Islam Europa Bosnien
4. Dezember 2011Obwohl die Migranten aus den muslimischen Ländern schon seit Jahrzehnten nach Europa kommen, lebten Muslime dort lange Zeit fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 argumentieren viele Skeptiker, Islam und europäische Werte seien nicht miteinander vereinbar. Sie sehen im Islam eine nicht demokratiefähige Religion. Gerade in diesem Zusammenhang könnte die bosnische Tradition des Islams für Europa interessant sein, sagt Armina Omerika, Islamwissenschaftlerin an der Uni Bochum und Teilnehmerin an der Deutschen Islamkonferenz.
Insbesondere in Bosnien-Herzegowina leben Muslime und Christen schon lange zusammen. Armina Omerika sagt, dass diese lange Erfahrung und Praxis der islamischen Religion in einem säkularisierten Umfeld und auch in einem säkularen Staat, vielen Muslimen fehlt, die aus arabischen Ländern nach Europa kommen.
Lange Tradition des Zusammenlebens
Muslime als Mehrheitsvolk haben in Bosnien und Herzegowina zusammen mit katholischen und orthodoxen Christen, sowie mit sephardischen Juden eine über lange Zeit gut funktionierende Nachbarschaft gebildet und haben gemeinsam in einen Staat gelebt. Das, zusammen mit der über 130 Jahre Erfahrung des Lebens in der christlich dominierten Österreichisch-Ungarischen k.u.k. Monarchie, habe den Islam in Bosnien wesentlich geprägt. Ausgerechnet die Österreicher waren auch diejenigen, die für eine weitere Besonderheit der bosnischen Tradition des Islam sorgten:
Sie gründeten die Islamische Gemeinschaft als eine Organisation der Muslime nach dem Vorbild der christlichen Kirchen und führten das Amt eines Reisu-l-ulema ein. Dieser Obermufti ist der oberste Vertreter der bosnischen Muslime. Und gerade diese Eigenschaften machen auch die Attraktivität der bosnischen Tradition des Islam für den Westen aus, sagt Omerika: "Es ist diese Form von Institutionalisierung, die für viele Europäer etwas Bekanntes darstellt, weil sie damit Parallelen herstellen können zu den gängigsten Formen der religiösen Organisation in Form der kirchlichen Struktur."
Muslime auch in Polen
Die Frage sei aber, ob man so etwas wie einen 'europäischen Islam' überhaupt braucht. Kerem Öktem, Dozent am Zentrum für Europa-Studien an der Universität Oxford, sagt, dass schon die Fragestellung falsch ist, da sie als Grundannahme die Überzeugung hat, "dass der Islam etwas Fremdes ist, etwas, was von außerhalb Europa kommt", und was deswegen "domestiziert, europäisiert, oder nationalisiert werden muss."
Das sei aber nicht der Fall, betont Öktem, denn Islam gibt es in Europa schon seit Jahrhunderten. Bosnien und Herzegowina ist ein Beispiel, aber da sind auch die Türkei, Albanien oder Bulgarien. Und sogar in Ländern Europas, in denen man das nicht erwarten würde, gibt es sehr lange Tradition des Zusammenlebens zwischen Islam und Christentum.
So etwa in Polen, erklärt Pater Adam Was, Dozent für Islamwissenschaft an der Katholischen Universität in Lublin: "Wir in Polen haben eine lange Erfahrung mit Muslimen, über 600 Jahre. Das sind die Tataren."
Es sei zwar zahlenmäßig eine kleine Gruppe, weniger als ein Prozent der Bevölkerung, aber ihre religiöse Identität haben sie trotzdem über die lange Zeit erhalten. Gleichzeitig haben auch in Polen die modernen Migrationsprozesse ihre Spuren hinterlassen, erklärt Was. Und so ist eine neue muslimische Gemeinschaft in dem sehr katholisch geprägten Land gewachsen: Da sind die Studenten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus den verschiedenen arabischen Ländern nach Polen gekommen sind. "Die meisten haben in Polen geheiratet, haben Familien gegründet, und so entstand eine zweite Gruppe", sagt Was weiter.
Ein 'europäischer Islam'?
Ob Türken oder Algerier, ob Albaner, Bosniaken oder Pakistani und Iraner, es gibt in Europa viele muslimisch geprägte Gemeinschaften. Diese sprechen aber verschiedene Sprachen, haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe und auch ihre religiösen Traditionen sind sehr unterschiedlich. Kerem Öktem von der Universität Oxford betont, dass es daher weder möglich noch wünschenswert ist, für ganz Europa eine einheitliche Form des Islam zu etablieren. Denn "da gibt es einfach Vielfalt, und da muss man sich eben auch mit dieser Vielfalt auseinandersetzen".
Daher ist es nicht realistisch zu erwarten, dass eine der Traditionen des Islam, ob nun die bosnische oder eine andere, als Zukunftsmodell für alle Muslime in Europa übernommen wird. Öktem ist davon überzeugt, dass es auch in der Zukunft von Land zu Land unterschiedliche Modelle geben wird. Dieser Islam soll aber doch einige gemeinsame spezifische Merkmale haben, glaubt Adam Was: Es soll ein Islam europäischer Prägung sein, aber in dem Sinne, wie sich etwa der Islam in Afrika vom Islam in Südasien unterscheidet. Es geht um die Kontextualisierung einer Religion, die Formel lautet daher: Einheit in Verschiedenheit. "Man braucht Islam mit einem bestimmten europäischen Charakteristikum", sagt Was, der die Demokratie, Menschenrechte und Religionsfreiheit achtet.
Das bedeute aber auch, dass ein Prozess der Reinterpretation des Koran vonnöten ist, eine neue Exegese der heiligen Schrift, betont Was und fügt hinzu: "Da können Muslime, die in Europa schon seit Jahrhunderten Leben, auch dazu beitragen."
Autor: Zoran Arbutina
Redaktion: Christina Beyert, Hartmut Lüning