Amerikas Schande
10. Januar 2007Seit seiner Einrichtung am 11. Januar 2002 hat das Sonder-Lager für Terrorverdächtige in dem US-Stützpunkt auf Kuba internationale Kritik auf sich gezogen. Die US-Regierung unter Präsident George W. Bush betrachtet die Gefangenen als "feindliche Kämpfer". Sie leben in einem weitgehend rechtlosen Zustand, ob sie freigelassen werden, entscheiden letztlich amerikanische Offiziere nach ihren eigenen Kriterien. Das Pentagon gibt offen zu, dass manche der zur Zeit noch rund 400 Insassen möglicherweise nie wieder freikommen werden.
Als vor fünf Jahren die ersten Gefangenen von Afghanistan nach Guantanamo Bay überführt wurden, gab es dort nur Maschendrahtkäfige, die als "Camp X-Ray" bezeichnet wurden. Inzwischen wurden sie durch das größere Lager "Camp Delta" ersetzt. Vermutlich über 1000 Menschen aus 45 verschiedenen Ländern wurden bislang auf dem ehemaligen Militär-Stützpunkt der USA interniert. Die zivile Gerichtsbarkeit der USA hat auf das vom Militärrecht bestimmte Gelände keinen Zugriff. Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen gab es von Anfang an, doch es dauerte bis zum Jahr 2005, bis die Vereinten Nationen Untersuchungen aufnehmen konnten. UN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak erklärt warum: "Eine so genannte 'fact finding mission' geht nur aufgrund der Einladung einer Regierung. Die haben wir erst sehr, sehr zögernd, eben 2005 beziehungsweise 2006 bekommen." Man habe dann beschlossen, eine Untersuchung einzuleiten, so Nowak.
Verletzung von Menschenrechten
Die US-Regierung kooperierte zunächst mit den vier Sonderberichterstattern, die für die Themen, Folter, Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Religionsausübung und das Recht auf physische und psychische Gesundheit zuständig sind. Schließlich wurden sie sogar nach Guantanamo eingeladen. Die Untersuchungsstandards für die "fact finding mission" wurden allerdings von vornherein ausgeschlossen. Gespräche mit den Lagerinsassen ohne Beisein von Bewachungspersonal wurden verboten. So recherchierten die vier Sonderberichterstatter außerhalb der Guantanamo Bay und sammelten genügend Material, um Anfang 2006 der UN-Menschenrechtskommission einen über 50-seitigen Bericht vorzulegen.
"Ich glaube das wichtigste Grundrecht, das verletzt wird, ist das Recht auf persönliche Freiheit", bemängelt Nowak. Man dürfe Menschen nur aus ganz bestimmten Gründen festnehmen, kritisiert der UN-Sonderberichterstatter. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn jemandem eine Straftat zur Last gelegt wird. "Aber binnen weniger Tage sollten diese Personen einer unabhängigen gerichtlichen Instanz überantwortet werden", fordert Nowak. Doch bereits eine gerichtliche Prüfung der Verdachtsmomente für eine Untersuchungshaft fand nie statt.
Unmenschliche und erniedrigende Behandlung
Außerdem hätten alle Menschen ein Recht auf einen fairen Prozess vor einem unabhängigen Gericht. Militärbehörden und -tribunalen fehle es an dieser Unabhängigkeit, beanstandet Nowak und fügt hinzu: "Die Art und Weise wie die Gefangenen behandelt wurden, widerspricht dem Verbot der Folter, beziehungsweise anderer Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung." Niemandem, und sei er auch noch so verdächtig, dürften diese Rechte vorenthalten werden.
Der Bericht, der für viel Wirbel gesorgt hat, beinhaltete die klare Aufforderung zur Schließung von Guantanamo Bay. Doch dazu kam es bis heute nicht. Das Problem: rund 200 Häftlinge, die weder vor Gericht gestellt, noch so ohne weiteres freigelassen werden können: "Es gibt beispielsweise circa 15 Uiguren aus China (Red: muslimische Minderheit in China), die in Guantanamo festgehalten werden. Und der einzige Staat, der sich bereitgefunden hat, einige aufzunehmen - ich glaube fünf - war Albanien", schildert der UN-Sonderberichterstatter. Sogar die Vereinigten Staaten sagten, dass diese Personen unschuldig seien. Durch die lange Haft in Guantanamo seien sie aber möglicherweise gefährlich geworden. "Auch wenn man sie freilässt, kann man sie nicht nach China zurückschicken, weil sie dort sicherlich auch wieder Misshandlungen befürchten müssten", beschreibt Nowak das Dilemma. Man müsse eine humanitäre Lösung finden, an der auch ein EU-Mitgliedsland beteiligt sein könnte.
Negativer Nachahmungseffekt
Leider, so der Österreicher Nowak, mangele es bisher an der notwendigen europäischen Kooperation. Wären die EU-Mitgliedsstaaten, die ebenfalls forderten, Guantanamo zu schließen, bereit, sich an der Lösung von Einzelfällen zu beteiligen, wären die Tore des Lagers sicher bald geschlossen, meint Nowak.
Zum Schutz der Menschen vor dem Terrorismus habe das Lager ohnehin nicht beigetragen, sondern vielmehr das Gegenteil bewirkt. Das Ausmaß des Terrorismus sei eher gestiegen, wie das Beispiel Irak zeige. Außerdem seien die Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo ein Negativ-Beispiel, prangert Nowak an. Andere Ländern ahmten es nach.
Neue Machtverhältnisse im US-Kongress
Nur die Bekämpfung der Armut, oder der Einsatz für mehr Gerechtigkeit in den Gesellschaften, könne auf Dauer den Terrorismus eindämmen, nicht aber der Entzug der Menschenrechte für Einzelne oder Gruppen, so der UN-Sonderberichterstatter. Mit Blick auf die USA fährt Nowak fort: "Ich hoffe sehr, dass jetzt mit den neuen Machtverhältnissen im US-Kongress auch vonseiten des Kongresses stärker Druck auf die Regierung gemacht wird, doch hier möglichst schnell zu einer Lösung des Problems zu kommen."
Kritik von deutschen Politikern
Pünktlich zum fünften Jahrestag der Ankunft der ersten Gefangenen aus Afghanistan in dem US-Militärstützpunkt äußerten auch deutsche Politiker Kritik an dem amerikanischen Vorgehen: "Ich glaube, dass dieser Ort, der in der ganzen Welt zum Symbol für die Entrechtung des Rechts geworden ist, massiv dazu beigetragen hat, dass Demokratie und das Ansehen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schwer gelitten hat", beklagt Grünen-Chefin Claudia Roth. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel positionierte sich eindeutig zum US-Gefangenenlager. "Eine Institution wie Guantanamo kann und darf auf Dauer nicht existieren."