Auf keinem Auge blind
24. Juli 2014Die Leute halten Abstand zu ihm. Sowohl seine Hose, als auch das traditionelle Gewand, das er darüber trägt, sind schneeweiß. Der rote lange Bart glänzt in der Abendsonne. Über seinem Kopf schwenkt der Mann eine riesige Fahne, auf der das muslimische Glaubensbekenntnis zu lesen ist. Inmitten der bunten Palästinenser-Flaggen auf dem Bremer Marktplatz fällt das sofort auf. "Das hat hier nichts zu suchen", sagt eine Frau bestimmt zu ihm. "Nimm das runter." Eine junge Muslimin stürmt auf ihn zu und ruft "Scheiß Salafisten!". Sie hat Tränen in den Augen. Ein Tumult entsteht. Es wird geschubst und gespuckt. Zwei Begleiter des Rotbärtigen rufen "ya Bagdadi, ya Bagdadi" - eine Sympathiebekundung für den Anführer der radikalen ISIS-Miliz (Islamischer Staat im Irak und Syrien), Abu Bakr al-Bagdadi. Das Mädchen wird von ihren Freundinnen weggezogen.
Keine Plattform für Provokateure
Genau solche Zwischenfälle wollte Saleh al-Sarey auf seiner Friedenskundgebung für Gaza unbedingt vermeiden. Der 63-Jährige ist Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde in Bremen. Gemeinsam mit vielen Helfern hat er die Veranstaltung in der Hansestadt organisiert. Al-Sarey lebt seit 45 Jahren in Deutschland. Der Palästinenser kam in einem Flüchtlingslager in der libanesischen Hauptstadt Beirut auf die Welt. Seine Eltern wurden mit der Staatsgründung Israels 1948 aus Jaffa vertrieben. Groll oder Hass hegt er keinen und will den auch auf seiner Demonstration nicht sehen. Auf der Einladung hatte er deshalb explizit darum gebeten, nur Palästina-Flaggen mitzubringen. "Wir wollen Randgruppen und Provokateuren keine Bühne geben." Ihm ist wichtig, dass hier nur gegen die brutale Vorgehensweise des israelischen Militärs im aktuellen Konflikt mit der Hamas, nicht aber gegen Juden demonstriert würde. "Wir sind gegen Antisemitismus."
"Schreiben Sie, dass die Kinder umbringen", ruft ein Mann mit starkem türkischem Akzent. Mit "die" meint er Zionisten. Er und ein deutscher Konvertit, sind sich gerade darüber einig geworden, dass diese die Wurzel allen Übels seien. Der übergetretene Moslem sagt noch andere Dinge, die ihn nach dem deutschen Strafgesetzbuch zumindest eine geringe Geldstrafe wegen Volksverhetzung einbringen könnten. An diesem Tag sind die beiden aber in der Minderheit.
Politisch korrekte Sprechchöre
Während die Massen sich durch die Straßen der Bremer Innenstadt schieben, skandieren sie Parolen, die der Veranstalter vorher bestimmt hat. Als unverfänglich eingestuft wurden offenbar am Ende "Free Gaza", "Freiheit für Palästina" und "Merkel, Merkel, hör uns zu". Dass dieser Krieg auch mit Waffen aus Deutschland geführt wird, macht viele wütend. Vor allem die Muslime, die auf der Friedenkundgebung in der Mehrheit sind.
"Palästina ist mein Heimatland", sagt Fatma Zarifi. "Ich war zwar noch die dort, aber irgendwann will ich zurück und dann will ich in Frieden leben können." Ihre Freundin Gülcan, die türkische Wurzeln hat, fügt hinzu: "Wir als Muslime wollen unsere Brüder und Schwestern unterstützen. Deswegen sind wir heute gekommen." Iman, Fatmas Schwester mischt sich ins Gespräch ein. Auf beiden Wangen trägt die Auszubildende kleine, aufgemalte palästinensische Flaggen. Die aktuelle Mediendebatte über einen wiederaufkeimenden Antisemitismus findet Iman übertrieben. Kritik an Israel und Hass gegen Juden seien zwei völlig unterschiedliche Dinge, die sie klar trennen könne.
