CDU verjüngt, aber auch verändert?
8. Dezember 2018Manchmal fallen wichtige politische Entscheidungen am Rande der Tanzfläche. Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer kam in der langen Partynacht der Partei am Freitag mit Paul Ziemiak ins Gespräch. Sie habe erneut mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Jungen Union gesprochen, erzählt sie, und ihn gefragt, ob er ihr neuer Generalsekretär werden und in der Parteispitze mitarbeiten will. "Paul Ziemiak hat gestern Abend zugesagt, dass er in dieses Team kommen will."
Das war eine sehr scharfe Drehung, ein Rhythmus- und Richtungswechsel. Vor Wochen hatte Kramp-Karrenbauer den 33-Jährigen zum ersten Mal vorsichtig angefragt. Da habe er ihr ehrlich gesagt, dass er im Rennen um den Posten des Parteichefs die beiden Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen favorisiere, Friedrich Merz und Jens Spahn, berichtet die neue Vorsitzende. Und nun?
"Es fühlt sich immer noch richtig an", sagt Kramp-Karrenbauer. Deshalb... Tanzfläche. Auch Ziemiak spricht bei seiner Vorstellung diesen Spagat an. Gleich nach der Wahl jener Frau, die er nicht favorisierte, stand er rauchend und in aufgeregter Diskussion vor der Parteitags-Halle.
"Das war ein Tag, wie ihn viele sich nicht gewünscht haben." Mancher verstehe nun seine Entscheidung für das neue Amt nicht. Aber "gemeinsam können wir viel erreichen, weil heute etwas Neues beginnt". Er wolle helfen, die Partei zu erneuern, "mit klarem Kurs und einer klaren Sprache".
So bekommt Ziemiak 503 von 834 abgegebenen Stimmen, es werden nach Abzug von Enthaltungen und ungültigen Stimmen 62,8 Prozent. Er selbst spricht von einem "ehrlichen Ergebnis", was man in der deutschen Sprache so sagt, wenn ein Resultat eher ernüchternd ist.
Kritiker der Kanzlerin
Damit ist Ziemiak, im polnischen Stettin geboren, mit 33 Jahren der jüngste CDU-Generalsekretär aller Zeiten. Er tritt da in große Fußstapfen. Zu seinen Vorgängern und Vorgängerinnen gehören Namen wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler und Peter Hintze, die Symbolgestalten der CDU waren, oder auch Angela Merkel. Und eben Annegret Kramp-Karrenbauer.
Seit 2014 ist der im Sauerland lebende Ziemiak Bundesvorsitzender der Jungen Union, der Nachwuchs-Organisation der CDU und zugleich der größten politischen Jugendorganisation in Europa. Bei den Wahlen im September 2017 zog Ziemiak in den Bundestag ein. Als JU-Chef gehörte er zu den prononcierten Kritikern des Kurses von Angela Merkel und stand bei Fotos gerne mal neben Jens Spahn oder auch Horst Seehofer.
"Friedrich, bleib bei uns!"
Ein Generalsekretär, der gerne Merz oder Spahn als Vorsitzender gehabt hätte... Die neue Parteichefin Kramp-Karrenbauer nahm dies zum Anlass für grundsätzliche Worte. "Nein, diese Partei ist nicht gespalten. Wir haben alle die Aufgabe, an der Einheit der Partei zu arbeiten." Das klang nach Basta, auch wenn kein Basta folgte.
Wie zerrissen manche in der Partei sind, das belegte nur wenige Viertelstunden nach der Ansprache der neuen Chefin der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU, Carsten Linnemann. Auch er gehört zu den Merkel-Kritikern. Eigentlich sprach er zu einer inhaltlichen Frage. Aber dann begann er mit "herzlichsten Glückwünschen" an Kramp-Karrenbauer. Er sei von einer sehr guten Zusammenarbeit überzeugt.
Und dann wandte er sich mit zitternder Stimme an Friedrich Merz: "Lieber Friedrich, bleib bitte bei uns. Unterstütze bitte weiter die Union. Friedrich, wir brauchen Dich..." Und es wurde noch emotionaler: "Ich bitte alle, jetzt mitzumachen. Alles andere bringt nichts. Wir kriegen das hin, glaubt es mir. Aber es wird nicht einfacher!" Wie Ziemiak hatte auch Linnemann vor den Reden einzelne Delegierte zu ernsten Gesprächen aufgesucht.
Delegierte reisen ab
Der Tag eins nach der Machtablösung in der CDU. Zerrissen hat es die Partei nicht. Aber es wird Zeit brauchen. Spahn und Merz sind in der Halle, Merz in den Reihen der Delegierten. In Interviews möchte er sich nicht äußern. An der Wahl Ziemiaks nahmen von den 1001 Delegierten 834 teil.
Niemand weiß, ob die anderen 167 alle dem langen Party-Abend der Partei - Stichwort: Tanzfläche - zum Opfer gefallen waren oder ihre Abreise bereits langfristig geplant hatten. Oder am Freitagabend enttäuscht von dannen zogen.
Mit der Wahl Ziemiaks setzt AKK, wie sich die Parteichefin gelegentlich selber nennt, ein Zeichen an die Jugend einer überalterten Partei - und an den Kurs der bisherigen Merkel-CDU. Nun heißt es abwarten, bis zum ersten Dissens in der Sache zwischen der alten und der neuen Chefin.
Einen Etappen-Erfolg kann Kramp-Karrenbauer jedenfalls verzeichnen. Der "Leitfaden" für ein neues CDU-Grundsatzprogramm wurde ohne lange Debatten abgesegnet. Sie kündigte für 2020 eine "Antwort-Tour" an, die auch viele Menschen ohne Parteibuch erreichen solle. Und Ende 2020 solle das neue Grundsatzprogramm stehen, aus dem das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 erwachsen werde.
Europawahlkampf gegen AfD
Das zeigt, dass die neue CDU-Führung von ihrer Seite aus die Stabilität bis zum Ende der Jahre von Kanzlerin Merkel sicherstellen will. Und natürlich hat die Partei die Europawahl im Mai 2019 im Blick,das wurde am Tag von AKK deutlich. Das vermeintliche Streitthema Migrationspakt hatte der Parteitag bereits abgearbeitet und einem unterstützenden Antrag der Parteispitze zugestimmt. Kritik gab es an der mangelnden Kommunikation der Parteizentrale - was übrigens Jens Spahn seit vielen Wochen predigte.
Die großen Reden des Samstags galten dem Thema Europa. Manfred Weber (CSU), der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen für die Europawahl, kündigte an, er wolle "Europa demokratisieren" und eine "gute stabile Zukunft" für die Gemeinschaft. Es gehe bei der Wahl um Grundsätzliches. Rechtspopulisten wollten Europa schwächen oder zerstören. Die AfD bezeichnete Weber als deutsche Brexit-Partei. Der Fraktionschef der Union im Bundestag, Ralph Brinkhaus, rief dazu auf, das "Friedensprojekt" Europa "nicht denjenigen zu überlassen, die dieses Europa kaputtmachen wollen".
Und Paul Ziemiak zeigte, dass er schon weiß, dass ein Partei-General eben auch für Attacke steht. "Wir brauchen keine Angst vor der Europawahl zu haben. Wir sollten uns freuen, weil wir diese Wahl gewinnen werden."