"Ich weiß, wozu Maduro fähig ist"
1. August 2017DW: Ihr Vater stand unter Hausarrest und ist im Morgengrauen des 1. August ohne Haftbefehl abgeführt worden. Können Sie beschreiben, was genau ist?
Antonietta Ledezma: Mein Vater ist seit zweieinhalb Jahren in Haft. Zuerst saß er in einem Militärgefängnis; aus gesundheitlichen Gründen wurde ihm im Februar 2016 Hausarrest gewährt. Am Montagabend um 20:30 Uhr veröffentlichte er einen Aufruf an das venezolanische Volk, friedlich auf den Straßen zu protestieren. Vier Stunden später erschien die politische Polizei und verschwand mit ihm. Sie erschienen einfach ohne Haftbefehl oder so etwas, und sie entführten ihn. Im Augenblick wissen wir nicht, wo er sich aufhält. Präsident Nicolás Maduro ließ ihn einfach entführen. Wenn so etwas einem gewählten Bürgermeister (Anmerk. Red.: 2008 wurde Ledezma zum Bürgermeister von Caracas gewählt, 2015 seines Amtes enthoben) zustoßen kann, kann man sich vorstellen, was dem Rest von uns zustoßen kann.
Mein Vater kritisierte die Situation in Venezuela (nach der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung am Sonntag - d.Red.). Und das war für Maduro Grund genug, ihn zurück ins Gefängnis zu bringen. Ich weiß nicht einmal, in welchem Gefängnis er ist - ich weiß gar nichts.
Fürchten Sie, dass Ihr Vater gefoltert wird?
Ich will mir gar nicht vorstellen, was meinem Vater zustoßen könnte. Aber er hat mich immer gelehrt, stark zu sein, auch in ganz dunklen Zeiten. Und ich weiß: Je stärker die Unterdrückung, desto näher das Ende des Albtraums. Ich habe große Angst um die körperliche und seelische Gesundheit meines Vaters. Mein Vater ist der stärkste Mann, den ich kenne, und ich weiß, dass er unendlich viel Mut und Kraft hat, um auszuhalten, was diese Diktatur ihm antun wird. Aber ich habe Angst, weil ich weiß, wozu Nicolas Maduro fähig ist.
Was glauben Sie, steckt hinter der Verhaftung?
Maduro fürchtet sich vor meinem Vater, vor Leuten wie ihm, die zum venezolanischen Volk sprechen und es aufrufen, nicht aufzugeben, sondern den friedlichen Kampf auf den Straßen fortzusetzen. Ich glaube, er weiß, dass die Venezolaner meinen Vater respektieren und auf ihn hören. Dies ist ein weiterer Versuch, meinen Vater zu isolieren, ihn zum Schweigen zu bringen.
Was bedeutet das für die Opposition: Glauben Sie, dass sie so zum Schweigen gebracht wird, oder wird sie verstärkt auf die Straße gehen?
Die Opposition weiß besser als je zuvor, dass unsere einzige Möglichkeit, der Diktatur die Stirn zu bieten, darin besteht, auf die Straße zu gehen, zu protestieren und nicht zuzulassen, dass Maduro uns zum Schweigen bringt. Die Freiheit hat er uns schon genommen, aber er wird uns nie unsere Würde und unsere Stärke nehmen, unseren Willen, um die Freiheit zu kämpfen. Mehr denn je wird die Opposition kämpfen, nicht nur für die Freiheit meines Vaters und der anderen politischen Gefangenen, sondern für die Freiheit des ganzen Landes.
Sie sind gerade in Madrid in Spanien. Was können Sie von dort aus tun?
Wir brauchen jetzt internationale Unterstützung. Wir sprechen mit internationalen Medien, um zu verbreiten, was in Venezuela vor sich geht. Wir sprechen von mehr als 500 politischen Gefangenen. Wir sprechen von einer Inflationsrate, die immer weiter ansteigt, in einem Land, in dem Menschen auf der Straße vor Hunger sterben. Ich spreche nicht nur von meinem Vater, sondern von der ganzen humanitären, politischen und gesellschaftlichen Krise, die wir durchleben, die schlimmste in unserer Geschichte. Also werde ich jetzt von Madrid aus und, wo immer ich bin, die Lage in Venezuela anprangern. Und ich habe vor, sehr bald nach Hause zurückzukehren, um mit meinen eigenen Augen zu sehen, was mit meinem Vater passiert. Denn der Regierung glaube ich gar nichts mehr.
Wird Maduro seine Position festigen und Venezuela einer Diktatur näherbringen?
Er hat Venezuela schon vor langer Zeit der Diktatur nahe gebracht. Er ist ein Diktator, seit er 2013 die Macht übernommen hat. Das ist für Venezolaner nichts neues. Und ich glaube, er wird noch radikaler, weil er weiß, dass seine Tage an der Macht gezählt sind. Er weiß, dass die Mehrheit des Volkes gegen ihn ist - wir sprechen von 80 Prozent, die ihn nicht unterstützen. Das weiß Maduro, und umso radikaler handelt er. Es ist jetzt an uns, stärker als je zuvor zu sein und diese schrecklichen Opfer zu bringen, wenn wir in einem freien Land leben wollen.
Haben Sie eine persönliche Nachricht für Nicolás Maduro?
Maduro soll wissen, dass wir uns wehren, egal, wie hart er uns unterdrückt. Ich will, dass er weiß, dass er, und nur er für das Schicksal meines Vaters verantwortlich ist, und dass das venezolanische Volk nicht müde wird. Im Gegenteil: Wir kämpfen jeden Tag mit mehr Kraft und mehr Mut in dem Bewusstsein, dass wir - auch wenn wir die dunkelste Zeit unserer Geschichte durchleben, dem Leben in einem freien Land immer näher kommen.
Antonietta Ledezma ist dieTochter des venezolanischen Oppositionspolitikers Antonio Ledezma. Der ehemalige Bürgermeister von Caracas wurde am Montag erneut verhaftet und ist seitdem verschwunden. Sie lebt seit einem Jahr aus Sicherheitsgründen in Madrid.
Das Gespräch führte Benjamin Bathke.