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Amokschütze schrieb ein "Manifest"

24. Juli 2016

Ein Jahr lang plante er sein Verbrechen - und studierte akribisch grausame Blaupausen für den Angriff. Dafür fotografierte er am Originalschauplatz eines der schlimmsten Amokläufe in Deutschland.

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Polizeikräfte am Tag nach dem Attentat (Foto: dpa)
Polizeikräfte am Tag nach dem AttentatBild: picture-alliance/AA/S. Widmann

Der 18-jährige Ali David S. schoss 57 Mal aus einer Glock, einer 9-Millimeter-Pistole. Doch sein Amoklauf war alles andere als eine Spontantat. Der Deutsch-Iraner, der am Freitag in München neun Menschen und dann sich selbst tötete, hatte das Verbrechen ein Jahr lang geplant - und dafür keinen Aufwand gescheut.

Das alles geschah parallel zu einer Psychotherapie, die er zuerst stationär und dann ambulant absolvierte, wie Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch mitteilte. Der Täter habe an einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung sowie unter sozialer Phobie gelitten und sei auch mit Psychopharmaka behandelt worden.

Massenmörder als Vorbild

Auf dem Rechner des Mannes fanden die Ermittler ein "Manifest". Ausgewertet wurde es noch nicht. Fest steht, dass der 18-Jährige sich schriftlich intensiv mit seinem Vorhaben auseinandersetzte. Der Schüler trug nicht nur Literatur und Zeitungsartikel zu Amokläufen zusammen - er recherchierte auch am Originalschauplatz eines grausamen Verbrechens. In Winnenden bei Stuttgart fotografierte S. die Stellen, wo ein 17-Jähriger im Jahr 2009 zwölf Menschen getötet hatte, ehe er auf der Flucht drei Passanten und sich selbst erschoss. Der damalige Amoklauf war einer der schlimmsten in der Geschichte der Bundesrepublik.

LKA-Präsident Robert Heimberger (Foto: Reuters)
LKA-Präsident Robert HeimbergerBild: Reuters/A. Wiegmann

Warum der Täter schließlich im Olympia-Einkaufszentrum zuschlug, sei noch unbekannt, sagte der Präsident des bayerischen Landeskriminalamtes, Robert Heimberger. Aber der Tat-Tag war offenbar kein Zufall: Am 22. Juli jährten sich zum fünften Mal die Anschläge des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik. Auch mit diesem Verbrechen beschäftigte sich der Münchner Schütze detailliert.

Immer wieder virtuell getötet

Die Ermittler erwähnen auch, dass er schon vor der Gewalttat virtuell schoss: Immer wieder spielte er sogenannte Ego-Shooter-Spiele wie "Counterstrike". Das sind Videospiele, in denen das Töten verherrlicht wird. Und er nutzte das Internet, um einen Köder für seine reale Tat auszulegen. So habe der Deutsch-Iraner bereits im Mai einen gefälschten Facebook-Account angelegt, indem er Fotos und Identitätsdaten einer anderen Person missbrauchte. Mit diesem Account rief er dazu auf, am Freitag zu dem Schnellrestaurant zu kommen, wo er später um sich schoss - Passanten, so versprach er, bekämen dort eine Kleinigkeit geschenkt.

Kerzen und Blumen im Gedenken an die Toten (Foto: Johannes Simon/Getty Images)
Kerzen und Blumen im Gedenken an die TotenBild: Getty Images/J. Simon

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Amokläufer die für ihn wichtigste Aufgabe bereits gelöst: eine Waffe zu beschaffen. Dazu war er in das sogenannte Darknet abgetaucht - den dunkelsten Teil des Internets, wo es von illegalen Angeboten zu Sex, Drogen, gestohlenen Identitätsdaten und Waffen nur so wimmelt. Die Fahnder fanden Teile eines Chats, der dem verbotenen Kauf vorausging. Geliefert wurde eine ehemalige Theaterwaffe - seinerzeit unschädlich gemacht, um sie gefahrlos auf der Bühne einzusetzen. Doch später wurde die Pistole, die ein Prüfzeichen aus der Slowakei trug, reaktiviert: Jetzt konnte damit wieder scharf geschossen werden.

300 Kugeln im Rucksack

58 Patronenhülsen wurden an den Münchner Tatorten gefunden. 57 Mal hat der Deutsch-Iraner gefeuert. Und alle 57 Hülsen konnten der Glock 17 zugeordnet werden. Mutmaßungen zu einer Langwaffe oder zu weiteren Attentätern, nach denen erst gesucht worden war, könnten die Ermittler nun "definitiv ausschließen", so der LKA-Präsident. Die 58. Hülse stammt demnach von einem Polizeibeamten, der - ohne zu treffen - auf den Angreifer schoss.

Der Täter führte zwei Magazine mit sich, die jeweils 17 Patronen fassen - und 300 Schuss Munition. Somit muss er während des Amoklaufs nachgeladen haben, vermutlich auf dem Parkdeck, das in einem Video von der Tat zu sehen ist. Die letzte Kugel traf ihn selbst. Mit einem "aufgesetzten Schuss", so Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch, setzte er in einer Stichstraße nahe dem Einkaufszentrum seinem Leben ein Ende.

jj/wl (dpa, afp)