Ankara sieht wachsende Terrorgefahr
3. Februar 2013Mit Bombenweste und Maschinenpistole posiert Ecevit Sanli auf einem Foto vor zwei Fahnen mit Hammer und Sichel und dem roten Stern der Kommunisten, die linke Faust um einen Schalter mit rotem Knopf geballt – jenen Knopf, den er kurz nach Anfertigung der Aufnahme im Eingangsbereich der US-Botschaft in Ankara drücken wird.
Das Foto von Sanli ist Teil des Internet-Bekennerschreibens, mit dem die linksextremistischen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) den tödlichen Anschlag vom 1. Februar für sich reklamiert. In ihrem Schreiben beschimpft die DHKP-C die Vereinigten Staaten als "Monster", das für "jeden Tropfen Blut", der in Syrien, Afghanistan, Irak, Libyen und Ägypten fließe, "direkt verantwortlich" sei. Nach Angaben der in der Türkei, den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Gruppe richtete sich der Anschlag gegen die Regierung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die den USA als "Lakai" diene.
Hohn und Warnung
Der Selbstmordattentäter Sanli hatte sich nach türkischen Medienberichten als Mitarbeiter eines Kurierdienstes ausgegeben und sich auf diese Weise Zutritt zu der streng abgeschirmten US-Botschaft verschafft. In der Sicherheitsschleuse zündete er sechs Kilogramm TNT an seinem Körper und eine Handgranate. Mit ihm starb ein türkischer Wachmann, eine zufällig anwesende Journalistin wurde schwer verletzt. Damit sei die Ankündigung der US-Regierung widerlegt, wonach die US-Missionen in aller Welt seit dem Angriff von Bengasi am 11. September vergangenen Jahres gegen alle Angriffe gesichert worden seien, höhnt die DHKP-C.
Sanlis Selbstmordkommando war möglicherweise nicht die letzte Aktion ihrer Art, warnen die Linksextremisten: Die USA sollten ihre zum Schutz gegen mögliche Angriffe aus Syrien aufgestellten Patriot-Luftabwehrraketen abziehen. An die türkische Regierung ergeht ebenfalls eine Drohung: Alle Sicherheitsvorkehrungen seien zwecklos. Nach Medienberichten vereitelten die Sicherheitsbehörden in den Jahren 2008 und 2010 geplante Attentate der DHKP-C auf Erdogan.
Gibt es eine Syrien-Connection?
Mit ihrem Verweis auf die Patriot-Raketen reiht sich die DHKP-C in die Proteste linker, islamistischer und nationalistischer Gruppen gegen Erdogans Syrien-Politik ein. Erst vor kurzem hatten Nationalisten einige deutsche Soldaten im Grenzgebiet zu Syrien angegriffen, die sie offenbar für US-Soldaten hielten.
Der Kommentator Deniz Zeyrek erinnerte die Leser der Zeitung "Radikal" am Sonntag (03.02.2013) daran, dass die DHKP-C schon in den 1990er Jahren mit dem syrischen Regime zusammengearbeitet habe. Laut Zeyrek dauert diese Kooperation bis heute an und erhält durch den syrischen Bürgerkrieg, in dem die Türkei die Opposition unterstützt, eine neue Dimension: Nach Geheimdienstberichten habe der syrische Staatschef Baschar al-Assad jüngst linken Gruppen wirtschaftliche und logistische Unterstützung zukommen lassen.
Attentäter zeitweise in Deutschland
Fest steht, dass der Anschlag minutiös vorbereitet war: Attentäter Sanli, der laut Medienberichten nach einer Haftentlassung in der Türkei im Jahr 2001 nach Deutschland reiste, kam Innenminister Muammer Güler zufolge mit gefälschten Papieren über Griechenland ins Land. Dabei gilt die DHKP-C in Deutschland eigentlich als Organisation mit abnehmender Bedeutung: Im jüngsten Verfassungsschutzbericht kommen die deutschen Geheimdienstler zu dem Schluss, dass es nach mehreren Polizeiaktionen gegen die Gruppe fraglich sei, "wie lange die DHKP-C noch in der Lage sein wird, Mängel und Lücken in Führung und Organisation zu kompensieren".
Sollte der Anschlag von Ankara tatsächlich in Deutschland ausgeheckt worden sein, wie einige türkische Zeitungen erfahren haben wollen, wird diese Analyse möglicherweise zu überdenken sein. Doch die DHKP-C ist nicht die einzige radikale Gruppe, die Gewaltaktionen in der Türkei plant und ausführt. Auch die laufenden Bemühungen um eine Beendigung des Kurdenkonfliktes könnten zu einem erhöhten Anschlagsrisiko führen, schrieb Fikret Bila, ein Kolumnist mit exzellenten Kontakten in Regierung und Sicherheitsapparat, in der Zeitung "Milliyet".
Möglicher Zusammenhang mit Kurdenverhandlungen
Schon der Mord an drei kurdischen Aktivistinnen in Paris am 9. Januar wurde als Zeichen dafür gewertet, dass radikale Kräfte versuchen wollen, einen Friedensschluss zwischen dem türkischen Staat und den PKK-Rebellen zu verhindern. Bila verwies in seinem Beitrag zudem darauf, dass es Gruppen gebe, die im Schatten des seit fast 30 Jahren anhaltenden Kurdenkonflikts viel Geld verdienten, etwa mit Drogenschmuggel oder Menschenhandel.
Wie Bila rechnet auch Güngör Mengi, Chefkommentator der Zeitung "Vatan", mit weiteren möglichen Gewalttaten. Die Unruhen in Nahost, der wachsende Anti-Amerikanismus in der Region sowie die eindeutige Parteinahme Ankaras etwa in Syrien machten die Türkei zur potenziellen Zielscheibe des Terrors, schrieb Mengi nach dem Anschlag in Ankara. "Wir müssen vorbereitet sein", fügte er hinzu. "Sind wir es?" Diese Frage kann niemand in Ankara beantworten.