Auf den Spuren Büchners
29. Juli 2013"Wie kommt es, dass ein Mensch zu Weltgeltung kommt?" Das sei eine der beiden Fragen, die ihr immer wieder gestellt werden, erzählt Rotraud Pöllmann. Die resolute ältere Dame arbeitet seit vielen Jahren im Geburtshaus des Dichters Georg Büchner. Sie führt Besucher aus aller Welt durch die Räume des hübschen Fachwerkhauses. Und wie lautet die zweite so häufig gestellte Frage? "Was hätte aus ihm werden können, wenn er älter geworden wäre?“, erklärt Pöllmann. Georg Büchner starb 1837 im Alter von dreiundzwanzig Jahren.
Ursprünglich keine Büchner-Expertin
Rotraud Pöllmann ist keine Literaturwissenschaftlerin. Sie arbeitete lange Jahre in der Verwaltung, hatte Familie und Kinder. Erst nach ihrer Pensionierung wurde sie zur Büchner-Expertin. Das habe sie ursprünglich gar nicht angestrebt, erzählt sie. Damals, als sie und ihre Familie in das hessische Dorf Goddelau in der Nähe von Darmstadt gezogen sind, habe das Haus leer gestanden. Die Gemeinde hatte es 1988 gekauft, aufwendig restauriert und suchte nun nach jemandem, der es mit Leben erfüllt.
Dass man schließlich auf sie gekommen sei, wundert Pöllmann noch heute: Schließlich komme sie nicht aus der Gegend und sei auch keine Germanistin. Doch sie habe sich damals gedacht: "Man kann das Haus doch nicht einfach abreißen." Nach kurzer Überlegung habe sie sich entschlossen: "Ich mach das jetzt". Als ehrenamtliche Kraft habe sie sich dann in die Materie eingearbeitet. Heute ist Rotraud Pöllmann Georg Büchner-Expertin, reist zu Tagungen der Büchner-Gesellschaft nach Marburg, hütet die Exponate im Haus, führt Schulklassen und Touristen durch die Räume.
Der einzige authentische Büchner-Ort
Georg Büchner war am 17. Oktober 1813 als erstes Kind von Ernst und Caroline Büchner in Goddelau zur Welt gekommen. Acht Geschwisterchen sollten noch folgen, zwei starben früh. Der Vater arbeitet als Chirurg im nahgelegenen Hospital. Die rasch wachsende Familie lebt nur wenige Jahre in dem Haus, das schnell zu klein wird. Das Geburtshaus des Dichters so berühmter Theaterstücke wie "Dantons Tod" und "Leonce und Lena" ist heute in seiner ursprünglichen Form wieder hergerichtet - im Gegensatz zu allen anderen Häusern und Wohnungen, in denen der Dichter später lebte. So pilgern Fans des Schriftstellers und Wissenschaftlers in das ansonsten recht verschlafene Dörfchen.
Rund 2000 Besucher fänden den Weg nach Goddelau jedes Jahr, erzählt Pöllmann. Doch 2013, im Büchner-Jahr, habe man schon nach fünf Monaten die 1000er Grenze erreicht. Es kommen Germanisten aus Nordamerika und Japan, natürlich auch aus vielen europäischen Ländern. Aber auch Touristen aus aller Welt, viele Besucher, die über Städtepartnerschaften in das Bundesland Hessen kommen. Viele hätten Fragen zu Büchner, manche hörten nur still zu. Vor kurzem sei ein Mann nach einer Führung zu ihr gekommen und habe sich bedankt. "Das war ein Professor aus Jena", sagt Pöllmann mit verhaltenem Stolz.
Keimzelle Familie
Und was erzählt die ehernamtlich arbeitende, rührige Büchner-Führerin ihren Besuchern? Rotraut Pöllmann hat sich auf das Thema Familie spezialisiert. Sie sei ja schließlich keine studierte Germanistin, sagt sie. Doch über die Eltern und Großeltern des Dichters, die Schwestern und Brüder weiß sie alles: "Die Leute freuen sich, wenn man etwas über die Familie erzählt. Familie ist doch ein Lebensbereich, denn alle Menschen haben."
Für sie liegt gerade dort, bei der Familie, auch der Schlüssel zum Verständnis des Genies Büchner. Georg habe zu Hause eine Förderung bekommen, die in der Zeit des Biedermeier nicht alltäglich war. "Am Tisch der Büchners wurde diskutiert, den Kindern wurde alles erklärt, die Tagesereignisse erläutert, so dass die Kinder alles gelernt haben: zu formulierten und sich in Rededuellen auseinanderzusetzen." Das Motto des Biedermeier "Kinder bei Tisch - stumm wie ein Fisch" habe bei den Büchners nicht gegolten.
Wenig Originale - viel Atmosphäre
Es gibt heute nicht mehr viele Originalgegenstände im Haus, und doch hat man sich in liebevoller Kleinarbeit bemüht, Zeit und Leben des Dichters wieder auferstehen zu lassen. Natürlich sind Bücher und Manuskripte ausgestellt. Der berühmte politischen Streitschrift Büchners, "Der hessische Landbote", mit der der junge Dichter zum Sturz der Obrigkeit aufrief, die ihn beinahe ins Gefängnis brachte und zur Flucht nach Frankreich zwang, ist ein ganzer Raum gewidmet. Dem Theatergenie, der mit nur drei Stücken die Bühnen der Welt eroberte und heute auch international zu dem meistgespielten deutschen Autoren zählt, nähert man sich mit Theaterutensilien an.
Und was antwortet Rotraud Pöllmann nun den Besuchern auf die zwei so häufig gestellten Fragen, zunächst auf die nach der Weltgeltung? Das sei eben auf die Familie und die Erziehung zurückzuführen, hier liege die Keimzelle für das Genie Georg Büchner. Und was wäre aus ihm geworden bei einem längeren Leben? Da verweist Rotraut Pöllmann auf die fünf Geschwister, die es alle zu etwas gebracht haben: Politiker und bekannte Philosophen seien darunter, die Schwestern hätten sich in sozialen Belangen und im Frauenrecht engagiert, ein Bruder wurde zu einem erfolgreichen Unternehmer.
Tod mit 23
Georg Büchner genügten ein paar wenige Jahre zum Weltruhm. Im Alter von 23 Jahren raffte ihn in Zürich der Typhus hinweg. Seine Texte und Stücke werden heute in aller Welt gelesen und gespielt. Es dürfte nicht viele Orte in Deutschland geben, die das Leben des Genies Georg Büchner so plastisch vergegenwärtigen, wie das Geburtshaus des Dichters im hessischen Weiler Goddelau.