Flugzeug-Abschuss
19. Juli 2014Deutsche Welle: Kann man inzwischen definitiv sagen, dass die malaysische Passagiermaschine abgeschossen wurde und nicht wegen einer technischen Störung abgestürzt ist?
Alexander Golz: Einige renommierte Medien in den USA berichten, dass die US-Nachrichtendienste den Ort des Raketenabschusses und den Abschuss selbst registriert haben. Ich denke also, dass es kaum mehr Zweifel daran gibt, dass das Flugzeug abgeschossen wurde.
Es kursieren verschiedene Versionen, wie es dazu kam. Welche kann man bereits jetzt als falsch einstufen?
Wir befinden uns in einem Informationskrieg, in dem sich alle Seiten gegenseitig beschuldigen und belügen. Man kann weder russischen, noch ukrainischen Medien oder offiziellen Quellen trauen. Die einzige objektive Informationsquelle bleibt aus meiner Sicht der Satellitennachrichtendienst der USA. Und dieser sagt, es gab einen Raketenabschuss.
Da es in dieser Region keine befestigten Flugabwehrsysteme gibt, kann man sagen, dass das Flugzeug mit einer Rakete eines transportablen Flugabwehrsystems abgeschossen wurde. Folglich ist die Version, dass man den Jet aus der Luft attackiert haben könnte, zu verwerfen.
Welche Möglichkeiten haben die verschiedenen Konfliktparteien, ein Flugzeug in 10.000 Meter Höhe abzuschießen?
Die Ukraine hat zurzeit Flugabwehrsysteme des Typs S-200, die Ziele in 100 Kilometer Entfernung (am Boden) oder in 30 Kilometer Höhe treffen können. Russland hat noch weit bessere Systeme, vom Typ S-300. Beide Seiten verfügen außerdem über das Flugabwehrsystem "Buk-М1", und Russland auch über das neuere "Buk-М1-2". Diese Systeme sind eigentlich für die Verteidigung der Bodentruppen gedacht, sie können Flugobjekte abfangen, die sich auf einer Höhe von mehr als 10.000 Metern befinden.
Außerdem haben die staatlichen russischen Medien, allen voran der TV-Sender "Westi" und die Nachrichtenagentur Itar-Tass, im Juni dieses Jahres berichtet, dass die prorussischen Separatisten einen ukrainischen Militärstützpunkt mit Flugabwehrwaffen unter ihre Kontrolle gebracht hätten, dabei sollen auch "Buk-М1" zum Einsatz gekommen sein.
Glauben Sie an einen Zufall oder hat man den Jet mit Absicht abgeschossen, weil man es für ein Militärflugzeug gehalten hat?
Zunächst muss man einordnen: was ist ein Zufall, was ist Absicht. Dass man nicht darauf aus war, eine malaysische Maschine abzuschießen, das scheint mir mehr oder weniger klar. Zumindest hat daran keine der Konfliktparteien ein Interesse. Offenbar wollte man einen Jet des Gegners treffen, aber mangels Qualifikation wurde er falsch identifiziert. Wenn man eine echte Armeeflugabwehr aufbaut, die sich auf mehrere Radargeräte stützt, müssen diese auch von Fachleuten bedient werden, die Ahnung haben von Flugkorridoren und Informationen über den Zeitplan der Passagierflugzeuge.
Hier haben Leute agiert, die offensichtlich keine richtige Flugabwehrausbildung hatten und ihre Daten nicht überprüfen konnten. Alles, was sie dann sehen, sind Signale auf dem Radarbildschirm. Das eine Signal ist etwas stärker, das andere etwas schwächer – und, siehe da, gleich gibt's einen Fehler.
Was, wenn sich die Information bestätigen sollte, dass das ukrainische Militär an der Tragödie beteiligt war?
Die ukrainischen Militärs haben einen "Tick": Sie sind sich alle sicher, dass ihre Militärflugzeuge regelmäßig russische Jagdflugzeuge abschießen. Ich denke hier rein theoretisch, aber man darf die Psychose, die hohe ukrainische Militärs ergriffen hat, nicht unterschätzen. Sie spüren den Druck von oben, haben aber wenig Glück. Ganz ausschließen möchte ich nicht, dass die ukrainischen Kräfte an diesem Zwischenfall beteiligt waren.
Aber Sie schließen die Möglichkeit aus, dass die Rakete von russischem Boden hochging?
Es ist das am wenigsten wahrscheinliche Szenario.
Und was denken Sie über die Version einiger russischer Medien, die sie mit Verweis auf eine Quelle in der Luftfahrtbehörde Russlands verbreiteten, dass das mögliche Ziel der Attacke die Maschine des russischen Präsidenten gewesen sein könnte?
Ich würde Mitarbeiter aus dem Schutzdienst des Präsidenten sofort rauswerfen, wenn sie es der Präsidentenmaschine erlaubt hätten, eine Route über das Konfliktterritorium einzuschlagen. Das wäre doch der helle Wahnsinn.
Welche Folgen kann dieser Fall haben?
Wenn wir erfahren, dass die sogenannte Landwehr (so die russische Bezeichnung der prorussischen Separatisten in der Ukraine; Anm. d. Red.) verantwortlich ist, dann würde in der Welt doch keiner mehr einen Unterschied zwischen ihr und Russland machen. Ich erinnere daran, was im September 1983 passiert ist, als die Sowjets eine koreanische Passagiermaschine abgeschossen haben. Da war die Reaktion nicht nur Entrüstung, sondern Hass, den die ganze Welt empfunden hat. Wenn aber die ukrainischen Militärs verantwortlich sein sollten, wird dasselbe der Ukraine widerfahren, dann bleibt von der internationalen Sympathie keine Spur.
Alexander Golz ist ein russischer Militärjournalist und Chef-Redakteur der russischen Internetnachrichtenseite ej.ru.