1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Albanischer Nationalismus

Pandeli Pani11. Juli 2013

Mit scharfer nationalistischer Rhetorik gingen bei den jüngsten Parlamentswahlen fast alle Parteien in Albanien auf Stimmenfang - ohne großen Erfolg. Ganz vom Tisch ist die Idee eines "Großalbaniens" allerdings nicht.

https://p.dw.com/p/193t6
Anhänger der Partei Rot-Schwarze Allianz, Albanien (Bild: Mimoza Puto/DW)
Anhänger der Partei Rot-Schwarze Allianz, AlbanienBild: DW/M. Puto

"Eine Sprache, eine Kultur, eine Nation, eine Zukunft", "Ich will ein vereintes Albanien", "Albanien über alles" - das sind nur einige der Parolen, die auf großen Wahlplakaten in der albanischen Hauptstadt Tirana vor den Parlamentswahlen Ende Juni zu sehen waren. Die teilweise scharfe nationalistische Rhetorik, mit der fast alle Parteien auf Stimmenfang gingen, beunruhigten internationale Beobachter. In den Nachbarländern wird sie als eine "großalbanische" Bedrohung interpretiert, die auch nach den Wahlen präsent bleibt.

Allen voran provozierten zwei Parteien mit nationalistischen Aussagen und der Forderung nach einer Vereinigung aller Albaner in einem Staat: die "Aleanca Kuq e Zi" ("Allianz Rot-Schwarz") - kurz AK - und die PDIU (Partei für Recht, Integration und Einheit). Albaner leben nicht nur in Albanien: Im benachbarten Kosovo stellen sie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, aber auch in angrenzenden Gebieten in Mazedonien, Südserbien, Montenegro oder Griechenland leben viele Menschen albanischer Herkunft. Ein "Großalbanien" könnte nach dem Willen der beiden Parteien all diese Gebiete umfassen.

"Ich will ein vereintes Albanien" - Wahlplakat der PDIU (Foto: Pandeli Pani/DW)
"Ich will ein vereintes Albanien" - Wahlplakat der PDIUBild: DW

Gleiche Rhetorik - Unterschiedliche Milieus

Die Ende 2012 gegründete "Allianz Rot-Schwarz", die primär junge Wähler anzieht, macht keinen Hehl aus ihrer großalbanischen Ideologie. Sie tritt offen für eine Vereinigung Albaniens mit dem Kosovo ein und rührt damit an einem außen- und sicherheitspolitisch sensiblen Status quo. Die Idee der jungen Partei fiel im vergangenen Jahr vor dem Hintergrund der Hundertjahrfeier der albanischen Unabhängigkeit auf fruchtbaren Boden. Und der Vorsitzende der AK, Kreshnik Spahiu, versuchte, diesen emotionalen Schwung aufzunehmen und bis zur Parlamentswahl am 23. Juni 2013 aufrechtzuerhalten. Dennoch scheiterten die Bemühungen, sich als dritte Kraft neben der Demokratischen Partei (PD) und der Sozialistischen Partei (PS) zu etablieren - die Partei schaffte nicht den Sprung ins Parlament.

Anders die 2005 gegründete PDIU, die in erster Linie die Interessen der Çamen vertritt, der Nachkommen albanischer Vertriebener aus dem Zweiten Weltkrieg, die in der Region Epirus im Nordwesten Griechenlands ansässig waren. Die PDIU fordert nicht nur die Vereinigung aller Albaner aus Albanien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und dem südserbischen Presevo-Tal. Sie verlangt auch, dass Griechenland den Çamen die enteigneten Grundstücke zurückgibt oder sie entschädigt. Mit solchen Forderungen war die PDIU bei den Parlamentswahlen erfolgreich - während sie nach den Wahlen vor vier Jahren nur einen Sitz im Parlament hatte, kam sie diesmal mit insgesamt 2,6 Prozent der Stimmen auf vier Sitze.

