Anti-französische Stimmung wächst
28. Oktober 2020Der Karikaturen-Streit zwischen Frankreich und der Türkei heizt sich immer weiter auf. Auslöser sind Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach dem Terroranschlag auf den Lehrer Samuel Paty. Dieser hatte im Geschichtsunterricht zum Thema Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins "Charlie Hebdo" gezeigt.
Bei der Trauerfeier für den Lehrer erklärte Macron, Frankreich werde auch weiterhin nicht auf Karikaturen verzichten und den "islamistischen Separatismus" bekämpfen. Nun machen immer mehr muslimische Länder Druck auf Frankreich. Einige Beispiele:
Türkei
An die Spitze der Proteste gegen Frankreich hat sich der türkische Präsident Tayyip Recep Erdogan gestellt. Er fordert den Boykott französischer Produkte und griff Macron mit persönlichen Beleidigungen an. Erdogans Motivation könnte sein, von Problemen im eigenen Land abzulenken. Denn die türkische Wirtschaft steckt in der Krise, die Inflationsrate ist hoch und die Jugendarbeitslosigkeit ebenso.
Nach Ansicht des türkischen Wirtschaftswissenschaftlers Uğur Gürses hat Erdogan versäumt, diese Probleme anzugehen, die sich durch die Coronavirus-Pandemie noch verschärft hätten. Umfragen zeigten eine deutlich abnehmende Unterstützung für die Regierungspartei und ihre Verbündeten. "Erdogan weiß, dass seine Zustimmungswerte steigen, wenn Europa oder die USA Sanktionen gegen die Türkei verhängen. Das ist der Grund, warum er Macron und Trump angreift."
Ilhan Uzgel ist Professor für internationale Beziehungen an der Universität Ankara. Auch er ist überzeugt, dass der türkische Präsident vor allem auf Stimmenfang gehen möchte. "Erdogan schafft es nicht, mit seiner Politik die türkische Wirtschaft zu retten. Und es überrascht niemanden, dass er die türkische Bevölkerung zum Boykott französischer Produkte aufgerufen hat. Das Einzige, was für ihn im Moment zählt, ist, sich Wählerstimmen zu sichern."
Pakistan
Auch Pakistan befindet sich auf Konfrontationskurs mit Frankreich. Premierminister Imran Khan twitterte, dass "Macrons gut durchdachter verbaler Angriff auf den Islam die Gefühle von Hunderten Millionen Muslimen auf der ganzen Welt verletzt hat". Khans Tweets wurden sowohl auf Englisch als auch auf Urdu, der pakistanischen Landessprache, verfasst - und dürften so sehr viele Menschen erreicht haben.
Die Loyalität mit Erdogan überrascht nicht: Aufgrund der historisch engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern gilt die Türkei als einer der engsten und zuverlässigsten Verbündeten Pakistans.
Erdogan wird in Pakistan als ein Führer der muslimischen Welt angesehen - und ist für viele sogar noch wichtiger als der saudische König, der ja Hüter von Mekka und Medina ist, der beiden heiligsten Orte des Islam. Auch wirtschaftlich sind die beiden Länder verbunden. Die Türkei arbeitet seit Jahrzehnten an mehreren milliardenschweren Entwicklungs- und Infrastrukturprojekten in Pakistan.
Arabische Welt
In Jordanien verurteilte ein Sprecher der dortigen Muslimbruderschaft die Äußerungen des französischen Präsidenten als "Angriff auf die islamische Nation". Das Außenministerium behauptete, die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen habe die Gefühle vieler Muslime verletzt.
In Libyen bezeichnete Mohammed Zayed, ein Mitglied des Präsidialrats, Macrons Äußerungen als "bösartige Behauptungen" - vermutlich auch, weil die Regierung auf die Unterstützung islamistischer Parteien angewiesen ist. Darüber hinaus werden die verbalen Angriffe auf Macron als eine Geste der Solidarität mit Erdogan gesehen, dessen Regierung im Libyen-Konflikt die von der UNO anerkannte Regierung in Tripolis militärisch und politisch unterstützt hat.
Katar ist ein weiterer enger Verbündeter der Türkei. Der Golfstaat gilt als einer der Hauptsponsoren der Muslimbruderschaft und ihrer regionalen Ableger. Hier, wie auch in Kuwait und Jordanien, wurden französische Produkte aus einer Reihe von Supermärkten entfernt.
Frankreich
Doch Emmanuel Macron verteidigt weiter unnachgiebig die französischen Prinzipien von Redefreiheit und Säkularismus, also eine strikte Trennung von Religion und Staat. Die von ihm angekündigten Maßnahmen wie das harte Durchgreifen gegen Hassreden und das Betätigungsverbot für Organisationen, die radikalen Islamisten Unterschlupf bieten, werden laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage von einer Mehrheit der Franzosen unterstützt. Das Vorgehen des Präsidenten spricht vor allem rechte und rechtsextreme Wähler an.
Mit Blick auf die Präsidentenwahl 2022 will sich Macron eindeutig die Unterstützung der Konservativen sichern. Aber es ist alles andere als klar, ob sich seine Strategie auszahlen wird. Wie es einmal der Gründer des rechtsextremen Front National, Jean-Marie Le Pen, formulierte: "Die Franzosen werden immer das Original einer Kopie vorziehen."