Al-Kaida zeigt Schlagkraft
6. Dezember 2013Es war ein Machtbeweis. Ein Anschlag auf das Herz der jemenitischen Politik. Minutiös geplant und brutal durchgeführt. Das Verteidigungsministerium in Sanaa ist eines der am besten gesicherten Gebäude des Landes. Hier sind die Büros des Präsidenten, des Verteidigungsministers und der Spitze der Streitkräfte.
Trotzdem schafften es die Terroristen, in das Gebäude einzudringen. Erst sprengte sich ein Selbstmordattentäter mit einer Autobombe am Eingang des Verteidigungsministeriums in die Luft. Dann drangen mit Armeeuniformen bekleidete Angreifer in den Komplex ein, lieferten sich Gefechte mit Soldaten. Unter den Toten: zahlreiche Ärzte, Krankenschwestern und Patienten einer Krankenstation, die sich auf dem Gelände des Ministeriums befand. Die Bilanz der Attacke: mehr als 50 Tote und fast 200 Verletzte.
Unter den Opfern sind neben mehreren Philippinos auch zwei Deutsche. Die beiden waren als Entwicklungshelfer für die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Jemen. Auch ein jemenitischer GIZ-Mitarbeiter wurde getötet. "Die Bundesregierung verurteilt die feigen Anschläge in Sanaa auf das Schärfste", erklärte Außenminister Guido Westerwelle: "Jemen darf kein Hort des Terrors werden."
Am Freitag (06.12.2013) bekannte sich das Terrornetzwerk Al-Kaida zu dem Anschlag. Das jemenitische Verteidigungsministerium beherberge "Drohnenkontrollräume und US-Experten". Von US-Amerikanern genutzte Einrichtungen seien "legitime Ziele", hieß es in einer Erklärung von Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) im Internet.
Ein Land am Abgrund
Al-Kaida profitiert vom politischen Chaos im Jemen. Das Land steckt in einer tiefen Krise. Im Februar 2012 trat der langjährige Präsident Ali Abdullah Saleh nach monatelangen Protesten zurück. Sein Nachfolger wurde Abd-Rabbu Mansour Hadi.
Im Rahmen eines "Nationalen Dialogs" sollten eine neue Verfassung entworfen und Neuwahlen vorbereitet werden. Doch der Dialog, der eigentlich im September 2013 hätte beendet werden sollen, ist ins Stocken geraten.
Den politischen Eliten, sagt die Politikwissenschaftlerin Elham Manea von der Universität Zürich, gehe es nur um ihre eigenen Interessen und nicht um das Land. Vor allem die "alte Garde" rund um den gestürzten Präsidenten Saleh wolle ihren Einfluss nicht abgeben.
Auch Horst Kopp, Jemen-Experte und emeritierter Professor der Universität Erlangen-Nürnberg, sieht den "Nationalen Dialog" pessimistisch: "Nur ein relativ kleiner Teil der Teilnehmer will den Jemen überhaupt noch als Zentralstaat erhalten." Die Tendenz gehe zu einem föderalen Staat. Nun würde um die Machtmöglichkeiten für die Regionen gerungen.
Schon jetzt ist der Jemen ein zerrissenes Land: Der Süden träumt von der Unabhängigkeit. Im Norden haben sich schiitische Houthi-Rebellen gegen die Zentralregierung erhoben. Dort haben sich auch radikale Salafisten breitgemacht. Erst vor kurzem kam es zu Kämpfen zwischen den verfeindeten Gruppen. Und auch die traditionell einflussreichen Stämme wollen ihren Anteil an der Macht.
Al-Kaida als Krisenprofiteur
Ob Houthi-Rebellen, Salafisten oder Al-Kaida: Sie allen nutzen das Chaos. "Die Schwäche des Zentralstaates hat die Situation verschlimmert", sagt Elham Manea. Al-Kaida übernahm zeitweilig sogar die Macht in mehreren Städten im Süden des Landes.
Unterstützung im Kampf gegen Al-Kaida kommt aus den USA. In den vergangenen Monaten haben die USA ihre Drohnenangriffe verstärkt. US-Militär und Geheimdienste trainieren und bewaffnen jemenitische Sicherheitskräfte. "Doch offensichtlich hat man nichts erreicht", sagt Horst Kopp. "Die Sicherheitslage ist so prekär, dass sich die Al-Kaida Leute relativ ungestört im Land bewegen können." Der Anschlag in Sanaa habe gezeigt, dass die Militanten ohne große Probleme Waffen und Kämpfer bis ins Zentrum der Hauptstadt bringen können.
"Der Jemen ist ein gescheiterter Staat", sagt Elham Manea. Die Regierung sei nicht in der Lage, die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung zu erfüllen. "Al Kaida nutzt das, um neue Anhänger zu rekrutieren." Die Drohnenattacken der USA, glaubt Manea, seien letztlich sogar kontraproduktiv. Jeder Angriff, jedes Opfer in der Zivilbevölkerung würde Al-Kaida nur neue Anhänger in die Arme treiben.
Die einzige Lösung: "Die politischen Eliten müssen endlich die Interessen des Landes in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen", fordert Manea. Und die Bedürfnisse und Probleme der Menschen angehen. Denn die Jemeniten leiden unter der Dauerkrise: "Jemen ist von chronischer Armut und Unterentwicklung geschwächt. Millionen Jemeniten stehen vor dem Abgrund ihrer Existenz", sagte die UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos im September. "Die Menschen brauchen Nahrungsmittel, Wasser, Bildung und medizinische Versorgung." Mehr als 10 Millionen Menschen – die Hälfte der Bevölkerung – leiden nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen Hunger oder sind von Hunger bedroht. Und die Rate der mangelernährten Kinder gehört zu den weltweit höchsten.