Irans Kunst-Botschaft in Zeiten des scheiternden Atom-Deals
31. Mai 2019Ein Hüne von Mann versperrt das Portal des alten, unverputzten Flachbaus. Kameras beäugen jeden Winkel. Ausweis- und Taschenkontrolle, erst dann weicht der Aufpasser. Sicherheit wird hier groß geschrieben in der Fondaco Marcello, einem früheren Lagerhaus an Venedigs Canale Grande, das für Ausstellungen hergerichtet wurde.
Nur durch eine schmale Gasse oder vom Wasser her lässt sich das Gebäude betreten, in dem jetzt der Iranische Biennale-Pavillon eingezogen ist. Sein Motto: "Of Being and Singing", zu Deutsch: "Vom Singen und Sein". Die poetische Textzeile entstammt einem Werk des zeitgenössischen iranischen Dichters Mohammadreza Shafiei Kadkani.
Nach Singen und unbeschwertem Sein, steht zu befürchten, ist den Menschen im Iran kaum zumute: Die Versorgungslage wird täglich schwieriger, seit die USA vor einem Jahr das Atomabkommen von 2015 einseitig wieder aufgekündigten. Jetzt will auch Teheran Teile des 2015 mühsam ausgehandelten Deals aussetzen. US-Präsident Trump verhängte neue Wirtschaftssanktionen gegen das Mullah-Regime, drohte gar mit Krieg.
"May you live in interesting times" – in iranischen Ohren dürfte das Motto der diesjährigen Venedig-Biennale besonders schräg klingen. "Dabei geht es uns hier nicht um Krieg", versichert Hadi Mozaffari, Irans Pavillon-Kommissar, "hier geht es um Leben. Um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft!"
Biennale-Auftritt zeigt Irans Lebendigkeit
Ganze zehn Meter misst der lange Esstisch aus dunkelgrauem Pappmasché, auf dem Reza Lavassani papierne Blumen, Früchte, Kerzenständer, Schalen und Vasen drappiert hat. Ein ausladender Kronleuchter, ebenfalls aus Pappmasché, hängt von der Decke. Die raumfüllende Installation des Malers und Bildhauers, der vorwiegend im Iran bekannt ist, könnte für die sprichwörtliche persische Gastfreundschaft stehen.
Doch erlaubt Lavassanis Kunstwerk in diesen Tagen auch eine andere Interpretation: Als hätte sich ein grauer Schleier auf das Leben der Menschen gelegt, wirkt die Arbeit verlassen und seltsam blutleer. Leben in Zeiten des Embargos?
"Mit unserer Biennale-Präsenz erheben wir unsere Stimme", sagt Pavillon-Kommissar Mozaffari, "trotz schwierigster Bedingungen!" Er meint damit das Embargo gegen sein Land. Es sei schon schwierig gewesen, räumt er ein, die Kunstwerke nach Venedig schaffen zu lassen. Erst recht habe man Probleme gehabt, Versicherungen für die Arbeiten abzuschließen.
Der Kommissar wirkt ernst - und sichtlich trotzig: Der US-Pavillon ist wieder einmal strahlender Mittelpunkt der Biennale-Auftritte in den Gardini, die iranische Kunst-Präsenz geht - zumindest in westlichen Medien - in diesem Jahr völlig unter. Einzig die in Dublin publizierte Online-Zeitung "Irish Sun" feierte Irans Pavillon als "einen der attraktivsten der Kunstbiennale von Venedig".
Kunstpräsenz mit modernem Anstrich
Neben Reza Lavassani haben Irans Kultur-Offizielle in diesem Jahr auch Arbeiten von Samira Alikhanzadeh und Ali Meer Azimi in das alte Lagerhaus am Canale Grande geschickt. Während die Malerin Alikhandzadeh Frauenporträts digital auf Kleider aus Drahtgeflecht gedruckt hat und dies mit Schuhen zu mannshohen "Erinnerungsflächen" verbindet, hat der junge Ali Meer Azimi, ein im internationalen Kunstgeschehen noch unbeschriebenes Blatt, technoid anmutende Gerätschaften für die Biennale gefertigt. Sie verleihen der Kunstpräsenz Irans, die von Ali Bakhtiari kuratiert wurde, einen modernen Anstrich.
"Die Werke dieser drei Künstler sind ganz nah an der zeitgenössischen Kunst der Welt", lässt Pavillon-Kommissar Hadi Mozaffari zur Eröffnung wissen. Und nicht ohne Pathetik fügte er hinzu: "Die Aussteller repräsentieren mit ihren Werken die Kunst des Iran, die Herrlichkeit des Seins und des Singens, die Identitäten und Erinnerungen sowie Realität und Träume." Das stehe "im Gegensatz zu dem, was die Welt über die iranische Kunst gesehen und wahrgenommen hat", so Mozaffari, der die Abteilung für bildende Kunst im iranischen Ministerium für Kultur und Islamische Orientierung leitet.
Zehn Kameras verfolgen die Besucher
Ein Expertenteam hat die Künstler ausgewählt. Die Malerin Farah Osuli, der Kunstkritiker Amir Soqrati, der Direktor des Tehran Museum of Contemporary Art, Ehsan Aqai, der Dekan der Kunstuniversität, Hassan Soltani, und der Kunstwissenschaftler Mohsen Soleimani gehören dazu.
Was auffällt: Im iranischen Biennale-Pavillon 2019 gastieren ausschließlich Künstler aus der islamischen Republik. Bei der Wirkung seines Venedig-Auftritts möchte das vom US-Embargo gebeutelte Land offenbar nichts dem Zufall überlassen. Zehn Überwachungskameras verfolgen jeden Schritt der Pavillon-Besucher.
Die 58. Ausgabe der internationalen Kunstausstellung, die unter dem Motto "May You Live in Interesting Times" steht, und dessen zentrale Ausstellung der US-Amerikaner Ralph Rugoff verantwortet, dauert noch bis 24. November. Der iranische Pavillon zum Thema "Of Being and Singing" befindet sich im Fondaco Marcello, San Marco 3415.