Bloß nichts Falsches sagen
Kurz bevor die Demonstranten den Marktplatz erreichen, steigt plötzlich an einer Stelle Rauch auf. Mindestens drei TV-Kameras werden auf einen undefinierbaren, verbrannten Haufen gerichtet. "War nur Zeitungspapier", sagt ein Fotograf mit etwas Enttäuschung in der Stimme. Die Veranstalter wissen genau, dass sie nach den anti-israelischen und anti-jüdischen Ausschreitungen in Berlin und Frankreich genau beobachtet werden.
Deswegen überwachen mindestens 100 Ordner und Hundertschaften der Polizei die Kundgebung. Eine ältere Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, findet "Nieder mit Israel"-Rufe furchtbar, weil sie sich immer gegen das Volk Israel wendeten. Sie wurde 1942, drei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland geboren. Schon als Jugendliche habe sie sich mit dem Thema Faschismus beschäftigt. "Ich engagiere mich auch sonst in der Friedensbewegung", sagt sie. Heute ist sie aber wegen der Menschen in Gaza hier, "die von Panzern überrollt werden und nirgendwohin flüchten können".
Israel-Kritik als Deckmantel für Antisemitismus?
"Keine Waffen für Israel - Gegen Zionismus", steht auf dem T-Shirt eines Mannes, der die Arme vor dem Oberkörper verschränkt hält. Auf seiner Wade trägt er ein Tattoo mit einer geballten Faust. Sein Kumpel, der kurze gelbe Zähne und die Haare unter seinem Pferdeschwanz abrasiert hat, will erst nichts sagen. Nach einer Weile äußert er sich dann doch: Er sei heute gekommen, weil es doch nicht sein könne, dass die ganze Welt zuschaue, was Israel da gerade mache. "Im Endeffekt hat man den Juden doch Land gegeben, damit können sie doch zufrieden sein." Er kann verstehen, warum sich dieser Tage so wenige Deutsche auf so einer Demonstration blicken lassen. "Da wird man doch gleich als Arschloch, als Antisemit abgestempelt." Dann fügt er noch hinzu: "Ich mochte die Juden noch nie so besonders."
Viele Flugblätter werden verteilt an diesem Tag. Vor allem von linken Gruppierungen. Die "Antikapitalistische Linke Bremen" spricht sich auf ihrem Flyer gegen die Bombardierung Gazas aus. Die kommunistische "Arbeitermacht" fordert eine sofortige Solidarität mit Palästina und sinniert darüber, ob Antisemitismus mit Antizionismus gleichzusetzen sei. Das Eis ist dünn, auf dem man sich bewegt. Den muslimischen Teilnehmern fällt das leichter. Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts ist nicht ihre Geschichte. Teilweise nimmt das makabre Züge an. Ein Mann hält ein Baby auf dem Arm, auf dessen Strampler "Israel, töte mich nicht" geschrieben steht. Mariam, eine junge Palästinenserin, trägt zwei Babypuppen mit sich, die symbolisch in mit roter Farbe getränkte Tücher gehüllt sind.
"Man muss kein Moslem sein, um das ungerecht zu finden"
Mit dem Ende der Kundgebung, wird es wieder ruhiger auf dem Bremer Marktplatz. Eine Frau steht vor dem Dom und ruft "Jesus ist mein Herr". Zwei Mädchen mit Kopftuch laufen an ihr vorbei und kichern. Eine Gruppe junger Muslime macht noch ein paar Fotos in der Abendsonne. Sie seien für die Freiheit gekommen, sagen sie. Viele Deutsche würden sich wegducken, auch unter dem Druck der Politik. "Das, was da gerade passiert, ist ungerecht", sagen sie noch. Und: "Um das zu sehen, muss man kein Moslem sein."