Auszeichnung für eine Unbeugsame
27. Oktober 2013Sie spricht ruhig und bedächtig. Die Stimme von Aminatou Haidar klingt älter als es ihre 47 Jahre glauben lassen. Die Menschenrechtlerin ist unermüdlich, unerbittlich. Für ihre Überzeugung setzte sie mehrfach ihr Leben aufs Spiel. Trotz vielfacher Repressionen harrt sie in El Aaiún, der Hauptstadt der Westsahara aus. Am Montag (28.10.2013) wird die Aktivistin mit dem Solidaritätspreis der Stadt Bremen ausgezeichnet. "Dieser Preis ist sehr wichtig für mich als Menschenrechtlerin und auch für das Volk der Sahraui und seinen gerechten Kampf", sagt sie im Interview mit der Deutschen Welle. Der Preis sensibilisiere die deutsche Öffentlichkeit für dieses Thema.
Schon seit 27 Jahren setzt sich Aminatou Haidar für die politische Selbstbestimmung ihrer Heimat ein: Das Territorium an der Atlantikküste Nordwestafrikas wurde nach dem Abzug der ehemaligen Kolonialmacht Spanien 1975 von Marokko beansprucht und größtenteils annektiert. Die Vereinten Nationen verlangen seitdem die Durchführung eines Referendums über den völkerrechtlichen Status des Gebietes, bislang konnte jedoch zwischen Marokko und den Vertretern der Sahrauis keine Verständigung über die Regularien eines solchen Referendums erzielt werden.
Ein Leben zwischen Protest und Kerkerhaft
Aminatou Haidar ist zwanzig Jahre alt, als sie auf die Straße geht, um für das Referendum zu protestieren. Marokkanische Sicherheitskräfte verhaften sie. Gemeinsam mit 17 anderen Frauen wird Aminatou Haidar an einen geheimen Ort verschleppt. Drei Jahre und sieben Monate verbringt sie dort – ohne Anklage und ohne Gerichtsbeschluss. Sie sei in der Zeit mehrfach gefoltert worden, sagt sie.
Ihr Widerstand bleibt dennoch ungebrochen. Nach ihrer Freilassung setzt sie sich für bessere Haftbedingungen politischer Gefangener ein. "Ich bin überzeugt, dass die Sache, für die ich kämpfe, richtig ist und dass das internationale Recht meine Forderungen teilt. Deswegen werde ich es nicht leid, weiter zu kämpfen, deswegen werde ich nicht aufhören, mich zu engagieren", sagt die Aktivistin.
2005 fügen ihr marokkanische Polizisten während einer Demonstration mit ihren Schlagstöcken so schwere Kopfverletzungen zu, dass sie mit zwölf Stichen genäht werden muss. Es folgt eine siebenmonatige Kerkerhaft im berüchtigten "schwarzen Gefängnis" in El Aaiún. Die Menschenrechtsaktivistin tritt in einen mehrwöchigen Hungerstreik. Erst als rund 180 Abgeordnete des europäischen Parlaments eine Petition unterschreiben, kommt sie frei.
Konsequent bis zum Äußersten
Vier Jahre später, im November 2009, wird Aminatou Haidar in den USA mit dem Civil Courage Prize ausgezeichnet. Auf dem Rückweg in die Westsahara verweigern die marokkanischen Grenzbeamten ihr die Einreise. Aminatou Haidar hatte wieder provoziert und auf dem Einreiseformular sahrauisch und nicht marokkanisch als ihre Staatsangehörigkeit angegeben. Ein "Akt des zivilen Ungehorsams", befinden die marokkanischen Behörden. Ohne Pass schieben sie sie auf die spanische Insel Lanzarote ab.
Auf dem Flughafen der Ferieninsel harrt sie aus und tritt in einen einmonatigen Hungerstreik. Schließlich darf sie zurück in ihre Heimat.
Als Vorsitzende des "Kollektiv der sahrauischen Menschenrechtsverteidiger" (CODESA) setzt sich Aminatou Haidar, die auch schon für den Friedensnobelpreis nominiert war, bis heute für die Freilassung politischer Gefangener ein; sie hält Vorträge an Universitäten in Spanien und Amerika. Zur Entgegennahme des Bremer Solidaritätspreises kommt sie nun nach Deutschland.
Ein Preis, der Verantwortung schafft
Alle zwei Jahre vergibt das kleinste Bundesland Deutschlands den mit 10.000 Euro dotierten Preis. Er geht an "Menschen, die sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzen und gegen Rassismus und Kolonialismus kämpfen." Die ersten Preisträger waren 1988 Nelson und Winnie Mandela, eine weitere prominente Preisträgerin war 1993 Aung San Suu Kyi, die sich in Myanmar für die Demokratie in ihrer Heimat einsetzte.
Viel wichtiger als das Preisgeld aber sei die Verantwortung, die der Stifter dadurch für die Preisträger übernimmt, meint Ulrich Delius, Afrika-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker: "Dadurch haben diese Personen gewissermaßen einen Schutzengel, der genau hinschaut, was mit ihnen passiert. Und der im Notfall auch vorstellig werden kann."
In den Westsaharakonflikt wolle sich Bremen nicht einmischen - Außenpolitik sei nicht Sache der Bundesländer, sagt Birgit Rambalski, Protokollchefin im Bremer Rathaus. Möglichen Beschwerden von marokkanischer Seite sieht sie gelassen entgegen: "Wir zeichnen eine Persönlichkeit aus, die ein hohes Ansehen hat und die sich über die Jahre immer wieder mit friedlichen und diplomatischen Mitteln für ihre Landsleute eingesetzt hat. Das wollen wir zeigen, und zwar gegen jegliche Art von Widerstand und politischer Unterdrückung."
Eine Instrumentalisierung der Menschenrechtsfrage?
Die marokkanische Regierung dürfte von dieser Auszeichnung vermutlich nicht sehr angetan sein. Gefragt nach ihrer Reaktion auf die Preisverleihung an Aminatou Haidar, geht die Botschaft in Berlin in einer schriftlichen Stellungnahme nicht explizit auf die Menschenrechtlerin ein. "Marokko verfolgt eine Politik der ausgestreckten Hand", so die Stellungnahme, die "Widersacher Marokkos" verfolgten unter anderem "durch die Instrumentalisierung der Frage der Menschenrechte" eine "kontraproduktive und tendenziöse Strategie", heißt es weiter. In den letzten Jahren habe Marokko zudem nachweislich "erhebliche Fortschritte (…) im Bereich der Menschenrechte" erzielt.
Aminatou Haidar wird dieser Preis nur weiter motivieren, sagt sie. Sie wird weiter kämpfen für die Rechte des sahrauischen Volkes. Unermüdlich. Unerbittlich.