Nationalistische Rhetorik tief verwurzelt

Die aus dem 19. Jahrhundert stammende Idee eines Zusammenschlusses aller Albaner in einem gemeinsamen Staat übt auf viele auch heute eine große Faszination aus. Wie gefährlich aber ist der albanische Nationalismus? "Auf der einen Seite sind die nationalistische Ideologie und Rhetorik bei den Albanern tief verwurzelt. Sie sind Bestandteile ihrer Kultur. Die Albaner werden mit alten essentialistischen Nationsvorstellungen erzogen: In den Adern aller Albaner fließt das gleiche Blut und die müssen in einem Staat zusammenleben", erklärt der Analyst und Publizist Fatos Lubonja im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Infografik Albanische Siedlungsgebiete und Grenzen von "Großalbanien" DEU (DW)

Der Vorstellung von einer historischen Ungerechtigkeit bei der Festlegung der Grenzen, dem Trauma der geteilten Nation und dem Wunsch, alle Albaner in einem Staat vereint zu sehen, stehe aber eine Realität entgegen, die den Albanern bekannt sei, so Lubonja. "Die Albaner wissen um ihren schwachen Staat, ihnen ist die Tatsache bewusst, dass ihr Schicksal immer von außen bestimmt wurde und dass sie es nicht wirklich schaffen, einen funktionierenden Staat aufzubauen."

Politische Folklore versus konkretes Programm

Die Bemühungen, aus der nationalistischen Rhetorik ein politisches Programm zu machen, kollidieren nach Auffassung von Lubonja außerdem mit der Korruption und mit dem stark ausgeprägten Individualismus der Albaner.

Gent Ibrahimi, Direktor des Instituts für Politische und Rechtliche Studien in Tirana, stellt zudem fest, dass man in Albanien allein mit allgemeinen panalbanischen Forderungen und Bestrebungen nicht genügend Stimmen bekommen kann. Aber wenn eine Partei neben der nationalistischen Rhetorik auch konkrete Zielvorstellungen und Ansprüche in ihrem Programm aufnehme, dann sehe die Sache anders aus.

Brücke in Tirana mit Werbung der PDIU (Bild: Mimoza Puto/DW)
"Weg mit den Beschlüssen von London" - Die PDIU fordert eine Revision der Grenzen, die 1913 in London festgelegt wurdenBild: DW/M. Puto

"So erwies sich etwa die 'Allianz Rot Schwarz', die zwar die Vereinigung der Albaner verlangt, jedoch keine konkreten politischen Forderungen hervorbringt, als politisches Strohfeuer", betont Ibrahimi. Dagegen fand "der eher pragmatische Ansatz der PDIU, die nicht nur die nationale Vereinigung der Albaner im Allgemeinen fordert, sondern auch die Rückgabe des enteigneten Grundbesitzes der Çamen in Griechenland verlangt", bei den Wählern eine gewisse Unterstützung, sagt Ibrahimi im Gespräch mit der DW.

Ablenkungsmanöver oder reale Bedrohung?

Experten aus dem In- und Ausland vertraten nach den Wahlen die Ansicht, dass die Forderung nach einem Großalbanien als Ablenkungsmanöver von realen Sorgen, wie Armut und Korruption benutzt wurde, um Wähler zu ködern. So meint Fatos Lubonja, dass der albanische Nationalismus keine konkrete Bedrohung im Sinne einer Bereitschaft zum Krieg gegen die Nachbarn darstellt. Dennoch bleibe er gefährlich. "Wenn jemand weltoffene Gedanken über die albanische Geschichte vertritt, wird er sofort als Kollaborateur mit den sogenannten Feinden der Albaner, also den Serben oder den Griechen, gebrandmarkt", sagt der Publizist. Damit versuchten die Nationalisten, politische Gegner zu diffamieren.

Allerdings wollen nicht alle das Phänomen des Nationalismus nur als eine Randerscheinung sehen. Der Politikwissenschaftler Artan Puto sieht in der miserablen wirtschaftlichen Lage Albaniens eine weitere Gefahr, die das nationalistische Gedankengut forcieren kann. "Dieser Zustand, sowie die geistige Krise, in der sich die albanische Gesellschaft seit der Wende befindet, bilden eine hochexplosive Mischung, die den Nationalismus beflügeln und ihn gefährlich machen kann."