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Auf Achse in Peking

Harald Maass, Frankfurter Rundschau7. März 2004

Das wirkliche Abenteuer in China ist der Alltag. Vor allem der Straßenverkehr funktioniert nach seinen eigenen Regeln, wie Teil 5 unserer China-Woche zeigt.

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Stau in Peking - zur Not kann man auch auf den Radweg ausweichen.Bild: AP

Wer einmal in einem Pekinger Taxi im wilden Zickzack durch die Gassen vor der Polizei geflüchtet ist, weiß, wovon ich rede. Wie es dazu kam? Der Fahrer des kleinen "Xiali"-Taxis, in dem ich saß, war bei Rot über die Ampel gefahren und dabei von einem Polizisten erwischt worden. Statt anzuhalten und seine Strafe zu zahlen, drückte der Fahrer plötzlich das Gaspedal durch und raste fröhlich in das Gewirr aus Gassen und Märkten. Die Polizisten sind dann meist zu faul, um den Verkehrssünder zu stellen. Weil es kein zentrales Computersystem gibt, brauchen die Fahrer keine späteren Strafen zu fürchten.

Hindernislauf durch die Straßen

Leider ist das Bus- und U-Bahnnetz in Peking so schlecht ausgebaut, dass man um ein eigenes Auto nicht herumkommt. Nur die ganz Mutigen trauen sich noch, in der 13-Millionen-Metropole mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Ein eigener Kleinwagen, am liebsten ein ausländisches Modell wie der in Nordchina produzierte VW Jetta, ist der Traum vieler Chinesen. Allein in den ersten Monaten des Jahres 2004 haben 144.000 Pekinger den Führerschein gemacht und drängen jetzt auf die Straßen. Irgendwo dazwischen bin auch ich unterwegs, mit meinen alten, roten Jeep.

Jeden Morgen begebe ich mich auf einen Hindernislauf. Er beginnt in meiner Gasse, wo ich zwischen den Großmüttern, die auf der Fahrbahn Morgengymnastik machen, dem Fahrrad-Mechaniker und dem Zeitungsverkäufer Slalom fahre. Über eine Baustelle, auf der sich die Baustellen-Lkws mit den Bussen ein morgendliche Wettrennen leisten, geht es weiter in Richtung Büro.

Verkehr nach eigenen Regeln

Um in China Auto zu fahren, sollte man sich einige Regeln merken: 1. Regierungslimousinen, Kaderautos und teure Import-Pkw haben immer Vorfahrt! 2. Wer sich vordrängelt, kommt schneller ans Ziel! 3. Nur wer hupt, ist ein echter Autofahrer! 4. Beim Linksabbiegen grundsätzlich dem Gegenverkehr den Weg abschneiden! 5. Wenn der Verkehr auf der Straße staut, darf man auf den Radweg, den Bürgersteig oder die Gegenfahrbahn ausweichen. 6. Wer in der Dämmerung als letzter das Licht anschaltet, hat gewonnen!

Zugegeben, der Verkehr ist gewöhnungsbedürftig. Dafür macht Autofahren in Peking so viel Spaß wie ein gutes Computerspiel. Jeder wuselt sich durch, wie es ihm passt. Das wichtigste ist ein gelassenes Gemüt und schnelle Reaktionen. Wenn man auf einer Hauptstraße fährt, kann jeden Moment ein Kleinbus aus der Gasse herausbrechen und einem die Vorfahrt nehmen. Oder ein feuerrotes Taxi einem hupend die Einbahnstraße entgegenkommen.

Flucht vor dem Bußgeld

Im Grunde ist der Straßenverkehr ein Spiegel der chinesischen Gesellschaft. Es gibt zwar Vorschriften, doch an die hält sich niemand. Stattdessen herrscht eine gemütliche Anarchie, mit der alle zufrieden sind. Warum soll man sich aufregen, wenn ein Autofahrer auf dem Gehweg am Stau vorbeifährt? Oder jemand im Rückwärtsgang die Autobahnauffahrt zurückfährt? Immerhin kann man so die Mautgebühr sparen.

Chinas Verkehrspolizisten sind nicht zu beneiden. Zwar hat ihnen die Regierung vor kurzem neue Uniformen spendiert, doch auch mit gesteiften Hemdkragen genießen sie kaum Respekt. Auch die Regierung traut ihnen nicht über den Weg. Weil in der Vergangenheit viele Polizisten die Strafgebühren unterschlugen, muss neuerdings jeder Autofahrer in Peking eine spezielle Geldkarte mit sich führen. Von der wird die Geldstrafe sofort elektronisch abgebucht. Das klappt natürlich nur dann, wenn der Verkehrssünder sich nicht in die Gassen flüchtet.