung von Produkten," hat Ai einmal geschrieben.
1993 kehrte Ai Weiwei zu seiner Familie nach China zurück. Von diesem Zeitpunkt an wurde sein künstlerisches Schaffen immer politischer. Uli Sigg, ein begeisterter Sammler von chinesischer Kunst und ehemaliger Botschafter der Schweiz in Peking, machte ihn international bekannt. Sigg stellte Ai den großen Kuratoren der Kunstwelt vor. 1999 wurde Ai Weiwei auf die Biennale von Venedig eingeladen. In China organisierte er eine Ausstellung mit Avantgardekünstlern namens "Fuck Off", um gegen die 3. Shanghai Biennale im Jahr 2000 zu protestieren: Sie wurde vor ihrem offiziellen Ende von der Polizei beendet.
Das Märchen der 1001 Chinesen
Ai hat zwar nie Architektur studiert, aber trotzdem leitete er nach der Gestaltung seines Studiokomplexes in Peking mit seiner Firma FAKE-Entwurf eins der wichtigsten Architekturbüros in China. Er wurde sogar als Designberater für den Bau des berühmten "Vogelnest-Stadions" für die Olympischen Spiele 2008 in Peking angefragt- wurde dann allerdings zum Kritiker der Spiele.
Auch als Künstler hat er die Grenzen erweitert. Als er 2007 zur Weltkunstschau documenta 12 nach Kassel eingeladen wurde, huldigte er der Heimatstadt der Gebrüder Grimm mit dem ehrgeizigen Projekt "Fairytale" , für das er 1001 Chinesen nach Kassel holen ließ. Nachts schliefen sie in einem Schlafsaal, tagsüber erkundeten sie die Stadt und schilderten ihre Eindrücke als Touristen in Kassel.
@aiww auf Twitter und Instagram
Vor dem Jahr 2005 hatte Ai Weiwei nie einen Computer benutzt. Aber dann entwickelte er sich zu einem virtuosen Social-Media-Nutzer, der sich und seinen Alltag digital dokumentierte - oder zumindest transparent machte. Er schrieb in seinen Blogs, die immer wieder zensiert und verboten wurden, über die chinesischen Behörden. 2008 provozierte er die Regierung, als er eine gründliche Untersuchung über die Opfer eines tödlichen Erdbebens in Sezuan startete. Wahrscheinlich haben seine hartnäckigen Nachforschungen die Probleme mit den Behörden zusätzlich verschärft: 2009 wurde er verhaftet und von der Polizei geschlagen.
Endlich hat Ai Weiwei einen Pass!
Jetzt, wo Ai Weiwei wieder reisen kann, stellt sich die Frage, welche Spuren die Repressalien hinterlassen haben. "Natürlich hat das alles Einfluss auf seine Kunst", sagte Galerist Alexander Ochs. Royal Academy Kurator Adrian Locke, der Ai Weiweis "horizonterweiterndes Engagement" nur bewundern kann, glaubt, dass er sich weiterhin mit der Geschichte und Politik von China befassen wird. "Er hat als Verteidiger der Menschenrechte eine Verantwortung übernommen, und ich glaube nicht, dass sich das ändern wird", sagte er im Interview der DW. Es ist schwer vorherzusagen, ob Ai künftig die Freiheit haben wird, in seinem Heimatland zu tun, was er will. Dem Peking-Korrespondenten des "New Yorker", Evan Osnos, sagte Ai einmal, der Umgang mit den chinesischen Behörden fühle sich an wie "Schachspielen mit einem Außerirdischen."
Trotz der positiven Entwicklungen im Fall Ai Weiwei ist die chinesische Führung gegenüber Regimekritikern nicht toleranter geworden. Amnesty International erinnert daran, dass auch die Herausgabe des Passes an Ai Weiwei nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass weiterhin hart gegen die Zivilgesellschaft vorgegangen wird. Seit dem 10. Juli sind 240 Menschenrechtsanwälte verhaftet worden. Einige von ihnen werden noch immer vermisst.