Dürer oder nicht Dürer?
22. Juni 2021Eine Kleinstadt im Bundesland Baden-Württemberg ist in Aufregung: Angeblich soll in der evangelischen Johanneskirche in Crailsheim seit Jahrhunderten 'ein echter Dürer' direkt vor ihrer Nase gehangen haben - und keiner hat es gemerkt. Das zumindest meinen zwei Kunstexperten. Sollten sie recht behalten, wäre das eine Sensation. Nachdem mehrere Medien über die Vermutung berichteten, waren in den vergangenen Tagen zahlreiche Besucher in die Kirche gekommen, um das Altarbild zu sehen.
Malte Dürer die Henkerszene?
Im Zentrum der Aufregung steht ein Henker. Der ist auf einem Gemälde zu sehen, das den Seitenflügel des Altars in der Kirche ziert und die Enthauptung von Johannes dem Täufer zeigt. In der rechten Hand hält der in der Drehung befindliche Mann noch sein Schwert, in der linken den gerade abgetrennten Kopf von Johannes dem Täufer. Sein Blick richtet sich auf das blutige Resultat seiner Tat.
Sowohl der Gesichtsausdruck, die muskulöse Statur als auch die Eleganz der Beinstellung wiesen unverkennbar auf Albrecht Dürer hin, wird der Kunsthistoriker Manuel Teget-Welz von der Universität Erlangen von der Nachrichtenagentur dpa zitiert. "Es gibt etliche Gemeinsamkeiten zu anderen Werken, was seine persönliche Handschrift erkennen lässt." Als Beweis seiner These verweist er zum Beispiel auf die Ähnlichkeit mit einem Porträt, das Dürer von seiner Mutter anfertigte.
Neu ist die These nicht, sagt die Kulturhistorikerin Helga Steiger von der Stadt Crailsheim. Bereits 1928, zum 400. Todestag Dürers, sei der Seitenflügel für eine Ausstellung ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg transportiert worden, um ihn dort mit anderen Werken Dürers zu vergleichen.
Damals wie heute galt es als gesichert, dass der um 1490 entstandene Altar, auf dem das Gemälde zu sehen ist, aus der Werkstatt von dem Nürnberger Maler Michael Wolgemut stammt. Bei ihm war Dürer in die Lehre gegangen. Es könnte also gut sein, dass der schon zu Lebzeiten über die Landesgrenzen hinaus bekannte Albrecht Dürer in jungen Jahren für Teile des Altars verantwortlich zeichnete. Schriftliche Belege für eine Mitarbeit gibt es allerdings nicht.
Kaum Quellen aus Dürers Zeit
Gerade weil es an schriftlichen Quellen zu Dürers frühen Jahren mangelt, könnte das Gemälde zu einem wichtigen Puzzleteil werden, um das Werk des 1471 in Nürnberg zur Welt gekommenen Malers, Mathematikers und Kunsttheoretikers noch besser zu verstehen. "Es wäre ein Riesenschritt für die Dürer-Forschung", sagte Matthias Weniger vom Bayerischen Nationalmuseum in München dazu. Er zeigt sich ebenfalls "ziemlich überzeugt" davon, dass das Gemälde von Dürer stamme. Absolute Sicherheit sei auf dem Gebiet aber schwierig.
Dass das Altarbild erst jetzt so viel Aufmerksamkeit erfährt, liegt auch an seiner Position. Es befindet sich an der Außenseite des Seitenflügels eines Altars, der meistens geöffnet ist. Das Kunstwerk lässt sich vom Kirchenraum aus nur sehen, wenn die Flügel geschlossen sind. Und das passiert nur einmal alle sieben Jahre für die zweiwöchige Passionszeit vom Passionssonntag bis Karsamstag.
Alle wollen Dürer sehen
Nachdem die Aufmerksamkeit aufgrund der Medienberichterstattung merklich angestiegen war, ließ die Kirchengemeinde den Altar am Montag außerplanmäßig wieder zuklappen, damit das vermutliche Dürer-Bild besser zu sehen ist. Dazu sollen Absperrungen installiert, Führungen angeboten und Bildschirme mit Detailaufnahmen des Gemäldes aufgestellt werden.
Und auch die beteiligten Kunsthistoriker wollen dem Gemälde weiter auf den Grund gehen. Das ginge zum Beispiel über eine Untersuchung mit einer Infrarotkamera, die Vorzeichnungen sichtbar machen könnte.
Und Crailsheim? Die 35.000-Einwohner-Stadt im Nordosten von Baden-Württemberg kann sich derweil, ebenso wie die evangelische Kirchengemeinde, an der medialen Aufmerksamkeit erfreuen. Schließlich weiß man in der Region um die enorme Zugkraft von Albrecht Dürer, dem in Franken folgerichtig Statuen, Denkmäler und ganze Flughäfen gewidmet sind.